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Kebekus/Einsfestival

Kirchliche Meinungsmacht - Jagd auf die Häretiker

Mit ihrem Rap-Video im Look der Ordensschwester nahm es Carolin Kebekus mit dem kirchengnädigen Meinungsmonopol in Deutschland auf. Ein hoffnungsloses Unterfangen: Gotteslästerung steht im Prinzip immer noch unter Strafe. Viele Medienhäuser üben vorsorglich Selbstzensur

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Man stelle sich folgendes Video vor: Die Berliner Bundesminister lümmeln am Kabinettstisch, mit verschränkten Armen, gähnen. Der Chefsessel ist noch leer. Tuscheln, Lästern. Schnitt. Eine Tür geht auf. Angela Merkel stürmt herein, hebt den Zeigefinger – tanzt und rappt: „Wer hat das grad‘ gesagt – und Mutti hinterfragt?“ Nächstes Bild, die Kanzlerin lutscht das Grundgesetz ab. Schnitt. Jetzt steht sie vor einem Foto des Deutsche-Bank-Vorstands. Sie lehnt sich zurück, hebt den Rock hoch. „Jürgen Fitschen ist eine Bank, nur für ihn zieh ich blank.“

Der Satire-Film sollte eigentlich in einem öffentlich-rechtlichen Sender ausgestrahlt werden. Doch daraus wird nichts. Die Begründung der Programmmacher: Der Clip könne politische Überzeugungen von Zuschauern verletzen.

Ein paar Tage später fordert eine radikale CSU-Splittergruppe rechtliche Konsequenzen. Die Produzenten hätten gegen das Strafgesetzbuch verstoßen – Kanzlerlästerung.

Völlig gaga? Ein Märchen aus Iran, aus der Türkei, vielleicht aus Griechenland, wo ein Regierungschef im Handstreich mal eben das Licht beim staatlichen Sender ERT löschen kann?

Ja – wenn man die Vorzeichen dieses Szenarios ändert: das Politische wird religiös. Dann erzählt diese Szene die Geschichte des kirchenkritischen Satire-Rap „Dunk den Herrn“ von Carolin Kebekus. Das Video, das seit einer Woche ein Hit auf Youtube ist, wurde von den Verantwortlichen des WDR aus dem Programm bei Einsfestival genommen. Womöglich sogar: zensiert. Die Comedy-Darstellerin hatte so ziemlich alles gemacht, was einen frommen Katholiken auf die Palme bringt: sich in eine Ordenskluft geschmissen, ein Kruzifix abgeleckt, Ministranten von Priestern streicheln lassen.

[video:Carolin Kebekus: Dunk den Herrn!]

Prompt gab es Widerstand der erzkonservativen Pius-Brüder, die jahrelang den Holocaust-Leugner Richard Williamson in ihren Reihen toleriert hatten. Die Produktionsfirma habe gegen Paragraf 166 Absatz 1 Strafgesetzbuch verstoßen. Danach macht sich schuldig, wer „den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören“. Früher hieß das auch: Gotteslästerung. Die Pius-Bruderschaft veröffentlichte auf ihrer Webseite sogar eine Musterklage gegen Kebekus. Jetzt droht der Satire-Künstlerin ein Strafverfahren.

Was man eigentlich als rheinische Provinzposse abtun könnte, ist ein Betriebsunfall des politisch-medialen Systems Bundesrepublik. Wir haben keinen Ajatollah, keinen Scheich, keinen Großinquisitor mehr (oder zumindest fast: der nämlich heißt heute „Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre“ und findet sich in der Person des emeritierten Regensburger Bischofs Gerhard Ludwig Müller).

Aber wir haben den Paragrafen 166. Er ist eine Daumenschraube, die Kirchenobere auch heute noch gern den Häretikern anlegen. Nicht ohne Erfolg. Nach einem einzigen Protestaufruf bei Stefan Raabs TV Total schweigt Kebekus jetzt.

Der 166er: Man könnte an ein lustiges Gesetz denken, wie es sie massenhaft in den USA gibt; wo etwa im Staat Idaho das Karussellfahren am Sonntag genauso verboten ist wie Angeln vom Kamelrücken aus. Doch in Deutschland kann morbider Spaß schnell zu strafrechtlichem Ernst werden. Ein Button mit der Aufschrift „Lieber eine befleckte Verhütung als eine unbefleckte Empfängnis“? Strafbar. Ein gekreuzigtes Schwein auf dem T-Shirt einer Punk-Band? Ein Fall für den Justizvollzug. Ein Theaterstück, das Gott als Toilettenbrille zeigt? Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Auch, wenn der umstrittene Strafrechtspassus nur noch selten angewandt wird – all das haben Richter entschieden, das letzte Beispiel sogar beim Bundesverfassungsgericht.

Wenn es nach dem Großinquisitor Präfekt der Glaubenskongregation, Gerhard Ludwig Müller, ginge, würde der Paragraf 166 sogar noch viel häufiger angewandt. Etwa bei unliebsamen Recherchen. Journalisten, die vor zwei Jahren über die Missbrauchsfälle bei den Regensburger Domspatzen schrieben, bescheinigte der Regensburger Bischof „kriminelle Energie“. Die Presse habe „antikatholische Propaganda“ betrieben und sich am „totalen Herrschaftsanspruch des Neo-Atheismus und der Diktatur des Relativismus“ orientiert, dokumentierte die Süddeutsche Zeitung damals.

Und in seiner eigenen Predigt verdrehte Müller einfach mal die Aussagen des Philosophen Michael Schmidt-Salomon. Immerhin – der Humanist wehrte sich und erwirkte im August 2011 (!) ein bahnbrechendes Urteil vorm Bundesverfassungsgericht: Geistliche dürfen sich seitdem nicht mehr auf die Religionsfreiheit berufen, wenn sie in ihren Predigten falsche Tatsachen verbreiten.

Ähnliches wünscht sich Schmidt-Salomon auch für den Paragrafen 166, „der weltanschauliche Borniertheit unter Denkmalschutz stellt“.

Beim WDR gibt es noch einen eigenen 166er: Das Gesetz in §5 legt die Rücksichtnahme vor religiösen Überzeugungen fest. Auf diesen Passus beriefen sich die Programmmacher, als sie Kebekus‘ Sendung annullierten.

Die Kirchen haben offenbar mehr Einfluss, als ihre beiden Sitze im Rundfunkrat des Kölner Senders vermuten lassen. Bei anderen öffentlich-rechtlichen Anstalten ist das Missverhältnis noch größer: Im NDR-Rundfunkrat sind zehn Prozent der Mitglieder von den Kirchen oder kirchlichen Wohlfahrtsorganisationen entsandt, beim MDR in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt sogar knapp zwölf Prozent. Dabei sind drei von vier Ostdeutschen konfessionslos. In die Kirche geht dort überhaupt nur jeder zehnte Christ regelmäßig. Mit welchem Recht haben die christlichen Religionsgemeinschaften also ein derart starkes Mitspracherecht bei der öffentlich-rechtlichen Programmgestaltung? Muslimische Vertreter etwa haben in diesen Gremien noch keinen Platz – auch nicht bei ARD und ZDF.

Schmidt-Salomon sagt, bei den Medien beobachte er „Selbstzensur“ und „vorauseilenden Gehorsam“. Im Gegenzug litten die Religionsgemeinschaften unter einem „kognitiven Glasknochensyndrom. Schon ein kurzes, spitzes Argument genügt, um schwerste innere Verletzungen herbeizuführen.“ Dabei habe die „besondere Rücksichtnahme auf die religiöse Kritikallergie“ gerade beim WDR Tradition. So sei 1997 der Fernsehbeitrag „Spott und Hohn für Gottes Sohn“, der den Umgang mit Kirchenkritik in Deutschland dokumentieren sollte, kurzfristig aus dem Programm genommen worden. 1998 habe sich das Gleiche beim WDR-Hörfunkfeature „Straftatbestand: Gotteslästerung“ wiederholt. „So werden selbst Sendungen über Zensur noch zensiert.“

Wo Gleichgültigkeit angesagt wäre, regiert eine geradezu mittelalterliche Raserei gegen jede Form von medialer oder künstlerischer Kirchenkritik. Und das sogar im Deutschen Presserat. Nicht nur die Papst-Satire der Titanic fiel durch das bigott-engmaschige Moralraster der obersten Standesvertreter. Auch die Berliner Tageszeitung kassierte eine Rüge. Sie sei zu weit gegangen, als sie zum Antritt des neuen Papstes Franziskus titelte: „Junta-Kumpel löst Hitlerjunge ab“. Der Presserat sah darin eine Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht und rügte das Blatt. Die Nähe Jorge Bergoglios zur argentinischen Militärjunta sei nicht ausreichend bewiesen.

Dabei hatten Zeitzeugen und ein Investigativjournalist diese Nachweise erbracht: Bergoglio habe in den 70er Jahren Jesuiten verraten. Allerdings liegen auch gegenteilige Darstellungen über Bergoglios Verhalten in der Diktatur vor, wie Taz-Chefin Ines Pohl in einem Blog-Beitrag einräumte. „Damit sind wir in diesem Fall übers Ziel hinaus geschossen.“

Noch so ein Einknicken, das Schmidt-Salomon nicht nachvollziehen kann: „Das würde ich anders sehen. Es muss erlaubt sein, Aussagen zuzuspitzen.“ In Deutschland hat sich aus seiner Sicht eine Überempfindlichkeit gegenüber religiösen Diskussionen entwickelt, die nicht nur im europäischen Vergleich, sondern auch in der historischen Betrachtung ungewöhnlich ist. So empörten sich 2007 viele Menschen über Richard Dawkins Buchtitel „Der Gotteswahn“. „Dabei hat schon Immanuel Kant, der ganz gewiss kein militanter Atheist war, von ‚Religionswahn‘, ja sogar von einem ‚Afterdienst Gottes‘ gesprochen“, sagt Schmidt-Salomon. „Stellen Sie sich die Empörung vor, wenn man einen solchen Ausdruck heute gebrauchen würde! Selbst sehr gemäßigte Autoren haben in früheren Jahrhunderten Formulierungen verwendet, die man heute nicht benutzen darf, ohne dass sofort der Presserat dagegen einschreiten würde.“

Nicht zu vergessen all die Kirchenvertreter, Verlage und Rundfunkräte, die Berichte noch vor der Veröffentlichung zu verhindern wissen.

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