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(picture alliance) „Blockupy“-Proteste

Verbot der „Blockupy“-Proteste - Merkels Politik der Angst

Auf die Unzufriedenheit vieler Europäer reagieren konservative Politiker mit dem Schüren von Ängsten vor Chaos und Untergang. Das gilt für Angela Merkels Krisenrhetorik genauso wie für ihre Freunde in Frankfurt, die sich mit dem Verbot der „Blockupy“-Proteste blamierten

Am Sonntagmorgen meldete dpa, Frankfurt am Main habe eine „ruhige Nacht“ gehabt. Nun kommt so etwas öfter vor, und man fragt sich, warum dpa es meldet. Antwort: Weil Politiker und einige Medien vorher tagelang so taten, als drohe der Bankenstadt Chaos, wenn nicht Krieg. Weil sie, offenbar  gezielt, auf die Angst der Bürger vor Gewalt und Unruhe setzten, um sich als Wahrer der Ordnung aus der Affäre zu ziehen.

Was war geschehen? Ein breites Protest-Bündnis aus attac, Linkspartei, Gewerkschaften und ein paar radikaleren Gruppen hatte angekündigt, gegen die Macht der Banken und die falsche europäische Krisenpolitik zu demonstrieren. „Blockupy“ sollte, über vier Tage verteilt, aus Protestmärschen, einer Großdemonstration und einigen Sitzblockaden bestehen, unter anderem vor der Europäischen Zentralbank (EZB).

So breit das Bündnis war, so eindeutig verständigte es sich darauf, gewaltfrei zu bleiben. Die Stadt Frankfurt aber, unterstützt von Hessens CDU-Innenminister Boris Rhein, setzte von Anfang an auf eine Politik der Angst. Der Ordnungsdezernent, ebenfalls ein CDU-Mann, verbot fast alle Blockupy-Aktionen, weil der Protest die Geschäfte der Banker, Ladeninhaber und konsumierenden Bürger störe und weil die Anreise einiger Gewalttäter nicht auszuschließen sei.  Das war ungefähr so rechtsstaatlich, wie ein für allemal Fußballspiele zu verbieten, weil unter den Fans auch Gewalttäter sind.

Tatsächlich lief im Bankenviertel tagelang nichts mehr – nur dass es sich bei den Blockierern um Polizisten handelte und nicht um antikapitalistische Aktivisten. Diese demonstrierten trotz allem, nicht nur beim einzigen erlaubten Protestmarsch am Samstag. Sie demonstrierten friedlich und kreativ, ausgestattet mit realistischen und konkreten Forderungen für eine andere Ausrichtung der europäischen Finanzpolitik - und mit einem herablassenden Lächeln für eine Staatsmacht, die sich der Lächerlichkeit preisgegeben hatte.

Die Regierenden der Stadt hatten eine klare Entscheidung getroffen: Das Handwerk der Finanzinstitutionen hat Priorität vor der Versammlungsfreiheit derjenigen, die es für schädlich und undemokratisch halten. Dagegen hat sich der Protest erfolgreich gewehrt. Doch der Sieg, den die Blockupy-Aktivisten am Ende verkündeten, ist noch lange nicht sicher. Denn Frankfurt war an diesem langen Wochenende Versuchslabor für eine Strategie, die nur als Politik der Angst beschrieben werden kann.

Von Anfang an versuchten die Behörden, die Bürger als Geiseln zu nehmen. Fürchten, so die Botschaft, müssten sie nicht einen Finanzkapitalismus, der mit Derivaten, mit Lebensmitteln und ganzen Staatshaushalten spekuliert, auf Kosten staatlicher Steuerungsmöglichkeiten und sozialen Ausgleichs. Fürchten müssten sie schon gar nicht diejenigen Politiker, die Europas Rettung mit der Rettung der Banken verwechseln. Sondern fürchten müssten sie diejenigen, die sich dagegen wehren.

Nebenbei bemerkt: Mit der CDU regieren in Frankfurt die Grünen. Sie waren an diesem Wochenende verdächtig schweigsam. Aber die Träger des Protests haben verstanden, dass sie auf Grün nicht (mehr) zu setzen brauchen.

Seite 2: Von Angstmache und Chaosfantasien

Dass Angstmache und Chaosfantasien selbst durch mehrere Gerichtsinstanzen Wirkung zeigten, ist besorgniserregend. Noch aus den Entscheidungen, die die Verbote bestätigten, sprach ein Sicherheitsdenken, das dem „Weiter so“ den Vorrang vor dem Versammlungsrecht einräumte. Das Bundesverfassungsgericht, das die Verbote in einer Eilentscheidung passieren ließ, wird das letzte Wort noch zu sprechen haben.

Was in Frankfurt am Beispiel physischer Präsenz des Protests verhandelt wurde, das findet sich auf der Bundesebene in anderer Form. Merkels Politik der Angst arbeitet nicht mit Gewaltfantasien, sondern mit der alten deutschen Panik vor Schulden und Inflation.  Alternativen zum reinen Spardiktat bezeichnet sie als „schuldenfinanziert“, wohl wissend, welche Angst solche Begriffe in Deutschland mobilisieren.  Dass es bei Haushaltssanierung immer auch um die Einnahmeseite geht, wird verschwiegen oder hinter der angstgetriebenen Parole „Keine Steuererhöhungen!“ versteckt. Nur wenn es gar nicht mehr anders geht, lässt Merkel sich auf eine Finanzmarktsteuer ein, deren Durchsetzung in den Sternen steht.

So werden die Ängste vor Verarmung für eine Politik der Verarmung mobilisiert, die doch längst begonnen hat. Dass die – noch – gute Wirtschaftslage Deutschlands parteiübergreifend mit Niedriglohnpolitik erkauft wurde, sprechen Merkel und Freunde natürlich nicht aus. Dass das Spardiktat die Kaufkraft eben jener Märkte zerstört, von denen deutsche Exporte profitierten, verschweigen sie auch. Und die Niedriglöhner, die Dauerpraktikanten, die prekär Beschäftigten – sie halten mehrheitlich still, weil es ja noch schlimmer werden könnte.

Damit genau das so bleibt, wurde in Frankfurt ein Exempel statuiert. Als eigentliche Bedrohung für ein auskömmliches und ungestörtes Leben der Menschen sollten nicht diejenigen Institutionen dastehen, die es gefährden. Die eigentliche Gefahr, das wollte die exzessive Frankfurter Verbotspolitik sagen, gehe von denjenigen aus, die sich dagegen wehren und Alternativen fordern.

Die Verbote, sagen jetzt die Verantwortlichen, hätten potenzielle Gewalttäter erst abgeschreckt. Was sie vergessen: Gegen Straftäter gibt es Gesetze und Polizisten. Unter dem Vorwand der Verhinderung von Straftaten einer friedlichen Mehrheit das Versammlungsrecht zu nehmen, das hat mit Rechtsstaat wenig zu tun. Aber dieser Versuch der Regierenden, ihre Strategie zu rechtfertigen, zeigt zumindest eins: Es wird noch viele Blockupy-Wochenenden geben müssen, bis die Politik der Angst sich erledigt hat.

Stephan Hebel arbeitet als Politischer Autor bei der Frankfurter Rundschau

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