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Mia san mir - Warum die Bayerntracht den Wahlsieger macht

Während des Wahlkampfes zur bayerischen Landtagswahl sind Horst Seehofer und sein SPD-Herausforderer Christian Ude immer wieder in die Tracht gestiegen. Die Botschaft: Volksnähe. Nirgends funktioniert das so gut wie in Bayern

Autoreninfo

Sarah Maria Deckert ist freie Journalistin und lebt in Berlin. Sie schreibt u.a. für Cicero, Tagesspiegel und Emma.

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In München schlagen die Lebkuchenherzen bis zum Hals.

Einmal im Jahr verdichtet sich die Luft in der bayrischen Landeshauptstadt. Dann drehen Braurösser und Karussellpferde wieder ihre Runden, der Gerstensaft fließt in Strömen und ein satter Geruch von Hendl und gebrannten Mandeln steigt auf. Im Freistaat steigt das größte Volksfest der Welt; Millionen von Besuchern strömen auf die „Wiesn“.

Vor den Augen der Weltöffentlichkeit werden hier die Identitätspraxen einer urbanen Gesellschaft zum lokalen Spezifikum. In schunkelnder Übereinkunft eignen sich die Besucher des Münchner Oktoberfestes, einheitlich uniformiert in Lederhose und Dirndl, einen Habitus an, der für sie der Idee von bayrischer Lebensart gleichkommt. Zwei Wochen lang ist die ganze Welt weiß-blau eingefärbt, so scheint es.

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Es ist ein Phänomen, das einzigartig ist in der Bundesrepublik. In keinem anderen deutschen Bundesland verschränken sich Brauchtum und Tradition derart eng mit einem modernen – auch politischen – Bewusstsein. Die globalisierte Gesellschaft verspüre eine „ungekannte Sehnsucht“ nach so etwas wie Heimat und Zugehörigkeit, schreibt die Kulturwissenschaftlerin Simone Egger von der Ludwig-Maximilians-Universität in München in ihrem Buch „Phänomen Wiesntracht“. Im gelebten bayrischen Traum werde diese Sehnsucht erfüllt – zumindest für einen Moment.

CSU hat Bayern für sich neu erfunden

Vor allem eine Partei hat sich diese spätmoderne Sehnsucht nach Identität zunutze gemacht. Die Rede ist von der CSU, der Partei, die das „schöne Bayern“ quasi für sich neu erfunden hat. Geographisch betrachtet ist der Freistaat kein Gebilde, das durch Reformen erwachsen ist. Es lässt sich vielmehr schon verhältnismäßig lange auf demselben Staatsgebiet verorten. Das ist eine zentrale Grundvoraussetzung für das Zusammenspiel von Tradition und Politik, wie es anhand der CSU nachzuvollziehen ist.

Mit dem Bekenntnis zu ihrer bayrischen Heimat stellen sich die Christsozialen in eine Reihe mit der landeseigenen Geschichte. Sie demonstrieren offenkundig, dass sie das Land und die Menschen darin verstehen, mehr noch: Sie zeigen, dass sie dazugehören wollen. Sie zeigen, worum sich die meisten Politiker nur im Wahlkampf bemühen: Volksnähe. Die CSU hat das geschickt gemacht. Sie hat sich dem Bundesland Bayern untergeordnet und versucht seither so, innersystemisch zu wirken. Und lange Zeit hat sie davon profitiert. Das Bayrische ist zum Markenkern der CSU geworden, den sie seither auch über die Landesgrenzen hinweg zu verteidigen sucht. Dabei kommt vor allem der Tracht eine besondere Bedeutung zu.

Denn Kleider machen Leute. Das mag nach einer Binse klingen, doch das macht sie nicht weniger wahr: Schon im 19. Jahrhundert zeigten sich die Wittelsbacher mit Vorliebe in der historischen Tracht, um die gedankliche Nähe zu den Bürger zumindest zu suggerieren. Mit dieser Sympathieoffensive hatten sie auch Erfolg.

Deshalb tun CSU-Politiker das bis heute noch gerne. Wenn sich Franz Josef Strauß auf dem Oktoberfest im Lodenmantel präsentierte, dann war dies nie nur ein modisches Bekenntnis, sondern immer auch ein politisches Statement. Das stellt auch Egger in ihren Studien fest. So zeigen sich Horst Seehofer oder Ilse Aigner nicht nur deshalb in Tracht, weil sie ihnen so ausgezeichnet steht. Das bayrische Gewand – die Lederhose und das Dirndl – waren lange Zeit eng verbunden mit einer bestimmten konservativen Grundhaltung, die wenig Spielraum zuließ. So machte die bayrische Tracht aus ihrem bayrischen Träger automatisch einen wertkonservativen Bürger, der in seinem Kleidungsstil ein klares Bekenntnis zu seiner Heimat und den darin verankerten ideellen Grundfesten zum Ausdruck brachte.

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Mittlerweile hat sich das gewandelt. Nach Egger ist die Gleichung „Bayern + Tracht = CSU“ schon lange nicht mehr eindeutig definiert. Denn so wie die Lederhose und das Dirndl – und damit das bayrische Lebensgefühl – laut Egger in den vergangenen Jahren auch über den Weißwurstäquator hinaus an Popularität gewonnen haben, so hat die CSU analog dazu ihre absolute Vormachtstellung im Freistaat nach und nach eingebüßt.

Selbst Merkel nippt brav an jeder Maß Bier

Heute muss man nicht mehr aus Bayern stammen oder christsozial wählen, um sich mit den landestypischen Insignien schmücken zu dürfen. Grüne Biobauern tragen selbstverständlich einen Strickjanker. Münchens Oberbürgermeister und SPD-Politiker Christian Ude erscheint zum Anstich auf dem Oktoberfest in Lederhose. Grünen-Vorsitzende Claudia Roth feiert im schillernden Dirndl auf dem Christopher Street Day. Selbst in der FDP ist der Trend angekommen, wenn sie ihn auch für Negativschlagzeilen nutzt: So hätte Rainer Brüderle in seinem vieldiskutierten Verbalausfall Anfang des Jahres nie von einem „Dirndl“ gesprochen, wäre die bayrische Lebensart nicht so populär.

Auch die Kanzlerin übt sich in volksnaher Politik made in Bavaria. Noch vor ein paar Jahren wurde Angela Merkel vom damaligen bayrischen Ministerpräsidenten Günther Beckstein indirekt vorgeworfen, mit ihrer kühlen und sachlichen Politik die Herzen der Menschen nicht zu erreichen. Heute zieht Merkel auf Wahlkampftour durch Bayern und nippt in Festzelten brav an jeder Maß Bier, die ihr ans Rednerpult gestellt wird. Die Menge dankt es ihr.

So wie auf dem Oktoberfest über das Bayrische Gesellschaft verhandelt wird, so wird in der Politik über das Ausstaffieren mit bayrischer Symbolik Volksnähe verkauft – vor allem zur Wahlkampfzeit.

Doch nicht überall, wo Bayern draufsteht, ist auch Bayern drin – nicht einmal in der CSU. Das Bayrische ist nun mal mehr als Tracht und Bier in rauen Mengen. Es ist ein Lebensgefühl, das gelebt werden will und sich nicht einfach vortäuschen lässt. Bleibt zu hoffen, dass das die Wähler erst nach dem Gang zur Urne merken.

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