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(picture alliance) Auch bei Günther Jauch musste sich Peer Steinbrück Bankennähe vorwerfen lassen

Kanzlerkandidat Peer Steinbrück - Klar in der Mitte, geht das?

Erregt debattierten Politik und Medien in den vergangenen Tagen über die Nebeneinkünfte des Ex-Finanzministers Peer Steinbrück – und versäumten dabei, die ernsthaften Themen ernst zu nehmen und überhaupt erst die Voraussetzungen für eine ehrliche politische Debatte zu schaffen

Lassen wir die Frage für einen Moment mal beiseite, ob Angela Merkel sich beruhigt zurücklehnen und im Schlafwagen den Wahlen im nächsten Jahr entgegenträumen kann, weil die Opposition mit Peer Steinbrück keine wirkliche Chance zur Wachablösung habe. Bevor man sich darin festlegt, gibt es noch andere Gründe, sich über seinen Einstand als Kanzlerkandidat der sozialdemokratischen Opposition Gedanken zu machen. Auf sie möchte ich hier eingehen.

Eindeutig, scheint mir, handelt es sich bei der erregten Debatte über die Nebeneinkünfte des Ex-Finanzministers ebenso um eine Randfrage wie bei der These, er komme sich mit seinem hybriden Selbstverständnis in die Quere. Ich nehme es keinem seiner Generalsekretärs-Kritiker von CSU- oder FDP-Seite derzeit ab, sie könnten ernsthaft Soge tragen, Steinbrück sei ein „Kandidat der Finanzindustrie“. Legitimiert zu solchen Einwänden sind nur diejenigen, die sich selber dabei hervorgetan haben, ihre Interessenverflechtungen oder möglichen Zielkonflikte offenzulegen, da müsste man beispielsweise bei der CSU und der gigantisch verschuldeten, staatsgeretteten bayrischen Hypo-Real-Estate beginnen und dürfte die Hotellobby bei den Liberalen sowie die Steuerbefreiung zu ihren Gunsten als Auftakt ins schwarz-gelbe Regierungsvergnügen nicht vergessen. Als besonders sensibel und selbstkritisch, wo es um mögliche Einflüsse von Lobbyisten und Verbänden auf die Politik geht, hat man die Christlich-Sozialen, die Christdemokraten oder die Freidemokraten leider nicht kennengelernt.

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Aber mir geht es hier gar nicht um eine Retourkutsche. Was in erster Linie zu bedauern bleibt, ist das Niveau der Auseinandersetzung, die auch von Journalisten geführt wird, und der Eifer, mit dem sie sich auf diesen Aspekt stürzen. Jeder weiß doch in Wahrheit, dass das Problem nur entstanden ist, weil Steinbrück im Jahr 2009 nach Beginn der schwarz-gelben Demonstration dessen, was dieses zweite Kabinett Merkel unter Regierungskunst versteht, sich praktisch aus der aktiven Politik zurückzog und glaubte, dies sei eine endgültige Entscheidung. Er machte den Fehler, sein Mandat zu behalten. Nebenher ließ er sich für Vorträge und für's Bücherschreiben gut bezahlen. Das ist nicht illegitim. Ein „Knecht“ des Großkapitals ist er deswegen nicht, da fielen einem andere ein. Jetzt kehrt er in die Politikarena zurück und muss sich anders verhalten. Punkt.

Was zugleich gesagt werden muss, ist: In vielerlei Hinsicht erscheint die Debatte jetzt nicht nur angetrieben von purem Neid; von der unendlichen Peinlichkeit einmal abgesehen, dass Moderatoren mit Millionen-Einkünften, für die Steinbrücks Honorare Peanuts sind, Günter Jauch beispielsweise, ihm die Höhe seines Salärs vorhalten oder sich aufschwingen zu Sprechern der Zukurzgekommenen dieser Erde, denn Repräsentant einer Partei der kleinen Leute sei es doch unangemessen, so viel Geld einzustreichen. Von ähnlich populistischem Biedersinn und Scheinheiligkeit zeugt die regelmäßig wiederkehrende Debatte über die Abgeordnetendiäten: Als sei es nicht gutes Geld wert, wenn wir wirklich kompetente und unabhängige Volksvertreter so bezahlen, dass sie auch bereit sind, sich einer politischen Karriere zu widmen, statt irgendwo ihre Profite als CEOs von Unternehmen oder Bankmanager einzustreichen, die jeden – aber wirklich jeden! – Rahmen sprengen.

Was das Gros der Journalisten – nicht alle – dabei versäumt, ist, die ernsthaften Themen ernst zu nehmen. Sie lenken nur zu gern ab, haltet den Dieb! Mit seinem Banken-Papier beispielsweise hat Steinbrück vergleichsweise nur ein gewisses Säuseln ausgelöst, als sei die Frage nach einer Regulierung der Finanzmärkte und einem Deckel für das unkontrollierte Spekulieren in Zweckgesellschaften, die von den klassischen Banken ausgelagert und abgetrennt wurden, nicht ungleich bedeutsamer als die Frage, ob ein Honorar von, sagen wir, 10.000 Euro für den Vortrag vor einem Versicherungsverband ein Fall von unerlaubter Bereicherung oder Lobbyismus gewesen sei. Einigermaßen unehrlich, um nicht schizophren zu sagen, erscheint schon der Einwand, Steinbrück und die SPD hätten doch selber die Deregulierung der Finanzwirtschaft durchgepaukt, während sie sich jetzt damit brüsteten, Dämme gegen diese Flut zu bauen, die 2008 mit der großen Finanzmarktkrise ganze Volkswirtschaften ins Trudeln brachte. Die schwache Partie von Schwarz-Gelb beim Versuch, gesetzlich das Banken-Wesen zu re-regulieren, wird kaum je verhandelt.

Seite 2: Voraussetzungen für eine ehrliche politische Debatte schaffen

Partout will nicht ein einziger Journalistenname in den Sinn kommen, von dem sich sagen ließe, er habe frühzeitig die regierenden Sozialdemokraten davor gewarnt, sich der Liberalisierung der Finanzmärkte oder der Gründung dieser Zweckgesellschaften entgegenzustemmen. Mehr noch: Was die Geschichte dieser Entfesselung angeht, muss man von einem schmählichen Versagen des Wirtschaftsjournalismus reden – und da hat man von den mentalen Verheerungen, die Mainstream-Ökonomen wie Hans-Werner Sinn (nehmt einen nur für alle!) anrichteten, noch gar nicht geredet. Sie haben die Politik vor sich hergejagt. Diese Geschichte eines grandiosen Irrtums – oder gar einer grandiosen Irreführung? – ist leider bislang von keinem derjenigen selbstkritisch/kritisch aufgeschrieben worden, die selber mitgemacht haben. Erst dann wären die Mitverantwortlichen aber legitimiert, mit dem Finger auf andere zu zeigen.

Bloß keine Missverständnisse: Mir geht es hier nicht um eine Entlastung Steinbrücks oder der Opposition, sondern darum, überhaupt erst die Voraussetzungen für eine ehrliche politische Debatte zu schaffen. Es wird sich dann schon noch genug Gelegenheit bieten, sich kritisch anzulegen mit der Opposition. Auch eine wirkliche Alternativdebatte über Auswege aus der europäischen Krise oder gar die Vorstellung von einer künftigen politischen Union haben die Medien nicht ausgelöst. Erwartet werden von Sozialdemokraten und Grünen zwar – mit Recht – Alternativen, sie möchten sich doch gefälligst von Angela Merkels Kurs klar unterscheiden. Aber als Mutmacher und Muntermacher, die diese arg auf nationale Interessen verkürzte Europa-Politik kritisch sezieren und sich couragiert an die Idee eines gemeinsamen europäischen Hauses der Zukunft herangetastet hätten, konnte man die Medien in aller Regel nicht wahrnehmen. Hannemann, geht du voran!, rufen die Ängstlichen oder Populistischen der Politik heroisch zu.

Ein seltsam verdruckster, un-offener Zeitgeist herrscht vor. In dieser Lage, in der sich so viele bedeckt halten, von anderen aber Mut verlangen oder sich auf Nebenthemen stürzen, als hänge das Wohl der Republik daran, ist aus meiner Sicht der Kandidat Peer Steinbrück – der richtige Mann zur fast richtigen Zeit. Er hätte früher antreten und sich als Krisenmanager beweisen sollen. Falsch ist die Beobachtung kluger Zeitgenossen sicherlich nicht, er argumentiere pointiert und rede gern Klartext, wenn man das aber auf seinen Gehalt überprüfe, stelle sich rasch heraus, dass er auch ein „Kandidat der Mitte“ sei. Ja, aber was denn sonst? Wo anders als in der Mitte werden Wahlen gewonnen? Sogar Mitt Romney in den USA erkennt augenblicklich, dass die fundamentalistische Tea-Party-Rhetorik die Wähler nur den Demokraten zutreibt. In London hat Ed Miliband, Chef der Labour-Party, vor wenigen Tagen mit einer glänzenden Rede genügend Punkte gegen die regierenden Konservativen gutgemacht, um über Nacht plötzlich als aussichtsreiche Konkurrenz zum angeschlagenen Tory-Chef und Permierminister David Cameron zu erscheinen. (Soviel, nebenbei, an alle diejenigen, die sich ein Urteil zutrauen, das Blatt könne sich schlicht nicht wenden und Angela Merkel sitze hundertprozentig sicher im Sattel.) Und wie hat Miliband das Wunder vollbracht?

Seite 3: Eine dezente Mitteposition – das könnte die Stärke von Steinbrück sein

Er hat an die „Einheit der Nation“ appelliert, also daran, dass sein Land nicht noch weiter in Oben und Unten, in Reich und Arm, in Klassen zerfallen dürfe. Er hat, kurzum, eine dezente Mitteposition bezogen, ohne es an Klarheit fehlen zu lassen. Das, scheint mir, könnte die Stärke von Steinbrück sein – oder werden, wenn er es klug anstellt. Helmut Schmidt war gleichfalls eine Mischung aus Mitte und Klarheit. Willy Brandt übrigens ähnlich, obwohl das Klischee von ihm die Wirklichkeit oft überdeckte. Gerhard Schröder, den Steinbrück neben Schmidt verblüffenderweise sein Vorbild nennt, hielt es nicht anders. Sein „Nein“ zum Irak-Krieg war eindeutig, es reflektierte eine moderate, keine radikale Position, und seine „Agenda 2010“ irritierte sogar die eigene Anhängerschaft. Sie war eindeutig und zugleich ein Balanceakt, um der Globalisierung Rechnung zu tragen, ohne sich dem neoliberalen Zeitgeist schlicht zu ergeben.

Es ist, kurz gesagt, ein Irrtum zu meinen, die politische „Mitte“, eine moderate Position und „Klarheit“ in der Sache schließe sich aus. Man beobachte sich doch selbst: Hat es nicht etwas geradezu Befreiendes, wenn jemand sagt, was er denkt, Argumente bereit hält, bereitwillig diskursiv auftritt, auch kritischen Rückfragen zuhört, wenn sie Kompetenz verraten? Oder auch ungeduldig wird bei fortgesetzten „Dämlichkeiten“? Das kleine Format der Kanzlerin, die uns nicht überfrachten will mit Politik, erscheint populär. Sie sagt nicht, wohin die Reise geht, nach drei Jahren griechischer Krise allerdings lamentiert sie für jedermann hörbar, ihr blute das Herz angesichts der Lage armer Menschen in diesem Land, und ebenso lange hat sie auch gebraucht, um sich zu einem Sechs-Stunden-Trip nach Athen zu entschließen, wo sie das blutende Herz auch zeigen kann. Andererseits hat sie unsereins, der deutschen Öffentlichkeit, immer die strenge, harte Hausfrau vorexerziert, die andere Mores lehrt, deutsche Mores!, die sich von Rettungsschirm zu Rettungsschirm treiben ließ, die letztlich immer daran vorbeischrammte, frühzeitig und eindeutig zu sagen, was sie will oder nicht will. Unklarheit wurde ihr Prinzip. Das Nicht-Diskursive, hier wird’s Ereignis – auch wenn sie sich dann immer mal wieder geduldig vor die Fernsehkameras setzt und listig behauptet, alles sei klar.

Meine Vermutung ist daher, dass es ein Vakuum nicht an scharf konturiert linker oder grüner oder konservativer, sondern schlicht an klarer, begründender Politik gibt. Man möchte endlich mal wieder zuhören können in der Gewissheit, dass der Politiker X oder die Politikerin Y sagt, was er meint oder wohin sie will, auch dann übrigens, wenn etwas nicht geht und warum dem erwünschten Ziel Grenzen gezogen sind. Wir steuern, wie der Soziologe Ulrich Beck im „Spiegel“ richtig diagnostiziert, auf ein „deutsches Europa“ zu, aber die Politik dementiert das Evidente selbstredend, was das Zeug hält. So verhält sich das permanent. Schnörkellos, aber inhaltsreich, argumentativ und auch ehrlich, so wünscht man sich Politik, sie vermisst man schon lange. Wie er denn über Angela Merkel „herfallen“ wolle, wenn er sich kaum unterscheide, wollte – ganz im Ernst – Moderator Jauch von Steinbrück wissen. Der unterdrückte ausnahmsweise, was er denkt. Sagen wir so: Wenn das Wahljahr eine Rückkehr nicht zur scharfen Kontur, zum Übereinander-“Herfallen“, sondern zur klassischen Politik bescherte, wäre allein das schon ein großer Sprung. Darin liegt Peer Steinbrücks, vor allem aber unsere Chance. Ob sich damit auch noch Wahlen gewinnen lassen, nun, darüber reden wir später.

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