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Gauck und Biermann - Die Protokollverächter

Kolumne: Zwischen den Zeilen. Joachim Gauck und Wolf Biermann holen Deutschlands Möchtegernlinke aus einem historischen Schlaf. 25 Jahre nach dem Mauerfall darf es keinen Schlussstrich geben

Autoreninfo

Timo Stein lebt und schreibt in Berlin. Er war von 2011 bis 2016 Redakteur bei Cicero.

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Sahra Wagenknecht war gar nicht da. Vorausschauend wie sie ist, blieb sie dem Spektakel fern. In Abwesenheit  Wagenknechts durfte der Stänker-Barde Wolf Biermann der Linken zur 25-Jahr-Feier des Mauerfalls die Leviten lesen. Schade eigentlich. Zu gern hätten wir dem trällernden Siegfried einen wahrhaftig roten Drachen gewünscht.

Nein. Wagenknecht hatte die Zeremonie vorsorglich boykottiert, um nun zeitverzögert zurückzuschlagen. Biermann sei „ein alter Mann“, der in der Zeit stecken geblieben sei. Sie muss es wissen, mit alten schimpfenden Männern kennt sie sich bekanntlich aus. Mit aus der Zeit Gefallenen sowieso.

Der Biermann-Auftritt spaltete die Republik. Man lobte, man staunte und kritisierte – aufs Heftigste. Gerade von links: Von einem hasserfüllten Wadenbeißer mit rhetorisch-bildreicher Begabung zur Polemik war zu lesen.

Dabei müssten ihm gerade Linke dankbar sein: Einmal, weil Biermann jener Veranstaltung, die in eine Dauergedenklitanei abzudriften drohte, einen kräftigen Arschtritt verpasste und die salbungssedierten Abgeordneten aus der Protokollschleife riss.

Zum anderen, weil Biermann zumindest einem Teil der Linken dann doch den passgerechten Spiegel entgegen hielt. Leider blieb den meisten nur „Drachenblut“ und „elender Rest“ im Gedächtnis. Viel  entscheidender aber war ein anderer Satz: Ihr seid nicht links, sondern reaktionär, schrieb er ihnen ins Stammbuch. Und genau das trifft auf einen nicht kleinen Teil der Linkspartei zu. Auf all jene, die die USA verteufeln, Putin verehren, Israel hassen, die EU verfluchen und Freiheit mit Bevormundung verwechseln. Auf jene, die auf dem Begriff „links“ sitzen und glauben, allein das Im-Namen-Tragen reiche aus, um links zu sein. Nee, rief Biermann, seid ihr gar nicht.

Linke Leberwurstmentalität
 

Das verdeutlichte nicht zuletzt die Debatte kurz vor der Gedenkfeier: Die Diskussion über den Unrechtsstaatsbegriff. Wer wie einige Anhänger der Linkspartei das Wort Unrechtsstaat umschifft (und damit rhetorischen Spielraum für die Verharmlosung der Stasidiktatur lässt), nur, um nicht über ein von rechts hingehaltenes Stöckchen zu springen, hat einen wütenden Biermann aber sowas von verdient.

Bliebe ein anderer Regelbrecher: Joachim Gauck. Wieder einer, der gegen das Protokoll verstieß. Opfer: schon wieder die Linkspartei. Auch hier folgte eine Leberwurstmentalität. Das darf er aber nicht sagen. Schrie es von links.

Natürlich, wer vor Ewiggestrigen in der Linkspartei warnt, darf über die Blockparteien nicht schweigen. Aber: Im Unterschied zu den CDU-Blockflöten ist die PDS nun mal ganz offiziell das SED-Erbe angetreten. Sie wollte die Substanz, darf sich über das Etikett nicht beschweren – und darf es noch eine ganze Weile behalten.

Dass Biermann und Gauck erinnern und wüten, die Geschichte eben nicht Geschichte sein lassen, ist ihnen nicht hoch genug anzurechnen. Das  zeigt vor allem die Diskussion, die nach Gauck und Biermann folgte. Jetzt müsse doch mal gut sein, nach 25 Jahren. Hieß es. Doch gerade diese zurzeit überall aufblühende Schwamm-drüber-Fraktion, die eine Schlussstrichmentalität von links heranzüchtet, macht nur allzu deutlich, dass die Protokollverweigerer Biermann und Gauck das Haar in der richtigen Suppe platziert haben. Danke, Jungs!

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