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(picture alliance) Merkel umringt von Menschen beim Tag der offenen Tür im Kanzleramt

Machtarchitektonik - Merkel stößt an ihre Grenzen

Seit nunmehr sieben Jahren regiert Angela Merkel die Deutschen. Inzwischen hat sie ein stilles Band zwischen sich und der Bevölkerung geknüpft. Wir versprechen, dich wiederzuwählen, du versprichst uns eines: keine Turbulenzen. In der Eurokrise ist das nicht mehr einzulösen

Nun ist es wieder geschehen. Das dritte Griechenlandpaket ist perfekt. Von der Bundesregierung noch vor einigen Wochen in den Bundestagsfraktionen von Union und FDP als „nicht vermittelbar“ weggeschoben, ist es am Freitag mit einer großen Mehrheit verabschiedet worden. Die Sozialdemokraten haben sich kurz gewunden, dennoch ist das neue Milliardenpaket für die ächzende hellenische Republik pünktlich zum Bundesparteitag der CDU, der an diesem Dienstag beginnt, unter Dach und Fach.

Angela Merkel hat es wieder einmal geschafft. Selbst CSU und FDP haben jeden Widerstand gegen die Griechenlandrettung aufgegeben. Wieder hat sich die Kanzlerin Zeit erkauft. Die Opposition ruft nun im Einklang, Merkel soll der Bevölkerung reinen Wein einschenken und sagen, wie viel Kosten auf die Deutschen zukommen werden. Nicht scheibchenweise, sondern in einem Stück. Doch die denkt gar nicht daran. Sie hält dies für bloße Oppositionsrhetorik. Im Gespräch mit der Bild am Sonntag sagte sie, „wir sollten alle Verunsicherungen vermeiden.“ Merkel bleibt ihrer eingeschlagenen Linie treu und vermittelt der deutschen Bevölkerung, die Deutschen mögen sich keine Sorgen machen, sie regle das schon.

Die Kanzlerin und die Deutschen, sie pflegen eine ganz eigenwillige Beziehung zueinander. Mit Ach und Krach hangelte sich Angela Merkel 2005 ins Kanzleramt. Ihre Rolle als Wiedergängerin der eisernen Lady, Maggie Thatcher, beendete sie noch am Wahltag 2005. Die deutsche Bevölkerung lehnte diese Rolle ab. Seitdem aber hat Merkel verstanden. Sie hat sich vollends auf die Mehrheit der Deutschen, auf ihre Grundstimmung und Befindlichkeiten eingelassen und regiert so nun mühelos seit sieben Jahren.

Dabei hüllt sich seit Anbeginn dichter Nebel um ihre politischen Grundüberzeugungen. Sie hat selbst einmal gesagt, sie sei mal konservativ, mal liberal, mal christlich-sozial. Fast schon surreal hat ihre jüngste Regierungserklärung gewirkt. Überall Krisenstimmung und sie dankte ihrem Finanzminister Wolfgang Schäuble, dass er trotz einer Nacht ohne Schlaf immer noch munter auf der Regierungsbank sitze. Ihre gesamte Rede wirkte profan, fast belanglos und der Krisenlage kaum mehr angemessen. Auf dem Höhepunkt ihres Redebeitrags sprach sie von der „besten Regierung seit der Wiedervereinigung.“ Das war dann selbst Parteifreunden ein wenig zu viel.

Die Kanzlerin bleibt sich damit aber nicht nur treu, sondern sie liefert. Sie liefert der deutschen Bevölkerung seit nunmehr sieben Jahren Bodenständigkeit, Normalität, Nüchternheit und Ruhe. Trotz der seit 2008 andauernden Finanzkrise. Keine Turbulenzen in diesen turbulenten Zeiten. Fast schon lässt sich ein stilles Band zwischen der Regentin und der Bevölkerung ausmachen, eine Zweckbeziehung, die darauf gerichtet ist, dass die Kanzlerin den Menschen vor allem „business as usual“ vorspielt und diese wiederum ihr seit 2005 so sehr vertrauen, dass eine dritte Amtszeit nur noch Formsache zu sein scheint.

Die Kanzlerin hat Beliebtheitswerte wie früher nur Bundespräsident und Außenminister. Eigentlich ist der Regierungschef immer ein wenig abgeschlagen in der Gunst der Wähler gewesen, weil er die Politik im Ganzen vertreten muss, auch die unbequeme. Doch Merkel hat schon früh in der Großen Koalition anderen  überlassen, politische Entscheidungen zu vertreten. Als Franz Müntefering 2007 das letzte große Reformprojekt, die Rente mit 67, anschob, musste Merkel selbst schon staunen, dass ihr eine Reform vom Juniorpartner SPD auf dem Silbertablett hergereicht wurde. 2009 gelang es der Kanzlerin, in ihre Wunschkoalition mit der FDP zu wechseln. Die SPD indes wurde mit 23 Prozent abgestraft. Die Liberalen haben fortan die Merkel’sche Marginalisierung  zu spüren bekommen. Die FDP kämpft seit anderthalb Jahren mit der Fünf-Prozent-Hürde. Gekommen war sie 2009 von 14,6 Prozent. Merkel indes hat verstanden, wonach die deutsche Bevölkerung verlangt und ihre Politik dahingehend perfektioniert, präsidial sakrosant zu sein. So hebt sie hergebrachte Spielregeln der Politik aus den Angeln.

Aus anfänglicher Sympathie wurde eine destruktive Beziehung

Eine Bilderbuchbeziehung, wäre da nicht die Eurokrise

Machtpolitisch läuft es für Merkel ideal. Hinzu kommt, sie ist bis dato zu einer europäischen „Superkanzlerin“ avanciert. Ohne Merkel geht in Europa nichts. Auch das rechnet ihr eine Mehrheit der Deutschen hoch an. Die Opposition aus SPD und Grünen bekommt Merkel gar nicht mehr zu greifen. Sie ist mit der Bundesregierung in Sachen Europa quasi zu einem Haftungsverband verschmolzen. Der Kanzlerkandidat der SPD, Peer Steinbrück, kann sich immer noch nicht von seiner Honoraraffäre erholen und bleibt selbst die große Erzählung um Europa schuldig. Mit dem Aufzählen einiger Grundrechte ist es jedenfalls nicht getan. Merkel hält ihren Herausforderer bisher auf deutliche Distanz.

Kann dieses Merkel-Märchen immer so weitergehen? Die Eurokrise schwelt weiter und international wundert man sich, warum die „German Angst“ nicht längst eingesetzt hat.

Während immer weitere Hilfspakete für Griechenland geschnürt werden und halb Europa am Abgrund taumelt, lechzt die deutsche Bevölkerung nach immer mehr scheinbarer Normalität. Und Angela Merkel ist gewillt, sie ihr zu liefern. Deswegen wird ein griechischer Schuldenschnitt so konsequent vertagt. Er würde diese herzliche Eintracht zwischen der Kanzlerin und der deutschen Bevölkerung nur stören, weil er offensichtlich machte, dass längst ein Transfer von Nord nach Süd begonnen hat, der den deutschen Wohlstand ankratzen könnte, der womöglich Turbulenzen in den gewohnten Alltag bringen würde. Die „German Angst“ vor Massenarbeitslosigkeit, Rezession und Inflation wäre schlagartig wieder da.

Das gilt es, mit allen Mitteln abzuwenden. Dabei haben es sich Merkel und die Mehrheit der Deutschen gemeinsam zu bequem gemacht. Teils aus der inneren Furcht vor dem, was noch kommen kann sowie den komplexen Zusammenhängen der Wirtschaftskrise selbst, teils aus der Illusion heraus, dass mit der Zeit schon alles gut gehen werde. Inzwischen genießt man einfach politische Ruhe und die scheinbare Normalität. Hier zeigt sich eine inzwischen destruktive Beziehung, die zu Lasten breiter ökonomischer Debatten geht, einen Ausweg aus der Krise zu finden.

Und das Konstrukt wackelt: Wenn auch notgedrungen, kann die Kanzlerin einen Schuldenschnitt nicht mehr ausschließen. Wenn Merkel aber die von ihr stillschweigend zugesicherte Ruhe und Normalität nicht mehr liefern kann, wird sich die Bevölkerung abwenden. Das ist in destruktiven Beziehungen immer so, sie erscheinen lange als robust und widerstandsfähig, brechen aber relativ schnell ein, wenn ein Gegenüber nicht mehr im Stande ist, seinen Teil zu erfüllen. Merkel ahnt und fürchtet einen möglichen Stimmungsumschwung. Aus ihrer Sicht gilt es, weiter auf Zeit zu spielen und alternative Lösungen zur Krise auszublenden mindestens bis zur Bundestagswahl am 22. September 2013. Wenn die Krise aber vorher in Deutschland durchschlägt, kann Merkels Machtarchitektonik in sich zusammenfallen wie ein Kartenhaus.

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