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Kinderarmut - Frauen an Hof und Herd

Stadt, Land, Flucht. Die Sonntagskolumne: Das Leben, ein Ponyhof. Um das Fertilitätsproblem der Bundesrepublik in den Griff zu bekommen, müssten wieder mehr Menschen als Bauern leben, die städtische Utopie abgeschaffen.

Autoreninfo

Marie Amrhein ist freie Journalistin und lebt mit Töchtern und Mann in der Lüneburger Heide.

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„Wir sind jetzt Bauern.“ Ob beim Arzt, im Gespräch mit neuen Bekanntschaften oder beim Wiedersehen mit alten Studienfreunden, die Reaktionen darauf changieren zwischen Unglaube, Unverständnis, Neugierde.

Das liegt sicher auch daran, dass wir selber diesen Satz noch häufig mit einem ironischen Unterton aussprechen, uns beeilen hinzuzufügen, dass der eine als studierter Politologe in einer Stiftung gearbeitet hat und die andere heute noch als Journalistin malocht. Aber Tatsache ist: In der Küche summen die Fliegen, der Boden ist oft dreckig, wir riechen nach Stall, hat doch ein nicht unwesentlicher Teil der Arbeit damit zu tun, die Scheiße von Gänsen, Hühnern und Pferden wegzuschaffen.

In einem repräsentativen Ranking unter eintausend Befragten landete der Beruf des Landwirts vor einiger Zeit auf Platz 5 der zehn unbeliebtesten Berufe. Zu wenig Urlaub, zu schmutzig, schlechte Bezahlung, schwere und gefährliche Arbeit. Belächelt wird das altmodische Völkchen, zurückgeblieben mit seiner Skepsis vor allem Neuen wie dem Internet oder dem Öko-Wahn der Verbraucher weit weg in den Städten.

Und dann die Frage der Emanzipation. Für den Bauern eine überflüssige, könnte man meinen. Wer soll denn die Kinder versorgen, wenn nicht die Frau? Sie wischt die Küche, wäscht die Blattläuse vom Mangold, kocht und versorgt die Kinder. So ist es auch bei uns gekommen nach einem Jahr Bauernleben. Von einer arbeitsgeteilten großstädtischen Lebensweise, bei der jeder im Büro arbeitete, zu Hause beide abwuschen, staubsaugten, putzten und kochten sind wir nun dort angekommen, wo man auf den ersten Blick die 50er-Jahre-Ehe-Hölle vermuten könnte.

Keine Änderung in Sicht
 

Könnte. Denn es ist anders. Es macht Sinn, diese moderne Arbeitsteilung. So hinterwäldlerisch sie auch klingt, ist diese Lebensweise doch in vieler Hinsicht das, was sich Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig für ihre gebeutelte Zielgruppe wünschen würde. Denn jede Woche werden neue Schlagzeilen aus der Welt der Ungerechtigkeiten produziert: Dieser Tage müssen sich die öffentlichen Unternehmen gegen die Ergebnisse des neuen Public Women-on-Board-Indexes verteidigen, der bemängelt, es gäbe auch in staatlichen Betrieben viel zu wenige Frauen in den Chefetagen. Die Wortschatzdatenbank der Universität Leipzig zählte anklagend auf, dass Männer in den Medien oft im Zusammenhang mit einem Beruf genannt werden, die Frauen dagegen meist in der Funktion der Ehefrau. In sozialen Netzwerken schimpften nach der Ausstrahlung einer ARD-Dokumentation über Ganztagsschulen zahlreiche Männer, die sich zwischen Büro und Kinderbetreuung aufreiben darüber, dass ihre emanzipatorische Rolle nicht genügend Beachtung fände. Das liegt, liebe Aktiv-Männer, einfach daran, dass es verschwindend wenige von euch gibt.

Die Frage ist nur, ob sich das je ändern wird. Eine neue Studie zu den Familienleitbildern in Deutschland der Konrad-Adenauer-Stiftung macht wenig Mut. Jene Rollen – die der guten Mutter und idealen Erwerbstätigen, die des Mannes, der Erzieher und Ernährer in einem ist und die des Sprösslings, der eine nach heutigen Maßstäben „glückliche Kindheit“ erfährt – sie sind nicht nur schwierig zu vereinbaren – sie stehen „im Widerspruch“ zueinander, so die ernüchternden Ergebnisse nach der Befragung von 5000 Menschen im Alter zwischen 20 und 39 Jahren.

Man muss also sagen: Liebe Mütter, liebe Väter, liebe Frau Schwesig, es wird nicht funktionieren. Weil es nicht funktionieren kann. Weil wir nicht zaubern können. Weil wir diesen Teufelskreis aus Gebären, Stillen, Arbeitspausieren, Wiedereinstieg, schlechter Bezahlung der Frau entgegen besserer Bezahlung des Mannes und der daraus resultierenden Entscheidung für das so gehasste „Zuverdienermodell“ nicht zu durchbrechen vermögen.

Am Ende steht zu oft die Entscheidung für Kinderlosigkeit und Karriere oder Kinder und Küche. Oder es entstehen diese Zwitterexistenzen, mit denen sich die Menschen heuten abmühen: immer mehr Mütter mit „Erschöpfungssyndrom bis zum Burn out, mit Schlafstörungen, Angstzuständen und Kopfschmerzen“ (Müttergenesungswerk) und Väter, die sich in allen Rollen unverstanden und zu wenig unterstützt fühlen. Das ist die bittere Wahrheit.

Auf dem Bauernhof aber gibt es Rettung. Hier bietet der Job all das, was die moderne Wirtschaft nicht auf die Kette bekommt: Er bietet der Frau die Möglichkeit, jederzeit wieder in den Beruf einzusteigen, liegt er doch vor der Haustür, der Wechsel von der Babypause über die Teilzeit- zur Vollzeitstelle hängt an keinem unflexiblen Arbeitsgeber sondern nur an ihr selbst – und nicht erst am Ende winkt der Posten in Aufsichtsrat oder Geschäftsleitung.

Die städtische Utopie abgeschafft
 

Nach einem Jahr Bauernhofleben macht bei uns jetzt jeder das, was er am besten kann. Der eine hackt Holz, baut Ställe, repariert den Trecker. Der andere badet die Kinder, organisiert den Alltag, sitzt am Schreibtisch. Diese Fragen waren einfach zu klären. Ein bisschen Zeit brauchten wir für folgende: Unkraut jäten? Kochen? Kinder abholen oder hinbringen? Können beide. Trotzdem ist es aufgeteilt. Denn nichts schlaucht so sehr wie eine Arbeit, die ständig neu zur Disposition steht. Es macht vieles einfacher, wenn morgens nicht darüber verhandelt werden muss, wer das Mittagessen kocht und wer die Gänse und Hühner füttert. Hauptsache, einer fühlt sich verantwortlich.

Damit haben wir die städtische Utopie, in der jeder alles macht, abgeschafft. Und es hilft. Die Wissenschaft gibt uns Recht. Wiebke Rösler, Soziologin, trennt in ihrer preisgekrönten Dissertation zu Strukturwandel und Fertilität bewusst das Cluster der Bauernfamilien von anderen Berufsgruppen. Denn die durchschnittliche Kinderzahl liegt nur hier zwischen Misthaufen und Gemüsebeet bei Werten über dem Reproduktionsniveau, nämlich „bei 2,3 Kindern pro Frau“.

Im Rest der Republik sieht es düster aus, Westdeutschland gehöre,  so ist jetzt bei der Konrad-Adenauer-Stiftung nachzulesen, zu den Ländern in der Welt mit dem höchsten Anteil kinderloser Frauen. Kinderlosigkeit sei „sozial akzeptiert“ und „zu etwas Alltäglichem geworden“. Willkommen in der Moderne.

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