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Sebastian Edathy - Die Rache eines Gefallenen

Monatelang war es ruhig um Sebastian Edathy. Heute spricht er vor dem Untersuchungsausschuss zur Kinderporno-Affäre. Der Fall wird zum Problem für die SPD

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Sebastian Edathy ist tief gefallen. Seine politische Karriere wurde vor zehn Monaten abrupt beendet, sein Bundestagsmandat hat er niedergelegt, die SPD würde ihn am liebsten aus der Partei schmeißen. Die Staatsanwaltschaft Verden hat gegen ihn Anklage erhoben, wegen des Verdachts des Besitzes von Kinderpornografie. Der 45jährige lebt im Ausland, in Deutschland fühlt er sich offenbar seines Lebens nicht mehr sicher. „Ich führe ein Leben im Ausnahmezustand“, sagt Edathy.

Ein letztes Mal betritt Edathy am Donnerstag in Berlin die große politische Bühne. „Den Politiker Edathy gibt es nicht mehr“, sagt er gleich zu Beginn, aber es besteht kein Zweifel, der Ex-Politiker nimmt Rache an der Partei, dessen Mitglied er immer noch ist. Erst steht er zwei Stunden Journalisten Rede und Antwort, anschließend einem Untersuchungsausschuss des Bundestages. Und wenn nur ein Teil dessen der Wahrheit entspricht, was Edathy an diesem Tag wortreich erzählt und zugleich in einer eidesstattlichen Versicherung niedergeschrieben hat, dann hat die SPD jetzt ein ziemlich großes Problem.

Führende Sozialdemokraten im Fokus
 

Es steht ein ungeheurer Verdacht im Raum, in dessen Mittelpukt der SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Hartmann, der damalige BKA-Präsident Jörg Ziercke (SPD-Mitglied), aber auch Fraktionschef Thomas Oppermann stehen. Der Verdacht, Hartmann habe im Zusammenspiel mit Ziercke den SPD-Bundestagsabgeordneten Edathy in mehreren Gesprächen über den Kinderpornoverdacht informiert und vor Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gewarnt, der Fraktionsvorsitzende Oppermann habe die Öffentlichkeit wissentlich belogen. Es stellt sich die Frage, ob Edathy die Gelegenheit gegeben wurde, Beweise zu vernichten, ob sich führende Sozialdemokraten wegen Strafvereitelung verantworten müssen. Und wenn tatsächlich auch der Ex-Chefermittler des BKA dahinter steckt, wie Edathy vom Hörensagen behauptet, dann droht sogar eine Staatsaffäre. Hartmann und Ziercke dementieren, es steht Aussage gegen Aussage. Hartmann soll noch an diesem Donnerstag vor dem Untersuchungsausschuss aussagen, Ziercke und Oppermann Anfang kommenden Jahres.

Edathy, so viel ist an diesem Donnerstag klar, sieht sich als Opfer einer öffentlichen Vorverurteilung, an der sich vor einem knappen Jahr auch Parteifreunde beteiligt hätten. Die Unschuldsvermutung habe für ihn nicht gegolten, sein Leben wurde zerstört. Edathy spricht von „Hysterie“, legales Verhalten sei „Gegenstand von Skandalisierung“ geworden.

Jetzt schlägt Edathy zurück. Nicht ohne eine gehörige Portion Selbstgerechtigkeit legt er vor den Hauptstadtjournalisten bis ins Detail dar, welcher Sozialdemokrat nach seiner Kenntnis wann was über den Verdacht gegen ihn gewusst habe. Genüsslich verteilt er anschließend an die Mitglieder des Untersuchungsausschusses eine zwölfseitige Übersicht seines SMS-Verkehrs mit Parteifreunden. Einige davon hatte zuvor bereits das Magazin Stern in seiner aktuellen Ausgabe veröffentlicht und vor allem Parteichef Sigmar Gabriel und Fraktionschef Thomas Oppermann erscheinen dabei in keinem guten Licht. Oppermann soll Edathy zufolge früh gewusst haben, dass Michael Hartmann und Sebastian Edathy sich über den Kinderporno-Verdacht eng ausgetauscht haben. Später soll der Fraktionschef Edathy über einen Mittelsmann gedrängt haben, sein Bundestagsmandat niederzulegen.

Edathy sieht sich als Opfer
 

Als Täter hingegen sieht sich Edathy nicht. Ein Wort des Bedauerns oder der Reue kommt ihm nicht über die Lippen, Mitgefühl mit jenen Kindern, die in einer brutalen kinderpornografischen Industrie zu Opfern werden, kommt ihm keines über die Lippen. So laut Edathy die Medien anklagt und so selbstgerecht er auf seine ehemaligen Parteifreunde zeigt, so schweigsam wird er immer dann, wenn es um seine eigene Schuld geht, um eine strafrechtliche oder eine moralische. „Im Rückblick war es sicherlich falsch, diese Filme zu bestellen“, sagt er, moralisch sei dies sicher nicht in Ordnung gewesen, „aber es war legal“. Die Filme, die er vor einigen Jahren bei einem kanadischen Anbieter heruntergeladen habe und die die Affäre ausgelöst hätten, seien alle legal gewesen, das hätten mittlerweile auch die Ermittlungsbehörden eingeräumt. Strafrechtlich habe er sich, bezogen auf diese Filme, nichts vorzuwerfen. Auf Nachfragen reagiert er trotzig: "Was ich gemacht habe, geht im Rechtsstaat niemanden etwas an, solange es legal ist.“

Doch längst stehen weitere Vorwürfe im Raum. Doch zu der Anklage der Staatsanwaltschaft, bei der es um andere Vorwürfe und weiteres kinderpornografisches Material geht, will er nicht Stellung nehmen. Da will er dem Gericht und dem womöglich bevorstehenden Prozess nicht vorgreifen. Möglicherweise, so spekuliert Edathy schließlich, werde der Prozess gar nicht stattfinden, der Richter in dem Verfahren habe angeregt, das Verfahren gegen die Zahlung einer Geldbuße einzustellen. Später am Tag dementiert das Landgericht Verden, die Anregung zur Einstellung des Verfahrens stamme nicht von dem Richter, sondern von Edathys Verteidiger. Eine Entscheidung sei noch nicht gefallen. Edathys Glaubwürdigkeit stärkt dieses Dementi nicht. Vielleicht ist das ein Lichtblick für die SPD.

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