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Homophiler Kulturkampf - Schwulsein ist eine normale Ausnahme

Schwulen und Lesben wird eine Aufmerksamkeit zuteil, um die sie die Mehrheit der Deutschen beneidet. Doch ihr Engagement gegen Homophobie offenbart mangelnde Toleranz. Anmerkungen zu einem neuen Kulturkampf

Autoreninfo

Wolfgang Bok war Chefredakteur und Ressortleiter in Stuttgart und Heilbronn sowie Direktor bei der Berliner Agentur Scholz & Friends. Der promovierte Politologe lehrt an der Hochschule Heilbronn Strategische Kommunikation.

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Mit der Toleranz ist das so eine Sache. Die sie am lautesten fordern, sind oft selbst sehr intolerant. Die politische Linke, die sich gerne so pazifistisch gibt, wechselt schnell zur kriegerischen Sprache, um diejenigen auszugrenzen, die anderer Meinung sind: Wer am (vom Menschen gemachten) Klimawandel zweifelt, ist ein „Klimaleugner“. Wer die Zuwanderung in die Sozialsysteme begrenzen will, ist ein „Rechtspopulist“. Wer das Euro-System für eine Fehlkonstruktion hält, ist ein „Europagegner“. Und wer Schwule und Lesben nicht bis in den letzten gesellschaftlichen Winkel mit Heterosexuellen gleichstellen will, wird als „homophob“ in die Ecke des Antiliberalen gestellt.

Die Debatte um Homosexualität wird verblendet geführt


So einfach lässt sich die Welt in Gut und Böse ordnen. Endlich mal wieder! Die Bösen, das sind derzeit diejenigen, die im „Outing“ des ehemaligen Profifußballers Thomas Hitzlsperger nicht ein heroisches Bekenntnis zur wahren sexuellen Orientierung sehen. Jene, die sich öffentlich nicht vor dessen „Mut“ verneigen, eines der „letzten Tabus im Männer-Fußball gebrochen zu haben“. Die Verklemmten eben, die in ihrem reaktionären Weltbild gefangen sind.

Norbert Blüm ist so ein Reaktionär. Lange auch von Links als soziales Gewissen der Union gepriesen, wird der ehemalige Arbeitsminister nun heftig angefeindet. Sein Vergehen: Er hat in einem Zeitungsbeitrag das Bundesverfassungsgericht daran erinnert, dass „Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen“ (Artikel 6 unserer Verfassung) – und nicht „gleichgeschlechtliche Partnerschaften“, die schon aus biologischen Gründen nicht in der Lage seien, für den Fortbestand der Nation zu sorgen. Dass der Aspekt des Kinderkriegens angesichts der ständig beklagten Vergreisung der Gesellschaft ausgeblendet wird, zeigt wie verblendet die ganze Debatte geführt wird.

Sie erweckt den Eindruck, als habe sich seit dem Dritten Reich wenig geändert, als würden Homosexuelle noch immer aufs Übelste drangsaliert und verfolgt. Dabei ist das Gegenteil der Fall.

Der Minderheit der Schwulen und Lesben wird eine Aufmerksamkeit zuteil, um die sie die Mehrheit der Deutschen beneidet. Kaum eine Organisation, in der sich nicht Schwulen- und Lesben-SprecherInnen wortgewaltig positioniert haben. Jeder Anflug von Ablehnung des Andersseins wird von den Medien vorwurfsvoll herausgestellt. In der Kultur- und Modewelt gehört Homosexualität sogar zum guten Ton. Von der Werbewirtschaft werden sie als kaufkräftige Kundschaft umworben. Auf Christopher-Street-Days wird öffentlich ein schriller Sexismus zur Schau gestellt – und wer darin Schamlosigkeit beklagt, macht sich der Diskriminierung schuldig. Über Schwaben, Sachsen oder Ostfriesen darf man hässliche Witze machen. Aber über Schwule?

Thema „sexuelle Vielfalt“: Kulturkampf in Baden-Württemberg


Im Kern behandelt die emotionale Debatte die Frage: Was ist heute normal? Gewiss ist es eine Normalität, dass sich Männer auch zu Männern und Frauen auch zu Frauen hingezogen fühlen. Internationale Studien beziffern den Personenkreis auf etwa ein bis fünf Prozent der Gesamtbevölkerung, auch in Deutschland. Ähnlich viele sind für beide Geschlechter offen, also bisexuell.

Das aber heißt: Mindestens neun von zehn Menschen bevorzugen einen Partner anderen Geschlechts, gelten also als heterosexuell. Wer oder was ist also normal?

In Baden-Württemberg schaukelt sich das Thema gerade zu einem regelrechten Kulturkampf hoch. Denn die grün-rote Landesregierung hält es für nötig, das Thema „sexuelle Vielfalt“ in den Lehrplänen zu verankern. Die Formulierungen dazu wurden zum Teil wortgetreu aus den Vorlagen der Schwulen- und Lesbenverbände übernommen. Dagegen hat ein Realschullehrer aus dem Schwarzwald eine Online-Petition unter dem Titel: „Zukunft - Verantwortung - Lernen: Kein Bildungsplan 2015 unter der Ideologie des Regenbogens“ gestartet. In wenigen Tagen haben rund 150.000 Bürger den Widerspruch unterzeichnet und damit zum Teil in scharfen Worten zum Ausdruck gebracht, wie sehr sie das  „Aktionsfeld LSBTTIQ" ("lesbisch-schwul-bisexuell-transsexuell-transgender-intersexuell und queer") in den Schulen ablehnen. Eine Gegen-Petition kommt nur auf die Hälfte an Unterzeichnern.

Die Mehrheit der Heterosexuellen ist aufgeklärt


Mittlerweile wittern auch die evangelische und katholische Kirche in Baden-Württemberg „ideologische Umerziehung“ und stellen sich vorsichtig auf die Seite des evangelischen Religionslehrers Gabriel Stängle (41) aus Nagold. Er lässt sich folglich nicht mehr so leicht als „Hetzer“ abqualifizieren.

Manche der Unterzeichner der Petition in Baden-Württemberg lassen durch ihre Kommentare erkennen, dass sie Homosexualität als „krankhaft“ oder „Sünde“ aggressiv ablehnen. Die Mehrheit jedoch fühlt sich schlicht durch die Anmaßung von Grün-Rot provoziert, Privates und Intimes in die Schulen zu tragen.

Derlei Zwischentöne werden in der Debatte gerne übersehen: Die Mehrheit der Heterosexuellen ist aufgeklärt genug, andere sexuelle Orientierungen als „Normalität“ zu akzeptieren. Was sie jedoch aufbringt, ist die Überbetonung des Themas. Begleitet von dem ständigen Vorwurf, nicht tolerant zu sein, nur weil man der klassischen Bindung den Vorzug gibt und eben keinen Gefallen daran findet, wenn sich erwachsene Männer in der Öffentlichkeit küssen.

Dafür gibt es durchaus sachliche Gründe. In seinem „Kleinen Operettenlied“ verweist der Spötter Kurt Tucholsky auf den entscheidenden Unterschied: „Mann und Frau sind niemals frei. Stets ist ein Gefühl dabei.“ Deshalb wird in intimen Bereichen nach Geschlechtern getrennt: Duschen, Toiletten, Umkleidekabinen, Schlafplätze. Deshalb sind Männer und Frauen auch mal gerne unter sich. Sie brauchen Räume, wo sexuelle Gefühle nichts zu suchen haben. Der Fußballplatz war bislang so ein „geschlechtsfreier Raum“. Wenn die Männer nach einem Tor übereinander hergefallen sind, wenn sie anschließend gemeinsam nackt unter der Dusche stehen – dann war das Thema Sexualität tatsächlich tabu.

Wenn aber auch dort der „Umgang mit Homosexualität zur Selbstverständlichkeit“ wird, wie das nun allenthalben als vordringliches Ziel verlangt wird, ist es wohl bald vorbei mit der Unbekümmertheit. Müssen dann die Duschen getrennt werden nach Heteros und Homos? Wird dann genau darauf geachtet, wer sich auf dem Platz wem an den Hals wirft? So wie das bereits im Frauenfußball misstrauisch beäugt wird, nachdem sich prominente Kickerinnen samt der Nationaltrainerin öffentlich zu ihren Lebensgefährtinnen bekannt haben?

Brauchen Heterosexuelle Schutz vor Homosexuellen?


Veränderungen zeichnen sich auch in anderen Organisationen ab, in denen Männer über längere Zeit auf engem Raum zusammengepfercht sind: Bei der Bundeswehr oder der Polizei. Was, wenn auch hier Tucholsky umgeschrieben werden muss: Mann und Mann sind niemals frei. Immer ist Gefühl dabei? Müssen Heteros dann vor den bekennenden Schwulen geschützt werden? Gilt Anmache unter Männern oder unter Frauen auch als Sexismus? Oder ist die Verwahrung dagegen bereits Homophobie?

Als Konrad Adenauer zugetragen wurde, dass sein Außenminister Heinrich von Brentano homosexuell sei, soll der erste Kanzler (CDU) gesagt haben: So lange der mich nit anfasst, isset mir ejal. Dieser Großmut wird seither gerne als Ausdruck rheinischer Liberalität zitiert. Was aber, wenn die verbreiteten Aufforderungen zum „Coming out“ befolgt werden – und Mann nicht mehr sicher sein kann, nicht angefasst zu werden? Auch aus dieser Sorge rührt wohl das Unbehagen, Homosexualität zur Normalität zu verklären.

Sie ist aber nur eine normale Ausnahme. Die Regel ist es nicht. Das ist der Unterschied. Und das ist auch gut so.

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