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(picture alliance) Deutschland - Modell für das Puzzlespiel Eurorettung?

Lösungsvorschläge in der Eurokrise - Modell Deutschland

Fast alle Vorschläge zur Lösung der Euro-Krise kamen bislang aus Deutschland. Selbst Volker Kauder behauptete frech: „Europa spricht deutsch“. In seiner Dienstagskolumne schaut sich Gunter Hofmann die bisherigen Ansätze durch – und schaudert

Es wächst die Zahl der besorgten Stimmen, die vor einem endgültigen Scheitern des Euro warnen oder, wegen der Krise der Währungsunion, nicht einmal Kriege in Europa ausschließen mögen. So weit beispielsweise ist der polnische Finanzminister Jacek Rostowski in einem – übrigens überaus klugen – Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gegangen. Auf die Frage, ob er mit solchen Worten von der drohenden Katastrophe die Panik nicht selbst schüre, erwiderte er: „Nein. Auf den Märkten ist die Panik ja längst da. Das Problem ist nur, dass Wähler und Politiker das noch nicht gemerkt haben“.

Ich halte das für eine realistische Einschätzung. Aber sie kontrastiert eigentümlich mit der Botschaft, die wir tagtäglich aus Berlin erhalten: Europa müsse nur dem deutschen Beispiel folgen, es brauche eine „Kultur der Stabilität“, seht her, wir sparen und sind hochproduktiv und Exportweltmeister. Europa müsse, heißt es, eine „Stabilitätsunion“ werden. Folgt uns! Unverhohlen wird damit das „Modell Deutschland“ als Rezept empfohlen. Volker Kauders Fanfarenstoß, „Europa spricht deutsch“, hat Erregung genug ausgelöst – offenbar aber hat er nur undiplomatisch und plump formuliert, was im Kanzleramt ernsthaft so empfunden wird.

Timothy Garton Ash, Historiker aus Oxford, Deutschlandkenner und ein überzeugter britischer Europäer, hat kürzlich im Guardian argumentiert, in dieser „existentiellen Krise des europäischen Projekts“ habe Deutschland seine Führungsrolle nicht gesucht. Ironischerweise habe Frankreich mit der Währungsunion das vereinte Deutschland in Europa einbinden wollen, während diese Union jetzt Deutschland fast zwinge, den anderen Europäern Vorschriften zu machen. Nun aber, holt Ash aus, zeigten sich zwei Probleme: Einmal eine Stilfrage, dann eine Substanzfrage. Der Ton macht die Musik, erwidert er auf Kauder und spricht von „Kauderwelsch“. Was aber, fragt er, wenn das deutsche Rezept, selbst wenn es zu 70 Prozent richtig sei, in einer Welt panischer Märkte bald zu 100 Prozent scheitert?

Am Donnerstag wollen Angela Merkel und Nicolas Sarkozy sich unter anderem mit dem neuen italienischen Regierungschef Monti treffen. Wissen möchten sie, flüstern dazu „diplomatische Kreise“, was er jetzt vorhabe, um Italien „fit“ zu machen. Der Druck auf die Südländer dürfe nicht nachlassen. Das klingt verflixt nach einem Berlin-Paris-Kommissariat, das aufpasst, dass die „neue Stabilitätskultur“ auch umgesetzt werde. Auch da lässt der Ton aufhorchen. Noch weiter geht es, wenn die Kanzlerin offen erklärt: Wenn in manchen Staaten 40 Prozent aller jungen Erwachsenen arbeitslos seien, dürfe man sich nicht wundern, wenn die Märkte die Aussichten solcher Länder skeptisch beurteilten. Das Modell, dem sie folgen, befördert diese Arbeitslosigkeit augenblicklich noch explosionsartig.

Als Zwischenbilanz seit Beginn der Griechenland-Krise muss man einfach festhalten, dass keines der Rezepte – und sie kamen praktisch immer aus deutscher Küche, mit Paris im Gefolge – die fortdauernde Panik der Märkte verhindert hat. Italien bekommt das jetzt zu spüren: Berlusconi ist glücklicherweise abgetreten, aber die Kredite für das Land sinken keineswegs. Wenn hinter den Kulissen wirklich an einer stärkeren Rolle für die EZB gebastelt wird (oder doch gemeinschaftlich garantierte Anleihen, also Euro-Bonds), dann fragt man sich: Warum nicht gleich? Zu Beginn der Krise wäre das die richtige „Brandmauer“ gewesen, aber ob der Vertrauensschwund jetzt noch zu beenden ist, kann man nicht wissen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum die Verschuldung unter rot-grün dringend geboten war.

Als „deutsches Modell“ wird neben der Haushaltsdisziplin auch Schröders „Agenda 2010“ und seine frühzeitige Reaktion auf die globalisierte Ökonomie angepriesen. Mit der Haushaltsdisziplin war es so weit bekanntlich nicht her, die Verschuldung ist nur vergleichsweise niedriger, aber die rot-grüne Regierung verstieß freilich auch gegen die Drei-Prozent-Obergrenze für Neuverschuldungen.

Und die Pointe: Man konnte Schröder dabei sogar verstehen, die Arbeitslosigkeit wuchs dramatisch, ein bisschen keynesianisches Gegensteuern war dringend geboten. Nur „Austerität“ hätte die Lage erschwert. Dieses Argument aber gilt künftig für Länder wie Griechenland, Italien, Spanien oder Irland ebenso. Ehrlicherweise muss man sogar hinzufügen: Die Verschuldungen wurden von den europäischen Nachbarn ja bis zur Lehman- und Griechenland-Krise duldend und schweigend in Kauf genommen, weil man froh war, dass die Arbeitslosigkeit nicht gar zu dramatisch ausufert und die sozialen Friktionen an den Rändern Europas das Zentrum nicht auch noch erschüttern.

Alle Kundigen wussten, dass es sich um künstliche, kleine Wirtschaftswunder handelte, manche – wie die deutschen Banken und die Exportindustrie – profitierten auch noch unmittelbar davon. Endlich Schröders „Agenda“ als Modell, um den Sozialstaat zeitgemäß zurückzustutzen: Damals ging die Opposition unter Angela Merkels Regie auf Tauchstation oder, wie Schröder sagte, „lag in der Furche“, weil er den Unmut der Leute abbekommen sollte, nicht sie. Bald darauf warf er das Handtuch. Als „Modell“ aber priesen weder die Union noch die Wirtschaftsjournalisten seine Politik, immer noch bekam man zu hören, die Politik sei inkonsequent, der Staat müsse weiter zurückgestutzt werden und wir müssten uns radikaler „den Märkten“ öffnen. Wenig später beklagten die selben Autoren die große soziale Ungerechtigkeit im Land.

Modell Deutschland? Die Bundesrepublik wurde noch vor zehn Jahren als überholt, gelähmt, unter Regeln erstickt und hoffnungslos wettbewerbsunfähig dargestellt. Das war natürlich Unsinn. Jetzt schmückt sich ein Teil der Politik damit, es sei hier eben alles richtig gemacht worden – Produktivität, Effizienz, Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften, alles Gold. Das überzieht nun in die andere Richtung. Im Wahlkampf bei Helmut Schmidt 1976 hieß die Parole schon einmal „Modell Deutschland“, das deutsche Sozialstaats- und Sozialpartnermodell wurde als Exportschlager angepriesen, das dann in den Schröder-Jahren als „Klotz am Bein“ galt. Sie haben so ihre Schicksale, die „Modelle“.

Das stolze „Modell“ von heute lebt schlicht davon, dass Europa intakt bleibt und sich weiter formiert, und dass eine Weltrezession zu verhindern ist. Um noch einmal Jacek Rostowski zu zitieren: Es bestehe die Gefahr, dass die Krise auch bei Italien nicht halt mache und jedes Land einhole, „einschließlich Deutschland“. Wenn es nicht gelinge, mit den richtigen Strukturen die Situation unter Kontrolle zu bringen, werde „kein einziges Land der Katastrophe entgehen“. Bisher hat die deutsche Modellpolitik dahin geführt, dass man zunehmend solche düsteren Urteile zu hören bekommt wie das von Rostowski oder von Ash, die ich sehr ernst nehme.

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