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Lothar König - Vor Gericht, weil er sich gegen Nazis stellte

Jahrzehntelang hat er sich in der Stadt, aus der das NSU-Terrortrio kam, gegen rechts engagiert: Jenas Stadtjugendpfarrer Lothar König wurde sogar von Neonazis verprügelt. Jetzt soll ihm der Prozess gemacht werden – weil er gegen einen Aufzug der Rechtsextremen demonstrierte

Autoreninfo

Anetta Kahane ist Gründerin der Amadeu Antonio Stiftung, die sich gegen Rechtsextremismus engagiert. Kahane erhielt den Moses-Mendelssohn-Preis des Landes Berlin. Zuletzt erschien ihr Buch „Ich sehe was, was du nicht siehst“.

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Unangepasst ist ein ganz blödes Wort.

Lothar König, der Stadtjugendpfarrer von Jena, ist alles andere als widerspenstig, eigentümlich oder wild – um nur drei Assoziationen dieses Wortes zu nennen.

Gewiss: Er raucht zu viel und spricht gleichzeitig. Sein beeindruckender Bart ist über die Zeit ganz weiß geworden.

Königs Bart stammt noch aus der Zeit der DDR; damals trugen viele Männer Bärte, ganz besonders, wenn sie für die Kirche arbeiteten und zur Opposition gehörten. Manchmal gehörte beides zusammen, meistens aber nicht. Die DDR-Opposition und die evangelische Kirche waren keinesfalls identisch. Es gab Zweckgemeinschaften, es gab Zusammenarbeit, doch nur wenige verkörperten beides als Einheit. Lothar König war so einer. Menschenrechte und Minderheiten – das waren seine Themen, über Jahrzehnte.

Obwohl sich die DDR klar vom Nationalsozialismus abgrenzte, kam es für Lothar König nie infrage, den damaligen staatlichen Antifaschismus zu akzeptieren. Denn ein Antifaschismus ohne demokratische Vielfalt, deren grundsätzliche Voraussetzung immer eine emanzipatorische Haltung ist, trägt diesen Namen zu Unrecht.

Nach der Wiedervereinigung war Lothar König einer der ersten, der vor Rechtsextremismus in Thüringen warnte. Jugendliche aus Jena suchten bei ihm Zuflucht, wenn sie Opfer von Nazigewalt geworden waren. Niemand sonst war bereit, ihnen zuzuhören und entsprechend zu handeln. Sie waren Kinder, Außenseiter, manche mit familiären Problemen. Doch alle, die in die Junge Gemeinde Jena Stadtmitte kamen, wollten sich dem Konformitätsdruck jener Jahre nicht ergeben.

Erinnern wir uns: Ab Mitte der 90er Jahre begann die Naziszene mit dem Aufbau informeller Strukturen. Die erfolgreichste und auch größte dieser neuen Kameradschaften war der Thüringer Heimatschutz. Er beeinflusste die Jugendkultur, wurde attraktiv für viele Jugendliche und sicherte sich die Gesinnungshoheit in den meisten Jugendeinrichtungen. Die Gruppe übte aber auch massiv Gewalt aus. Sie terrorisierte flächendeckend solche Jugendliche, die sich dem Anpassungsdruck der Nazis nicht beugen wollten.

In Bund, Ländern und Kommunen – ganz besonders aber in den Freistaaten Sachsen und Thüringen – reagierte die Politik auf den Rechtsextremismus mit harter Abwehr. Bestenfalls wurde der Rechtsextremismus als ein Jugend- und Nachwendeproblem behandelt, bei dem desorientierte, arbeits- und hoffnungslose junge Menschen sich in eher unpolitischen Peer-Gruppen gegenseitig die Köpfe einhauen. Wer Anderes behauptete, war ein mitleidsloser Ideologe, der die Not der deutschen Jugend angesichts der „Überfremdung“ nicht verstand, die Linksradikalen verharmloste oder Schande über den Heimatort bringen wollte.

Seite 2: König kannte das NSU-Terrortrio

Genau so einer war Lothar König. Er galt als Prototyp jener, die Mitleid mit den Falschen – also mit Flüchtlingen und alternativen Jugendlichen – hatten. Er galt als zu „wild und unangepasst“, um als evangelischer Pfarrer oder Gesprächspartner ernst genommen zu werden. Seine ewigen Kassandrarufe über militante Nazis, die sich überall breit machen, riefen Zorn hervor, bestenfalls Gleichgültigkeit.

Doch der Stadtjugendpfarrer von Jena kannte die Nazis sehr gut. Darunter waren die späteren Terroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe.

Auch sie kannten ihn: Jahrelang wurde die Junge Gemeinde Stadtmitte Jena von Nazis belagert. Besucher sprachen von Spießrutenlauf, wenn sie in das Gebäude hinein gehen wollten. Jugendliche Mitglieder der Gemeinde waren immer wieder das Ziel gewalttätiger Übergriffe. Es gab Verletzte und Schwerverletzte. Unter ihnen der Stadtjugendpfarrer selbst. Einmal verprügelten ihn Neonazis so sehr, dass er noch lange mit den schweren Verletzungen zu kämpfen hatte. Die Folgen sind heute noch sichtbar: Über seine Stirn zieht sich eine tiefe Narbe auf der Stirn – Stigma seines hartnäckigen Engagements.

Als sich in den letzten Jahren langsam die Erkenntnis breit machte, das Land könne tatsächlich ein Problem mit militanten Neonazis haben, nahm man dies Lothar König eher übel. Der schlimme Bote der schlechten Nachricht wollte sich nämlich nicht damit trösten lassen, dass ihm einzelne Politiker zugestanden, er könne ja am Ende Recht gehabt haben. Lothar König wollte eine andere Haltung der Stadt. Eine bessere Politik. Und nicht nur an einem Ort, sondern überall.

Deshalb war es für ihn selbstverständlich, dass er an den Demonstrationen gegen den größten europäischen Aufmarsch von Rechtsextremisten in Dresden teilnahm. Jahr für Jahr. Er war geübt darin, Protest zu organisieren. Immer sollte er friedlich sein, ganz im Sinne seiner Religiosität. Jesus sein ein Mann des Friedens gewesen, sagt König. Sein ständiges Vorbild.

Auch im Februar 2011 protestierte König wieder in Dresden. Nachdem die Stadt immer wieder erklärt hatte, man wolle sich die Trauer um die Opfer des Bombenangriffs nicht stören lassen, indem irgendwelche Linke gegen die Nazis protestierten, die doch nur irgendwo und irgendwie auch trauernd durch Dresden zogen, nahmen die Protestierer selbst Stellung. Sie beschlossen, den Weg der Nazis durch Dresden zu blockieren. Sie waren damit erfolgreich.

Die Polizei unterstützte sie vor zwei Jahren nicht. Heute ist ihre Strategie anders: Bei der jüngsten Demonstration vor einem Monat akzeptierten die Sicherheitskräfte den zivilen Ungehorsam der Nazigegner und schickten die blockierten Neonazis mit einem „Sorry“ wieder nach Hause.

Seite 3: Was das Dresdner Gericht ihm vorwirft

Lothar König aber wird jetzt der Prozess gemacht. Die Vorwürfe: schwerer Landfriedensbruch, Aufwiegelung zu Straftaten und Straftaten bei der Blockade 2011.

Wie in solchen Fällen geurteilt wird, konnte die Öffentlichkeit am Fall Tim H. sehen. Einige Wochen zuvor stand dieser wegen ähnlicher Delikte vor einem Dresdner Gericht. Obwohl ihm nicht nachgewiesen werden konnte, dass er zu Gewalt aufgerufen hatte und somit Mitschuld an einer Eskalation der Demonstration mit verletzten Polizisten trug, wurde er ohne Bewährung zu 22 Monaten Haft verurteilt. Einen Angeklagten ohne Vorstrafen, aber mit Familie und geregeltem Einkommen ins Gefängnis zu schicken, ist eine ungewöhnliche Härte. Ganz abgesehen von der unzureichenden Beweislage.

Nun droht Lothar König ein ähnlicher Prozess. Die sächsische Polizei hatte seine Diensträume in Jena durchsucht und seinen Lautsprecherwagen beschlagnahmt. Sie hatte sogar den Straftatbestand der Bildung einer terroristischen Vereinigung festgestellt – später jedoch fallen gelassen. Dieser Vorwurf wird sich in einem Monat übrigens auch gegen eine aus dem Kreis der früheren Peiniger des Pfarrers richten: Beate Zschäpe. Die mutmaßliche NSU-Terroristin steht ab Mitte April in München vor Gericht.

In der Anklage gegen Lothar König kommt jener Zorn wieder hervor, dem man jemandem angedeihen lässt, der beharrlich auf der Richtigkeit seines Handelns besteht. Und dazu dummerweise auch noch Recht hatte. Dieser Prozess, so sagt es Lothar König, sei ein politischer Prozess. Man wolle damit diejenigen einschüchtern, die sich gegen Nazis engagieren, notfalls mit zivilem Ungehorsam.

Die Tatsache, dass gerade jemand zu Gefängnisstrafe verurteilt wurde, weil er in Deutschland gegen eine Massendemonstration von Rechtsextremen protestierte, ist ein Skandal. Hier zeigt sich eine Haltung gegenüber Neonazis, die einer wehrhaften Demokratie als unwürdig gelten sollte. Indem nicht über sie, sondern über Demokraten geurteilt wird, gewährt man den Falschen Schutz. Ein Skandal ist es auch, wenn man bedenkt,

Am Dienstag, den 19. März beginnt der Prozess. Der Angeklagte Lothar König soll sich dafür rechtfertigen, dass er Neonazis Einhalt geboten hat. Er tat es so, wie er immer aufgetreten ist: manchmal zornig, manchmal versöhnend. Aber immer friedlich.

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