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Militär - Der Apparat frisst seine Minister

Schon der Kauf von Strickmützen für die Soldaten ist ein schwieriger Akt. De Maizières Euro-Hawk-Debakel zeigt das komplexe System aus Militär, Ministerialbürokratie und Rüstungsindustrie, das der Untersuchungsausschuss jetzt durchleuchten soll. Lässt sich ein solches Ministerium überhaupt steuern?

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Thomas Wiegold arbeitet als freier Journalist im Bereich Verteidigungs- und Sicherheitspolitik

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Dieser Artikel ist eine Kostprobe aus der Juni-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Online-Shop erwerben können.

 

 

In der Welt der Militärs gerät schon ein kleiner Einkauf zum Großprojekt. Vier Seiten widmete die Wehrbürokratie vor zwei Jahren einer wichtigen Neuerung: Im „System Ausstattung Soldat, Subsystem Ausstattung Soldat allgemein in der Fähigkeitskategorie Unterstützung und Durchhaltefähigkeit“ erteilten die Beamten die Nutzungsgenehmigung – für eine neue Strickmütze. Natürlich nach Eignungsprüfung und Sichtung der Marktverfügbarkeit. Die „Anforderung zur Änderung“ der bisherigen Strickmütze lag da schon eine Weile zurück: knappe drei Jahre.

Ob Kleinteil wie Strickmütze oder Großgerät wie ein neues Kriegsschiff oder etwas noch nicht Erprobtes wie eine Riesendrohne: Die Rüstung, quasi der Investitionshaushalt des Verteidigungsressorts, ist seit Jahrzehnten die Zeitbombe für jeden Ressortchef. Wie Thomas de Maizière im Fall der Drohne Euro Hawk übernimmt jeder neue Minister Altlasten seiner Vorgänger. Mit gut sieben Milliarden Euro machen die Anschaffungen vom Kampfjet bis zum Handschuh zwar noch nicht mal ein Viertel des jährlichen Verteidigungsbudgets aus. Doch die komplexe Beschaffung, die sich gerade bei Flugzeugen, Schiffen oder gepanzerten Fahrzeugen auch schon mal über Jahrzehnte hinzieht, kann keiner der meist nur wenige Jahre amtierenden Minister überblicken.

Dennoch ist bislang noch kein Verteidigungsminister der Bundesrepublik über einen Rüstungsskandal in seiner Amtszeit gestolpert. Zwar mussten von den bislang 16 Ressortchefs sieben zurücktreten oder wurden entlassen, die Gründe für den früheren Abgang hatten jedoch mit ihrem Verhalten zu tun – zum Teil auch dem privaten.

Allerdings: Dass sie ihren Laden immer im Griff gehabt hätten, kann man selbst von den Ministern kaum sagen, die ihre normale Amtszeit hinter sich brachten. Und fast jeder versuchte sich an einer Reform, die stets die umfassendste und einstweilen letzte sein sollte – wie Rudolf Scharpings „Reform der Bundeswehr von Grund auf“ im Jahr 2000 oder Thomas de Maizières „Neuausrichtung“ elf Jahre später.

Immer sollte es in den vergangenen zwei Jahrzehnten darum gehen, nach Ende des Kalten Krieges die Bundeswehr alter Prägung umzubauen zu der Armee, die in heutigen Zeiten benötigt wird – mit dem Material, das eine solche Truppe braucht.

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Der häufige Wechsel an der Spitze des Wehrressorts – allein in den vergangenen 20 Jahren die sechs Minister Volker Rühe, Rudolf Scharping, Peter Struck, Franz Josef Jung, Karl-Theodor zu Guttenberg und Thomas de Maizière – führte allerdings dazu, dass kaum eine Reform zu Ende war, wenn die neue begonnen wurde. Als de Maizière im vergangenen Jahr die Liste der Standorte vorlegte, die mit der Verkleinerung der Bundeswehr geschlossen werden, standen auch ein paar Restposten dabei: Die Schließung dieser Standorte hatte noch sein Vor-Vor-Vorgänger Struck beschlossen.

Das versetzt nicht nur die Truppe in den permanenten Ausnahmezustand. Auch die Minister selbst und die Spitze des Ministeriums konnten und können kaum noch über alle Verästelungen im Geflecht von Reformen und Rüstungsprojekten auf dem Laufenden sein. Die Komplexität von Beschaffung und Betrieb wurde durch immer mehr Komplexität ersetzt. Die Verantwortlichkeiten gerade beim Kauf neuen Geräts verschwammen so sehr, dass eine Kommission unter Vorsitz des Chefs der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, von „organisierter Verantwortungslosigkeit“ sprach.

Am Ende vermittelten die meisten Amtsinhaber in den neunziger Jahren den Eindruck, dass sie ihren Laden nicht im Griff hätten. Ausgerechnet zwei Minister, die gegensätzlicher kaum sein könnten, waren unter den sechs Ressortchefs der vergangenen zwei Jahrzehnte eine Ausnahme: der CDU-Minister Volker Rühe, wegen seines ruppigen Umgangs auch als „Volker Rüpel“ geschmäht. Und der im vergangenen Jahr verstorbene SPD-Minister Peter Struck, der als „Soldatenkumpel“ in Erinnerung blieb.

Was diesen beiden so unterschiedlichen Politikern an der Spitze des Verteidigungsministeriums gemeinsam war: Sie achteten darauf, dass sie vom Apparat nicht dumm gehalten wurden. Rühe mit harter Hand, Struck mit einer kollegial geführten Leitung aus Staatssekretären und Generalinspekteur, die auf ihn eingeschworen war. Vor allem aber pflegten beide Minister Frühwarnsysteme in den Verästelungen des Ministeriums. Dafür nutzten sie den sogenannten Planungsstab, der direkt dem Minister zugeordnet war. Unter Rühe verdiente sich sein Planungsstabschef Ulrich Weisser den teils respektvollen, teils spöttisch gemeinten Titel „Großadmiral“, unter Struck sorgten der Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und Franz Borkenhagen als Leiter des Planungsstabes dafür, dass der Minister auf dem Laufenden blieb – wenn es sein musste, auch am Dienstweg vorbei.

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Ausgerechnet der bürokratische de Maizière strich den Planungsstab als Minister-Eingreiftruppe bei der vorerst letzten Reform ersatzlos. „Wer stellt jetzt die Hofnarren-Fragen?“, kritisiert ein enger Mitarbeiter eines früheren Verteidigungsministers. Wer hat den Überblick, um den Chef vor Fußangeln und Tretminen zu warnen?

Da nützt es dem Ressortchef auch wenig, auf die formale Zuständigkeit seiner Staatssekretäre zu pochen und, wie de Maizière, das eigene Handeln am ebenso formalen Weg der Ministervorlagen auszurichten. Am Ende fragt die Öffentlichkeit nicht nach Formalitäten, sondern nach dem, was passiert ist. Der Minister selbst trägt die politische Verantwortung – ganz egal, ob er über den Dienstweg informiert wird oder auf dem Flur von einem Vorgang hört.

Im Wehrressort, klagt ein langjähriger interner Beobachter der Entscheidungsabläufe, fehle es seit Jahren vor allem an einem: an der Grundeinstellung, dass die Spitze gleich denkt und gemeinsam handelt. Ministeriumsspitze und Apparat zogen zunehmend an einem Strang, aber in verschiedene Richtungen. Obendrein nahm die Komplexität zu.

Denn mit normalem Einkauf in einer Marktwirtschaft haben Rüstungsprojekte wenig bis gar nichts gemeinsam. Schon wer der Kunde im klassischen Sinne ist, steht gar nicht so genau fest: Wer das neue Gerät beschafft, ist nicht zwingend der, der entscheidet. Wer die Anforderungen an die Neuinvestition aufstellt, steht nicht zwingend in Kontakt mit jenen, die das Gerät eines Tages nutzen sollen.

Lange Beschaffungsdauer, komplizierte Managementverfahren mit verteilten Verantwortlichkeiten und ein Spannungsfeld zwischen der zivilen Beschaffungsbürokratie und den uniformierten Nutzern sind noch nicht das ganze Problem. Kaum ein Produkt wird von der Stange beschafft, wie es die Industrie anbietet; fast immer will der Kunde – sprich: sowohl die Ministerialbürokratie als auch das Militär – etwas Neues, das erst neu oder umentwickelt werden muss. Die Industrie hat ein Interesse daran, ihre neuesten, vielleicht auch noch nicht ausgereiften Lösungen möglichst früh zu verkaufen, denn zwischen Entscheidung und Lieferung vergehen nicht selten Jahre oder sogar Jahrzehnte.

Kauft die Bundeswehr einmal ein Produkt, das es schon gibt, muss es wenigstens angepasst werden. Das führte – und führt – bisweilen ins Absurde. Legendär sind die handelsüblichen AA-Batterien, massenhaft im Gebrauch von der Taschenlampe bis zur Nachtsichtbrille. Jahrzehntelang gab die Bundeswehr diese Verbrauchsgüter in militarisierter Form aus, im militärtypischen Dunkelgrün mit chromgelber Versorgungsnummer als Sonderanfertigung. Einmal in großer Menge gekauft, lagen sie jahrelang im Depot und landeten am Ende teuer und teilentladen bei der Truppe. Kleinere Posten Batterien aus dem Großhandel hätten es auch getan: Im Batteriefach des Geräts ist die Farbe nicht einmal zu erkennen.

Das Hauptproblem ist allerdings der langwierige Prozess für die wirklich großen Dinge – vom ersten Konzept für ein Kampfflugzeug, einen Hubschrauber oder ein Panzerfahrzeug bis zum ersten echten Einsatz. Die Industrie verspricht nur zu gerne ein Produkt am „vorderen Ende der technologischen Entwicklung“, die sie sich vom Kunden, also dem Verteidigungsministerium, gut bezahlen lässt. Der Kunde tritt keineswegs einheitlich auf – was die Militärs als Anforderung ins Lastenheft schreiben, wird von den (zivilen) Beschaffern vielleicht ganz anders bestellt. Selbst unter den Uniformträgern nennen Heer, Luftwaffe und Marine bisweilen verschiedene Anforderungen. Doch aus den Problemen lernen die wenigsten, denn vor allem aufseiten der Soldaten wechseln die Zuständigen alle paar Jahre auf eine andere Stelle, oder, wie es militärisch heißt, in eine andere Verwendung.

Wann, wo und von wem bei einem solchen Projekt ein Fehler gemacht wurde, ist ein Jahrzehnt später kaum noch nachvollziehbar. Schon zu Beginn in der Analyse- oder der Definitionsphase, als die ersten Ideen entwickelt wurden? Im Verlauf der Entwicklung, als neue Anforderungen hinzukamen, alte verworfen wurden? Bei der Planung für einen Vertrag, im Vertrag selbst – oder erst, als das ganze Vorhaben schon umgesetzt schien?

Der „Boxer“, das neueste gepanzerte Transportfahrzeug der Bundeswehr, hat ein Gewicht von mehr als 30 Tonnen. Begonnen wurde die Idee, erzählte einst der frühere Heeresinspekteur Gert Gudera, mit den Planungen für ein 20-Tonnen-Fahrzeug, um den schnelleren Lufttransport in den Einsatz zu ermöglichen: „Dann macht jeder noch eine Öse dran, und schon sind wir bei 30 Tonnen.“

Natürlich hat es unzählige Versuche gegeben, das zu ändern. „Auf dem Markt vorhandenes Material soll vorrangig nach marktüblichen Regeln beschafft, die Eigenverantwortung der ausführenden Unternehmen soll gestärkt werden“, verkündete im Januar 2002 Detlev Petry, der damalige Chef des für Beschaffungen zuständigen Amtes.

Es blieb ein Wunsch. So ist die Beschaffung weiter ein sich selbst blockierendes System. De Maizières Debakel mit dem Euro Hawk ist noch nicht mal das teuerste Beispiel: Mit einem laut verkündeten „kommerziellen Ansatz“ hatten sieben Länder beim Hersteller Airbus Military aus dem Eads-Konzern das neue Transportflugzeug A400M geordert. Auf den vereinbarten „Festpreis“ von 20 Milliarden Euro für das Projekt legten die Bestellerländer 2010 noch 3,5 Milliarden Euro drauf, weil der Hersteller Airbus Military aus dem Eads-Konzern auf politischer Ebene drohte, das Projekt abzubrechen. Bei der Bundeswehr sind die Maschinen, die ursprünglich 2011 geliefert werden sollten, bis heute nicht angekommen.

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