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Medien zur Krim-Krise - Gefährliche Stereotype

Die Berichterstattung über den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine gerät zunehmend in die Kritik. Nicht nur der Boulevard neigt zu Personalisierung und pauschalem Gut-Böse-Denken: Auch seriöse Medien verbreiten falsche Fakten

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Logisch, die russischen Staatsmedien müssen Schuld sein. Der enorme Rückhalt Putins in der Bevölkerung kann ja nicht von ungefähr kommen: In einer Umfrage stimmten 69 Prozent der Russen der Politik ihres Präsidenten zu – ein Plus von neun Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Der Grund sei „das chaotische Bild, das die russischen Medien von der Ukraine zeichnen“, erklärte der Politikwissenschaftler Jewgeni Mintschenko im Gespräch mit der Zeitung „Wedomosti“. Von „Propaganda“ ist die Rede. Die ukrainisch-weißrussische Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch spricht in der FAZ gar von einem „Informationskrieg“ im russischen Fernsehen und in Zeitungen: „Die Gehirnwäsche ist total.“

Das sind harte Worte – die hierzulande gern aufgegriffen und verbreitet werden. Auffällig an den Berichten über die Medien in der Krim-Krise ist vor allem eines: dass sie sich um jene in Russland drehen. Aber wie verhalten sich eigentlich westliche Medien in dem Konflikt?

Wladimir Putin handelt gar nicht rational


Dem Jenaer Kommunikationswissenschaftler Georg Ruhrmann fällt auf, dass der Überfluss an aktueller Information nicht automatisch die politische und journalistisch gebotene Einordung begünstigte. „In 1:30 Minuten sind die Dimensionen dieses Konflikts nicht erklärbar.“ Auffällig sei die starke Personalisierung: „Kritische Beobachtungen der strategischen Akteure im Hintergrund kommen in den Medien zu kurz.“

Als wichtigster Entscheider gilt Wladimir Putin – gern werden Plakatfotos von ihm mit Hitlerbärtchen gezeigt, das ihm ukrainische Oppositionelle ins Gesicht gepinselt haben. Putin wird als Autokrat, Egomane und mithin skrupelloser Taktierer beschrieben. „Ihm wird häufig Rationalität unterstellt, obwohl sein Handeln gegenüber der Ukraine stärker von irrationalen und ideologischen Faktoren geprägt ist als das allgemein angenommen wird“, sagt Wilfried Jilge, Osteuropahistoriker an der Universität Leipzig. „Putin hat im Lichte der Fixierung auf geopolitische Prämissen die innergesellschaftliche Entwicklung der letzten Jahre in der Ukraine – auch unter Russischsprachigen – völlig falsch eingeschätzt und konnte sich nicht vorstellen, dass Menschen dauerhaft für ihre Rechte auf die Straße gehen.“ Jilge zufolge reagiert Putin eher in „Hauruck-Schritten und mit kurzfristiger Improvisation, die die Berechenbarkeit seines weiteren Handelns erschweren.“

„Medienschlacht um die Ukraine“


Der Opposition dagegen räumen deutsche Nachrichtensender deutlich mehr Raum in der Berichterstattung ein. In einer nicht-repräsentativen Stichprobe des NDR-Medienmagazins Zapp waren fast 80 Prozent der Interviewpartner in der Tagesschau und in den Tagesthemen Regierungsgegner. Dass muss zweifelsohne Folgen für die Objektivität haben.

Vor allem die Rolle Vitali Klitschkos sei in Deutschland „sehr überschätzt“ worden, sagte Piratin Marina Weisband. Er gilt in deutschen Medien als Held; die Bild-Zeitung widmete ihm einen eigenen Reporter und sogar eine Kolumne. Dass Klitschko für die Regierungsbildung auch mit der nationalistischen Swoboda-Partei zusammenarbeitet, wurde anfänglich weniger intensiv aufgegriffen. Noch weniger, dass man auch bei den Nationalisten differenzieren müsse, wie Jilge fordert. Dmitri Jarosch, Anführer des radikalen Rechten Sektors in der Ukraine, hat sich Ende Februar mit dem israelischen Botschafter getroffen. „Das illustriert, dass der politisch heterogene Rechte Sektor, dessen Führer in Umfragen derzeit auf etwa zwei Prozent kommt, noch völlig unerforscht ist.“ Das Problem sei, dass in der „Medienschlacht um die Ukraine“ die Bedeutung solcher Gruppen häufig nicht ausgewogen eingeordnet werde, sondern entweder maßlos übertrieben oder verharmlost werde.

Der Konflitk wird sogar in den Redaktionen ausgetragen: Weil er für das Kremlblatt „Russland Heute“ geschrieben hat, kündigte Zeit Online die Zusammenarbeit mit dem erfahrenen Moskau-Korrespondenten Moritz Gathmann, wie das Branchenportal newsroom.de berichtete. Zeit Online wirft ihm vor, mit der Russland-PR die redaktionellen Grundsätze verletzt zu haben. Gathmann, der auch für Cicero Online schreibt, hat die Zusammenarbeit mit „Russland Heute“ mittlerweile beendet.

Bedenklich ist aber auch die Tendenz von Boulevard- und Onlinemedien, in der Krise sprachlich aufzurüsten. Wo russische Bodentruppen ein ukrainisches Aufklärungsflugzeug mit Lasern blenden, ist bei Bild.de schon vom „Attackieren“ und „Beschießen“ die Rede. Aus der „Krise“ oder dem „Konflikt“ wurde bei Spiegel Online schon bald „Die Angst vor dem Krim-Krieg“.

Vergleiche mit dem Ersten Weltkrieg


Auch werden Vergleiche in der Vergangenheit gesucht. „Kalter Krieg in Europa“ titelte das Portal, für das Hamburger Abendblatt hieß es: „Ukraine-Krise erinnert fatal an 1914“. Parallelen zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs zu ziehen, ist im Jubiläumsjahr auch in anderen Blätter angesagt. Kommunikationswissenschaftler Ruhrmann warnt vor solchen Umschreibungen: „Ohne Kontexte, Kriterien und Kritik erbringen pauschale historische Vergleiche kein gesichertes Wissen“. Auch der Osteuropahistoriker Jilge hält das für „absolut unangemessen“.

Jilge, der auf der Krim studiert hat, hat noch einen anderen Kritikpunkt: Für ihn bedienen deutsche Medien Stereotypen, die im Kalten Krieg wurzeln. „Die Ukraine wird noch immer überwiegend als ein strikt in Ost und West gespaltenes Land beschrieben. Eine differenzierte Betrachtung des Landes findet nicht statt.“ Dabei sei etwa die östliche Region um die Stadt Donezk nicht en bloc pro-russisch, und nicht jeder russischsprachige Einwohner identifiziere sich zwangsläufig mit Moskau. „Für viele junge Leute dort ist Kiew in den letzten Jahren immer mehr Bezugspunkt geworden.“ Eine Ost-West-Spaltung zu erhalten, liege vor allem im Interesse des Kremls.

Kein einziger Korrespondent lebt in Kiew


Paradox: Mit der Fortschreibung dieses Klischees übernehmen deutsche Journalisten aus Sicht des Experten also ausgerechnet die russische Sichtweise. „Der Kreml ist daran interessiert, den weit dehnbaren Begriff der ‚Landsleute‘ zu pflegen, der ethnische Russen wie Russischsprachige einschließen kann, und als Rechtfertigung genutzt werden kann, die als ‚eigenen‘ gedeuteten Minderheiten in der Ukraine für die eigenen Pläne einzuspannen.“ Es sei aber gefährlich, den Konflikt nur als ethnisch-kulturellen darzustellen; Jilge spricht von einem „Krieg der Identitäten in den Medien“. Wenn derartig „falsche Fakten“ auch in Deutschland vermittelt würden, habe das auch Folgen für die politische Einschätzung des Konflikts: „Wenn dann einige Krim-Russen auf ihre Selbstbestimmung pochen, nimmt man das vielleicht eher achselzuckend hin, obwohl laut den letzten seriösen Umfragen zufolge bei der Durchführung eines Referendums unter tatsächlich freien und fairen Bedingungen gar nicht sicher wäre, ob eine Mehrheit der Krimbevölkerung für den Anschluss an Russland stimmen würde.“

Ein Problem ist auch, dass das Wissen um die Ukraine nicht besonders ausgeprägt ist. Die Korrespondenten, die nach Kiew einfliegen, kommen allesamt aus Warschau oder Moskau. „Es ist ein Defizit, dass wir im größten europäischen Flächenland keinen einzigen Korrespondenten dauerhaft vor Ort haben“, sagt Jilge. Sich Netzwerke aufzubauen, ein Land verstehen zu lernen – so etwas dauert eben.

 

 

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