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Altkanzler-Protokolle - Der Angriff gilt Kohls Frau

Kolumne: Leicht gesagt: Angela Merkel, Richard von Weizsäcker, Wolfgang Schäuble – sie alle werden beschimpft. Von Helmut Kohl. Das belegen unautorisierte Zitate des Altkanzlers, die dessen Biograph Heribert Schwan nun veröffentlichte. Das Buch ist aber weniger ein Angriff auf den Altkanzler. Der Groll des Autors gilt der Frau an Kohls Seite

Autoreninfo

Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

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Es sagt sich leicht, dass Kanzlerworte in die Öffentlichkeit gehören. Schon des zeitgeschichtlichen Interesses wegen. Helmut Kohl wird das verstehen – er ist Historiker, noch dazu ein erstaunlich belesener. Denn er, der Mann ohne Worte, sorgt nun für Schlagzeilen mit Worten, die er einst gab. Heftigen Worten.

[[{"fid":"63716","view_mode":"copyright","type":"media","attributes":{"height":229,"width":345,"style":"float: left; height: 119px; width: 180px; margin: 3px 5px;","title":"Heribert Schwan bei der Vorstellung seines Buches \"Vermächtnis. Die Kohl-Protokolle\"","class":"media-element file-copyright"}}]]Aber schwer zu sagen ist, mit welchem Recht Heribert Schwan aus seinen Kohl-Gesprächsprotokollen ein Buch gemacht hat. Er war ja der auserkorene Biograph, schrieb im Namen Kohls die drei dachziegelschweren Erinnerungs-Bände des Kanzlers der Einheit. Mitten in der Arbeit zu Band vier war alles vorbei. Warum und wegen wem auch immer: Schwan war als Ghostwriter entbunden.

Kohls Gesagtes nahm er mit, und er wäre ein schlechter Journalist, wenn er keine Kopien gefertigt hätte. Ein Gericht sprach Kohl die Rechte an den Aufzeichnungen von 630 intensiven Plauderstunden zu. Schwan beeilte sich daher besonders, das Gehörte nun so aufzuzeichnen, dass möglichst viel Inhalt ans Licht kommt, aber mit möglichst wenigen Zitaten. Mehr hätte rechtlich vermutlich nicht standhalten können. Das Ergebnis heißt: „Vermächtnis. Die Kohl-Protokolle“. Das Buch wurde am Dienstag vorgestellt und ist seit diesem Mittwoch unterm Volk – offenbar fand sich kein Richter, der die Auslieferung stoppte.

Dunkelste Zeit: Die Parteispendenaffäre


Der Streit um dieses 256-Seiten-Buch ist verwirrend. Denn natürlich wollte Kohl, dass seine Gedanken zu diesem und jenem eines Tages öffentlich werden. Sonst hätte er nicht fast 80 volle Arbeitstage mit Schwan vor laufenden Bändern berichtet. Andererseits waren die Tage zwischen März 2001 und Oktober 2002 Kohls dunkelste: Um trotz der Parteispendenaffäre das Ehrenwort zu halten, hatte er den Ehrenvorsitz seiner Partei hingeschmissen. In dieser Zeit hatte sich seine Frau Hannelore das Leben genommen.

Ein Dutzend Jahre später nun erscheint das Gesagte, zumindest in Auszügen und Paraphrasen. In diesen zwölf Jahren ist viel geschehen. Das Wichtigste: Kohl war wieder wer – vor allem in seiner Partei. „Ich fühle mich glücklich. Ja, das kann ich heute wieder sagen“, hatte er nur drei Jahre nach den Schwan-Gesprächen verkündet, an seinem 75. Geburtstag 2005. Und zwar auch vor jenen in der CDU, die ihn eben noch vom Hof gejagt und sich seiner geschämt hatten.

Wieder einmal war ihm das Aussitzen gelungen. Als gefeierter Kanzler der deutschen und europäischen Einheit hatte er die Generation ausgesessen, die nach ihm kam. Die Achtundsechziger schienen gescheitert, Schröder und Fischer 2005 am Ende. Diese Generation hatte ihn verspottet als Birne, als Pfälzer Landei. Zugleich hatte er die ausgesessen, die er für innerparteiliche Feinde hielt. Geißler und Blüm waren lange nicht mehr angesagt in der neuen CDU Merkels. Und die Parteijugend sang: „Denn wir haben ein Idol – Helmut Ko-hol“, dass ihr Star vor Glück weinte.

Großer Einfluss von Maike Richter


Seit 2005 schien Kohl auch privat wieder glücklich. Seine Beziehung zu Maike Richter wurde öffentlich. Schwan sagt, dass er Kohl noch immer schätze. Aber er ist erklärter Feind jener Frau, die er „die künftige Witwe Kohls“ nennt. Sie habe ihn als Ghostwriter geschasst. Sie habe verhindern wollen, sagte Schwan dem ZDF, dass dieses jüngste Buch auf den Markt kommt.

Zweifellos wird Kohls Frau großen Einfluss auf Kohls Handeln haben, zumal er ein Pflegefall ist. Aber handelt sie wirklich gegen seinen Willen – wie Schwan schwer vermutet? 2008 wurde Schwan von den Kohls quasi entlassen, im Jahr ihrer Hochzeit.

Maike Richter hatte ihre Karriere 1994 im Bonner Bundeskanzleramt begonnen. Es war also das Jahr, in dem die drei Kanzlerbände enden, die Schwan für Kohl geschrieben hat. Die Zeit, die dann folgen sollte, und von der in Schwans „Kohl-Protokollen“ berichtet wird, hat Maike Richter aus gewisser Nähe miterlebt. Sie galt schon damals als glühende Bewunderin von Kanzler Kohl. In dessen Amtssitz hatte sie aber direkt wenig mit ihm zu tun: Sie arbeitete in der Wirtschaftsabteilung des Hauses, lieferte für Reden zu. Verfasser sprechen hinterher selten mit jenen, die die Rede vortragen.

Nach Kohls Abwahl im September 1998 mochte auch Maike Richter nicht länger im Bundeskanzleramt bleiben. Sie wurde Mitarbeiterin jener Männer, mit denen nun in Schwans Buch abgerechnet wird. Denn Richter wechselte zur Bundestagsfraktion, die damals noch Kohls ewiger Kronprinz Wolfgang Schäuble führte. Sie wurde Referentin für Wirtschaft bei Schäubles Stellvertreter Friedrich Merz. Als „ausgesprochen nett, offen und umgänglich“ loben sie noch heute ihre Kollegen von damals. Von Merz wurde sie wegen ihrer klaren ordnungspolitischen Schärfe geschätzt. Oft saßen sie beisammen und feilten bis tief in die Nacht, beliefert vom Pizza-Service, an oppositionellen Plänen.

Deutungskampf um die Memoiren?


Merz‘ Aufstieg wollte Maike Richter aber nicht mehr begleiten – aus Loyalität zu Kohl. Denn Merz forderte wie so viele in der CDU die volle Aufklärung der Parteispendenaffäre, der Kohl sich verweigerte. Richter verließ die Politik. Für ein Jahr ging sie als Journalistin zur „Wirtschaftswoche“ nach Düsseldorf. Auch dort fiel ihr Schwärmen für Kohl auf. Als Merz im Interview Kohl kritisierte, sei die Redakteurin Richter darüber offen bekümmert gewesen, heißt es.

Nach dem Tod von Kohls Ehefrau Hannelore gestand sie Freunden, wie leid ihr Kohl tue in seiner politischen und nun auch privaten Einsamkeit. Es heißt, dass Maike Richter dienstlich Kohl erst wieder getroffen und ihm ihre Unterstützung angeboten habe, nachdem sie wieder im Bundeswirtschaftsministerium zu arbeiten begonnen hatte. Es heißt auch, sie hätte beim Verfassen seiner Memoiren mitgeholfen, deren erster Band 2004 erschien.

Kann es vielleicht sein, dass es gar nicht so sehr um den Inhalt der Kohl-Protokolle geht, sondern um die Autorenschaft? Kohls Weggefährten zweifeln nicht, dass all die scharfen Worte des Alten fielen, wie Schwan sie zusammenfasst.

Anders als Schwan jedoch hat Richter die Umstände miterlebt, warum die Worte so später fielen. Als Kohl-Treue arbeitete sie bei denen, die Kohl für illoyal hielt. Daher mag sie von sich glauben, die Treffsicherheit besonders gut beurteilen zu können. Auch ihr Mann könnte davon überzeugt sein. So kann es sein, dass sie eines Tages sein Vermächtnis verbunden mit ihrem nieder schreiben will. Aber eben sie selbst – und nicht Schwan.

Heribert Schwan, Tilman Jens: Vermächtnis. Die Kohl-Protokolle. Heyne Verlag, Oktober 2014, 256 Seiten, 19,90 Euro.

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