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(picture alliance) Die Fronten verhärten sich

Energiewende - Mehr Planwirtschaft wagen

Rösler und Gauck haben bei der Energiewende vor zu viel „Planwirtschaft“ gewarnt, dabei braucht Deutschland genau das: mehr Staat, mehr Planung. Wer den Märkten jetzt noch vertraut, handelt grob fahrlässig

Ausstieg – das Wort hätte allerbeste Chancen auf den Titel „Unwort des Jahrzehnts“. Unlängst ist das Wort in Verbindung mit der Kernenergie pluralisiert worden. Der Ausdruck beschreibt gleich mehrere Wendemarken deutscher Energiepolitik. Und nun fügen Rainer Brüderle und Philipp Rösler – unter dem Beifall des Bundespräsidenten Joachim Gauck – diesen Volten eine weitere hinzu.  Ziel der nicht ganz neuen liberalen Ausstiegsgelüste: das Erneuerbare-Energien-Gesetz, welches die vorrangige Einspeisung und Vergütung von Strom aus erneuerbaren Quellen regelt.

Den liberalen Spitzen ist dieses Gesetz nicht der Hebel zum Gelingen der Energiewende, sondern vielmehr ein „reines Subventionsgesetz“. Planwirtschaft also, Sozialismus. Deshalb soll, zu Gunsten der Marktkräfte, die staatliche Umlage gestrichen werden. Der Ausstieg aus der Energiewende wäre beschlossen.

Dass die Liberalen unter den Augen des neuen Umweltministers Altmaier und ohne dessen Gegenwehr solche Pflöcke einrammen können, lässt erahnen, dass die Energiewende vom Röttgen in die Traufe geraten ist. Dabei ist ein solch gigantisches Projekt nicht im freien Spiel der Marktkräfte zu realisieren. Es braucht noch viel mehr Staat, noch viel mehr Planung, eine zentrale Koordination, einen öffentlichen Diskurs  und – ja – auch eine vernünftige Umlagenfinanzierung.

Schließlich waren es die freien Marktkräfte, die die Energiewende verhindert haben. In mühevoller Lobbyarbeit haben sie jahrelang den Ausstieg aus dem Atomausstieg der Regierung Merkel/Westerwelle begleitet. Brüderles Forderung, nun dieselben Versorger – mithin den Markt – über Strategien und Geschwindigkeit der Energiewende entscheiden zu lassen, wäre fahrlässig; das Vertrauen in den Markt  falsch und überdies ganz und gar ahistorisch.

Kernkraft wurde mehr subventioniert als erneuerbare Energien

Blickt man nur ein wenig interessiert zurück in die Geschichte großer bundesrepublikanischer Infrastrukturprojekte, so war es schon immer der Staat, der zunächst vorneweg schritt: Das gilt insbesondere für den Auf- und Ausbau der deutschen Kernkraftwerke. Die deutsche Industrie weigerte sich, in die friedliche Nutzung der Kernenergie einzusteigen – und das trotz einer heute nicht mehr nachvollziehbaren Atomeuphorie in Wissenschaft und Politik.

Daraufhin übernahm der Bund das finanzielle Risiko. Mit gigantischen Ausfallbürgschaften und hohen Anschubinvestitionen stützte er die Erforschung, den Bau und den Probebetrieb von Kernkraftwerken. Dieses Risiko scheute die deutsche Industrie, da ihr die Steinkohle als rentabler erschien. Auch der Einstieg in die kommerzielle Nutzung bedurfte staatlicher Planungsverfahren. Und vor allem: staatlicher Subventionen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung geht von 50 Milliarden Euro an direkten Subventionen für die deutsche Kernenergie aus, das Forum Ökologisch-Soziale Markwirtschaft unter Einbezug indirekter Förderungen gar von 200 Milliarden Euro. Im direkten Vergleich mit den erneuerbaren Energien gewinnt die Atomförderung also noch immer: Heruntergebrochen auf den Strompreis liegt sie einen Cent pro Kilowattstunde über der EEG-Umlage.

Es war, wie der Historiker Joachim Radkau anmerkt, letztlich die „Schaffung von vollendeten Fakten“ seitens der Politik der sechziger und siebziger Jahre – immer unter Beteiligung der FDP – die der Kernkraft in Deutschland zum Durchbruch und den Stromkonzernen zu satten Profiten verhalf.  Auch der Bundesverkehrswegeplan, schon vom Namen her sinnfälliger Ausdruck planerischen Denkens, ist ein Kind jener Zeit. Eine ministerielle Arbeitsgruppe entwarf den ersten Bundesverkehrswegeplan, der unter anderem den Ausbau des deutschen ICE-Netzes vorantrieb – und bezahlte. Gleiches gilt für den ungleich teureren Aufbau Ost. Oder eben inzwischen für die Rettung der deutschen Banken. Immer folgten solche staatlichen Eingriffe der Logik, dass die Wirtschaft, die Banken, der Markt, im Angesicht solch großer Anstrengungen überfordert sein dürften.

Allein für die Energiewende gilt ein solches Szenario nicht. Dabei gleichen die Voraussetzungen verblüffend denen vergangener energiepolitischer Dekaden – nur diesmal ganz ohne atomares Restrisiko. Wieder scheut die Industrie die Kosten, wehrt sich gegen den Entzug der profitablen Kernkraft. Zugleich übernimmt der Staat dennoch Milliardengarantien für den Bau von Offshore-Anlagen. Und wieder bedarf es eines großen Verkehrswegeplans, nur nicht für Schienen-und Straßenwege,  sondern für Stromtrassen, Gaskraftwerke, Speicher und Ausgleichsreserven.  

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Die Energiewende ist mit „fairem Wettbewerb“ nicht zu haben

Abgesehen von der Tatsache, dass all diese Maßnahmen seitens der Energieversorger über Jahrzehnte bewusst verhindert wurden, abgesehen von den baurechtlichen und von Anwohnern vorgetragenen Bedenken, ist der Bau von Offshore-Anlagen und Stromtrassen mit Effizienzkriterien zudem im „fairen Wettbewerb“ (Gauck) nicht zu handhaben. Die Verzögerungen sind inzwischen offensichtlich – und weitestgehend zurückzuführen auf Marktversagen. Gleiches gilt für die Unfähigkeit, oder eher den Unwillen, Castoren für den beginnenden Rückbau deutscher Kernkraftwerke zur Verfügung zu stellen: Hersteller dieser Castoren ist ein Gemeinschaftsunternehmen der großen Energieversorger.

Offensichtlich zeigt der Blick in planerische Geschichte und marktorientierte Gegenwart nur eines: Ein Vertrauen in Marktkräfte zum Erreichen der Energiewende ist nicht naiv, sondern grob fahrlässig.  Dabei liegen in einem massiven staatlichen Einstieg in die Energiewende wesentliche Vorteile. Der staatliche Zugriff auf Ressourcen kann gesellschaftlichen  Mehrwert besitzen. Das zeigt der Blick nach Norwegen, immerhin eines der wohlhabendsten Länder Europas. Und Wind aus der südlichen Nordsee ist da um einiges nachhaltiger als die Ölförderung vor Skandinavien. Nur schwer nachvollziehbar bleibt deshalb, warum schwarz-gelbes Denken nach der Bankenkrise in den alten falschen Mustern verharrt – Verstaatlichen der Verluste und Privatisieren der Gewinne.

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Statt das EEG abzuschaffen, die Solarförderung zusammenzustreichen und die deutsche Industrie – außer die Solarbranche – vor den Risiken der Energiewende zu schützen, sollte hier ein Großteil der politischen Energien in einem entsprechenden Ministerium gebündelt und nicht gegeneinander ausgespielt werden. Dies aber tun die Liberalen: Sie verhandeln die Energiewende nur unter dem kurzfristigen Kostenaspekt. Die langfristigen ökonomischen wie ökologischen Ersparnisse verschweigen sie. Es ist eine Logik, die sich an den kurzfristigen Gewinnmaximierungsstrategien schneller Märkte orientiert – und das Scheitern der Märkte am Projekt Energiewende entlarvt.

Fotos: picture alliance

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