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Netzausbau - Mehr Beteiligung wagen

Wieder steht ein Gipfel zur Energiewende bei der Bundeskanzlerin an. Die Politik sucht fieberhaft nach einem Masterplan zur Umsetzung des Jahrhundertprojekts. Doch die Energiewende braucht mehr als politische Koordination. Erhebliche Konflikte drohen, wenn Bürger nicht neu, anders und besser beteiligt werden

Der Netzausbau gilt als Schlüssel zur Energiewende. Das ist Konsens. Ganz konkret wird er schon in Kürze, wenn die Netzbetreiber aufgefordert sind, Pläne für die Trassenkorridore im Rahmen der nächsten Planungsstufe (Bundesfachplanung)  vorzulegen. Dieser Prozess wird in den betroffenen Regionen erhebliche Verunsicherungen hervorrufen. Fragen werden aufkommen: Werden die Leitungen in meiner Umgebung gebaut? Welche Auswirkungen werden sie auf Mensch und Umwelt haben?

Zwar hat der Gesetzgeber im Rahmen des neuen Netzausbaubeschleunigungsgesetzes (NABEG) eine erweiterte Beteiligung der Öffentlichkeit beschlossen. Die dürftige Teilnahme an der Online-Konsultation zum Netzentwicklungsplan im Sommer zeigt jedoch: Netzbetreiber und Bundesnetzagentur tun gut daran,  noch mehr in einen organisierten Dialog mit der Bevölkerung zu investieren als bisher – insbesondere auf der lokalen Ebene, wo sich Konflikte sehr schnell verhärten und zu Frontstellungen führen können.

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Wie dieser Dialog rund um den Netzausbau konkret gestaltet werden kann, hat die Projektgruppe „Kollaborative Demokratie“ der stiftung neue verantwortung in ihrem jüngst veröffentlichten Policy Brief formuliert.

Die Projektgruppe fordert zuallererst mehr Mut ein. Mut zur Verzahnung von formellen Verfahren mit informellen Möglichkeiten der Öffentlichkeitsbeteiligung. Denn genau hier liegt die Zukunft der Planung in Deutschland – in der Kopplung von standardisierten Beteiligungsphasen und flexibel einsetzbaren Dialogformaten.

Drei Ideen für neue, zusätzliche, informelle Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen des Netzausbaus seien hier exemplarisch vorgestellt:

Dialogforum: Beteiligung einen zentralen Ort geben

Häufig findet die Planung von Großprojekten zunächst buchstäblich hinter verschlossenen Türen statt. Das ist nicht per se zu kritisieren, denn zunächst müssen die Vorhabenträger ein klares Bild vom Umfang und den Varianten der Planung entwickeln.  Allerdings ist es im Falle des Netzausbaus anzuraten, so früh wie möglich in einen Planungsdialog mit den Betroffenen vor Ort einzutreten, um mit den Beteiligten ausgewählte Varianten der Korridor- bzw. Trassenführung zu diskutieren.

Hierfür ist es elementar, dem Dialog zentrale und dauerhafte Orte zu geben, an denen Ergebnisse kontinuierlich gebündelt und dokumentiert werden können; an dem – im Geiste eines Runden Tischs – mit einem verlässlichen Kreis von Personen an den Gestaltungsoptionen des Netzausbaus gearbeitet werden kann.

Dazu bietet es sich an, ein übergeordnetes Forum auf nationaler Ebene einzurichten, das grundlegende Fragen zum Netzausbau in Deutschland klärt (beispielsweise die Reduktion elektromagnetischer Emissionen). Relevanter wird jedoch die Gründung von Dialogforen in den vom Ausbau besonders betroffenen Regionen sein, im Rahmen derer die Beteiligten gemeinsam nach konkreten lokalen Lösungen für den Trassenbau suchen.

Seite 2: Joint Fact Finding: Fakten gemeinsam klären und bewerten

Joint Fact Finding: Fakten gemeinsam klären und bewerten

Immer wieder kommt es – insbesondere in umstrittenen Planungsprojekten – an einen Punkt, an dem sich Gutachten, Gutachter und ihre Auftraggeber unversöhnlich gegenüberstehen. Jede Seite pocht dann darauf, über die sachlich und objektiv richtigen Informationen zu verfügen, die als Grundlage der Planung dienen sollten.

Eine gemeinsame Verständigung über basale Fakten kann in dieser Situation kaum noch hergestellt werden. Dadurch wird eine Zusammenarbeit enorm erschwert, weil bereits die Ausgangsbasis für eine sachliche Diskussion fehlt.  Um eine solche Frontstellung im Rahmen des Netzausbaus zu vermeiden, sollte alles getan werden, um eine gemeinsam geteilte Faktenbasis zu schaffen. So wird ein „Gutachterstreit“ vermieden, der viel Zeit und Ressourcen kostet und in dem die beteiligten Akteure häufig auch das Vertrauen untereinander verlieren.

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Als Methode bietet sich hier das sogenannte Joint Fact Finding an. Der Kniff dieser Methode: Fragestellung, Ausschreibung und die Vergabe von Gutachten erfolgen gemeinsam durch alle am Dialogprozess beteiligten Parteien.

Rendite: Finanziell beteiligen

Um die Akzeptanz des Netzausbaus in den betroffenen Regionen zu steigern, sollte über neue Modelle finanzieller Beteiligung am Stromnetz nachgedacht werden – angeregt durch bestehende genossenschaftliche Modelle wie Bürgerwind- und Bürgersolarparks.  Vorbild könnte hier Schleswig-Holstein sein. Begleitend zum Bau einer für 2015 geplanten Westtrasse prüft der Netzbetreiber TenneT dort gerade neue finanzielle Beteiligungsmodelle von Bürgern am Stromnetz – zusammen mit regionalen Banken, unterstützt von der Bundesnetzagentur.

Diese Empfehlungen für neue Formen der Beteiligung von Bürgern am Netzausbau sind von der These geleitet: Zügige Planung und Beteiligung sind kein Widerspruch, sondern sie bedingen sich. Beteiligung bedarf am Anfang zwar mehr Ressourcen, führt insgesamt aber zu einer schnelleren Umsetzung, weil sich Konflikte und unnötige Polarisierung vermeiden lassen.

Dabei ist zu beachten: Bereits ein Prozent der jeweiligen Investitionssumme reicht in vielen Projekten aus, um die hier beschriebenen Dialog- und Beteiligungsformate in konfliktreichen Regionen (hot spots) ausreichend zu finanzieren. Dieses Geld ist gut investiertes, denn es schafft die Bedingungen dafür, dass der Ausbau der Energieinfrastruktur in einem Zeitalter prekärer Legitimität gemeinwohlorientierter und dadurch zügiger gestaltet werden kann.

Dr. Maik Bohne ist Fellow der stiftung neue verantwortung.

Der Beitrag ist Teil der  Projektgruppe „Kollaborative Demokratie 21“ der stiftung neue verantwortung

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