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(picture alliance) Fahndungsbilder: Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos

NSU-Terrorist Uwe Böhnhardt - Mein Sohn, der Mörder

Wenn der eigene Sohn zum Mörder wird, ist die Ohnmacht nicht nur bei den Angehörigen der Opfer groß. Auch die Eltern trauern um einen verlorenen Sohn. Zum ersten Mal geben nun die Eltern des NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt ein TV-Interview und sprechen über das Unverzeihliche

„Glauben Sie wirklich, ich hätte meinen Sohn umarmt, wenn ich irgendwas geahnt hätte?“, fragt Brigitte Böhnhardt und verstummt. Eine Weile noch ist die Kamera auf ihr Gesicht gerichtet, als warte sie darauf, dass die Frau noch etwas sagt. Vergeblich. Was soll eine Mutter schon sagen, wenn der eigene Sohn tot ist, noch dazu wenn auf diesem der Verdacht lastet, ein Mörder gewesen zu sein. Ein Serienmörder.

Die Frau vor der Kamera ist Brigitte Böhnhardt, die Mutter von Uwe Böhnhardt. Er war einer der drei Neonazis aus der sogenannten Zwickauer Terrorzelle. Gestorben ist er am 4. November 2011, kurz nach 12 Uhr mittags, in einem Wohnmobil in der Nähe von Eisenach. Erschossen von seinem Freund, Uwe Mundlos, der ihm wenige Sekunden später in den Tod folgt. „Ich spüre noch immer die Umarmung von Uwe Mundlos“, erinnert sich Brigitte Böhnhardt an ein letztes Zusammentreffen vor vielen Jahren. „Ich habe ihm zugeflüstert: ‚Du bist der Älteste. Pass auf meinen Uwe auf.‘“

Wie gehen Eltern damit um, dass ihr Kind mutmaßlich gemordet hat? Immer wieder stellt man sich diese Frage, wenn die Medien von Amokläufen an Schulen, blutigen Terroranschlägen oder kaltblütigen Morden berichten. Selten finden die Betroffenen die Kraft, sich dieser Frage in der Öffentlichkeit zu stellen. Die meisten verkriechen sich, ziehen weg, ändern ihre Namen.

Nicht so Uwe Böhnhardts Eltern. Wenige Monate nach dem Tod ihres Sohnes und den Enthüllungen über die Mordserie an Migranten, für die er mitverantwortlich sein soll, wagen sie den Schritt vor die Kamera. Sie sprechen über die Liebe zu ihrem Sohn, ihr Entsetzen über dessen Taten, ihre Hilflosigkeit den Opfern gegenüber. Ihre Verzweiflung brauchten sie nicht zu beschreiben, sie steht ihnen ins Gesicht geschrieben.

Ein Team des vom NDR produzierten Magazins Panorama sprach mit ihnen eine halbe Stunde lang. In einem 30-minütigen Film über die rechte Terrorgruppe NSU sind am Donnerstagabend im Ersten Ausschnitte aus dem Gespräch zu sehen, um Mitternacht zeigt die ARD das ganze Interview.

Die Panorama-Dokumentation erzählt dabei kaum Neues über das Werden und Sein der Zwickauer Terrorzelle. Der eigentlich Fokus liegt ohnehin auf dem Auftritt von Uwe Böhnhardts Eltern. In ihren Worten, ihrem Schweigen, ihren Blicken lässt sich die Ohnmacht und Ratlosigkeit erkennen, die sie seit fünf Monaten umtreiben, bei der vergeblichen Suche nach der Antwort auf die eine Frage: Warum ist mein Sohn zum Mörder geworden?

„Er war unser Jüngster, Kleinster, das Nesthäkchen. Er war unser Liebling, wenn sie so wollen“, sagt die Mutter, während sie im nächsten Moment einräumt, dass sie es als Eltern nicht geschafft hätten, ihrem Sohn Lernbereitschaft, Arbeits- oder Anstrengungsbereitschaft einzuimpfen. Sie, die ehemalige Lehrerin, die selbst mit Problemkindern mit Lern- und Disziplinschwierigkeiten arbeitete, soll ausgerechnet beim eigenen Kind versagt haben. „Wir haben gedacht, bei dem Jungen nutzen Ermahnungen nichts mehr, der muss mal einen Schuss vor den Bug kriegen“, so Brigitte Böhnhardt.

Sie bestreitet das Interview fast allein. Der Vater, ein alter schmaler Mann, das karierte Hemd bis zum obersten Knopf geschlossen, sitzt fast die gesamte Zeit hindurch schweigend und regungslos am Tisch. Brigitte Böhnhardt trägt einen grauen Pullover, er sieht aus wie neu gekauft. Die 63-Jährige wirkt stark und resolut, aber eben auch mütterlich. Eine Frau, an deren Schulter sich ein Sohn wahrscheinlich gerne anschmiegt, wenn es schwierig wird da draußen in der Welt.

Uwe Böhnhardt kommt in der Schule nicht mit, er schafft den Abschluss nicht, macht eine Lehre auf dem Bau, bekommt anschließend aber keinen Job. Früh driftet er in die rechte Szene Jenas ab, fühlt sich unter den älteren Kameraden vermutlich wohl und gestärkt, bestätigt. Von einem Sozialarbeiter wird er damals bereits als Schläger beschrieben, als rabiat und unberechenbar.

Die Eltern sollen von dieser brutalen Seite ihres Sohnes, wenn überhaupt, nur am Rande etwas mitbekommen haben. Als er am Abendbrottisch schließlich Naziparolen nachplappert, versuchen sie einzulenken, mit ihm darüber zu diskutieren. Doch vergeblich, wie sich Brigitte Böhnhardt erinnert: „‘Die Juden sind unser Unglück‘, hat er gesagt“, erzählt sie. Auf die Frage, ob er denn überhaupt einen Juden kenne, schweigt er.

Bald brachte er Freunde mit: Uwe Mundlos, den Brigitte Böhnhardt als freundlich, intelligent und charmant in Erinnerung hat, und Beate Zschäpe, mit der ihr Sohn damals liiert ist. Ein Foto zeigt die beiden am Familientisch sitzend, Zschäpes Hand auf seiner. Die Eltern hoffen, dass ihr Sohn jetzt vielleicht die Kurve kriegt. „Andere Eltern haben ja auch Probleme mit ihren Kindern, aber dann ist doch was aus ihnen geworden“, sagt sie. „Bei uns nicht“, fügt sie resigniert an.

Die drei Freunde sind unzertrennlich, erst recht, als sie Ende Januar 1998 in den Untergrund gehen. In den folgenden 14 Jahren sollen die beiden Männer zehn Menschen ermordet und mehr als ein Dutzend Banküberfalle begangen haben. Ob Beate Zschäpe davon wusste, ist wahrscheinlich, aber kaum nachweisbar. „Ich kann diese Taten meinem Sohn nicht zuordnen, tut mir leid“, sagt Brigitte Böhnhardt. Und auch der Vater fängt plötzlich an zu sprechen: „So was Kaltblütiges, nee, unmöglich“, wehrt er kopfschüttelnd ab.

Die Eltern Uwe Böhnhardts haben nach dem Abtauchen ihres Sohnes regelmäßig Kontakt zu dem Trio. Heimlich versteht sich, die Polizei soll nichts mitbekommen. Schließlich ist er ihr Sohn, der Angst, dass er im Gefängnis landet, ist groß. Man verabredet Anrufe in Telefonzellen und Treffen in Parks. Im Jahr 2000, so erzählt es Brigitte Böhnhardt, wollen Zschäpe und ihr Sohn sich stellen. Mundlos ist dagegen und setzt sich durch.

Brigitte Böhnhardt spricht in klaren Sätzen, kaum einmal stockt oder bricht ihre Stimme. Grotesk klingt da die Anekdote, als Beate Zschäpe sie bei einem ihrer heimlichen Treffen mit den Untergetauchten um Rezepte für Kuchen und Plätzchen bittet, die ihr Sohn angeblich gerne isst. Sie habe Zschäpe daraufhin bei einem weiteren Treffen ein Backbuch und Abschriften der Lieblingsgerichte ihres Sohnes aus alten Kochbüchern mitgebracht.

Einige Stunden später an diesem Tag sieht Brigitte Böhnhardt ihren Sohn zum letzten Mal. Das Trio soll entgegnet haben, dass es keine weiteren Treffen mehr geben werde. „Es war ein furchtbarer Abschied“, sagt sie. Unter Tränen habe sie ihren Sohn ein letztes Mal umarmt, die beiden anderen auch. Dass die drei zu diesem Zeitpunkt bereits vier Menschen getötet haben sollen, könne sie bis heute nicht fassen. Das war im Jahr 2002.

Und die Opfer? Jeden Tag würde sie an sie denken, „immer“, sagt Brigitte Böhnhardt. Es tue ihr leid, welchen Schmerz die Angehörigen ertragen mussten. „Aber wir können nicht um Verzeihung bitten“, sagt sie. „So etwas kann man nicht verzeihen. Man kann doch niemandem verzeihen, der den Vater oder den Ehemann umgebracht hat.“

Als die Leichen von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos am 4. November in dem ausgebrannten Wohnmobil gefunden werden, klingelt am Morgen des darauffolgenden Tages, früh um sieben Uhr, das Telefon der Familie Böhnhardt. Beate Zschäpe ist am Apparat. Das erste Mal seit mehr als neun Jahren meldet sie sich wieder. Brigitte Böhnhardt erinnert sich noch genau an ihre Worte: „Der Uwe kommt nicht, der Uwe ist tot. Der kommt nicht wieder zurück.“

Was bleibt sind ein Vater und eine Mutter. Wie die Angehörigen der Opfer der Zwickauer Terrorzelle trauern auch sie um einen verlorenen Sohn. Dass dieser ein Mörder gewesen sein soll, macht es nicht leichter.

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