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(picture alliance) Deutschland schafft sich ab. Zu wenige entscheiden sich für ein Kind.

Demographie - Kinder sind Luxus, den sich Reiche nicht leisten

Die Deutschen bekommen zu wenige Kinder. Gerade hat das Statistische Bundesamt die neuesten beunruhigenden Zahlen zusammengestellt. Schuld an der Misere ist aber nicht die Politik. Sondern wir selber.

Autoreninfo

Marie Amrhein ist freie Journalistin und lebt mit Töchtern und Mann in der Lüneburger Heide.

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Deutschland leidet unter akuter Kinderarmut. Das Statistische Bundesamt hat in der vergangenen Woche die Studie „Wie leben Kinder in Deutschland?“ vorgestellt. Eine gravierende Erkenntnis der Erhebungen aber ist: viele leben gar nicht.

Deutschland ist arm an Kindern. Wir sind das kinderärmste Land Europas. Im Jahr 2000 lebten noch 15,2 Millionen minderjährige Kinder in deutschen Haushalten, zehn Jahre später ist die Zahl unseres Nachwuchses um 2,1 Millionen gesunken. Und dieser Trend wird sich weiter fortsetzen, verkündet Roderich Egeler, Präsident des Statistischen Bundesamtes. Da hat die Politik nun alles Demokratiemögliche getan: Die Bundesregierung will bis 2013 noch 280.000 zusätzliche Betreuungsplätze schaffen, um ihr Ziel von 750.000 zu erreichen, flankiert werden diese Maßnahmen von Millionenbeträgen, die in Kindergeld und Elterngeld investiert werden. Trotz alledem werden die schlimmsten Warnungen der Demographen Realität.

Dazu gerät noch die bisherige These, die unzureichende Betreuungslage sei schuld an Deutschlands Kinderschwund, ins Wanken: Denn vor allem in Ostdeutschland fehlen die Kinder. Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern aber liegen bei der Betreuungsquote ganz weit vorne, jedes zweite Kind unter drei Jahren befindet sich dort in einer Kita oder bei einer Tagesmutter. Warum aber sinken gerade im Osten dann die Geburten.

So gern die Politik zum Sündenbock gemacht wird: Die Fakten scheinen dagegen zu sprechen. Frankreich, Schweden oder Norwegen sind nicht wegen ihrer großartigen Politik als kinderfreundliche Nationen bekannt, sondern wegen einer Gesellschaft, die das möglich macht. Wegen der Menschen, die dort leben, wegen der Unternehmen, die mitspielen. Die französische Mutter, die ihr zweijähriges Kind um halb sechs Uhr abends aus der Kita holt, wird nicht schief angeguckt. Der schwedische Vater, der am frühen Nachmittag den Computer herunterfährt, um seine Kinder vom Kindergarten abzuholen, trifft sich später noch mit seinem Arbeitskollegen und dessen Kindern auf dem Spielplatz.

Diese Szenen haben mit der deutschen Wirklichkeit nichts zu tun. Und das liegt nicht daran, dass wir aus finanziellen Gründen keine Kinder in die Welt setzen, dass wir Angst haben, weil am Horizont prekäre Arbeitsverhältnisse und HartzIV winken. Und es liegt offensichtlich auch nicht wirklich an unzureichenden Kitaplätzen. Wer Kinder in diese Welt setzt, ist sowieso vor Hoffnung verrückt, wie es Wolf Biermann schon 1982 sang. Und seine Zeilen stimmen noch heute.

Lesen Sie im nächsten Teil, warum Deutschlands Kinderlosigkeit kaum mit Geld zu bekämpfen ist.

Finanzielle Unsicherheit ist selten der Grund, warum wir keine Kinder kriegen. Denn wenn noch jemand Kinder bekommt, sind es gerade die Menschen aus der sogenannten Unterschicht. Das Bildungsbürgertum dagegen denkt nicht daran, die Bundesrepublik mit der Elite von morgen zu versorgen. Kinder kosten Zeit und Geld. Kinder sind Luxus. Aber sie sind offenbar der einzige Luxus, den sich arme Menschen leisten können und der einzige Luxus, den sich reiche Menschen nicht leisten wollen.

Dabei erzählen doch unsere Eltern von verklärten Spielen aus der Nachkriegszeit unterm Apfelbaum, im Kuhstall und auf der Pflasterstraße. Armut macht also nicht unglücklich. Kinderglück hängt nicht von der richtigen Markenjeans unter dem Weihnachtsbaum ab. Keine Frage, arm sind Kinder, denen nicht vorgelesen wird, denen die Sicherheit fehlt, dass sie lieb gehabt werden, deren Eltern auf ihrem Rücken Streitereien austragen, die zum Prellbock gescheiterter Liebe werden. Arm sind Kinder, denen das Gefühl gegeben wird, dass Vater oder Mutter ihretwegen auf ein lebenswertes Leben verzichtet haben. Die darunter leiden müssen, dass die Mutter den sie ausfüllenden Job aufgeben musste, dass der Vater sie nie ins Bett bringt, weil der Arbeitgeber keine Teilzeit ermöglicht.

Diese Kinderarmut aber kann auch ohne große Finanzströme behoben werden. Eigentlich müsste ein jeder seinem Kind eine reiche Kindheit bescheren können. Die Frage ist nur, wie viel Kraft das kostet in einer Gesellschaft, die es immer wieder verpasst, die richtigen Weichen zu stellen.

Denn es kostet Kraft, sich in einer schwäbischen Kleinstadt als vollzeitarbeitende Mutter gegen die Vorurteile der Spielplatzmütter zu wehren. Es kostet Kraft, daran, zu glauben, dass ein Kind schon mit eineinhalb Jahren eine tägliche Betreuungszeit von acht Stunden bei der Tagesmutter gut übersteht, wenn einem ständig das Gegenteil eingeredet wird.

Es kostet Kraft, Teilzeit zu arbeiten und die Nachmittage auf dem Spielplatz mit einem verantwortungsvollen Job zu kombinieren, Projekte anzuschieben, dem Chef Interesse und vollen Einsatz zu zeigen und ab 16 Uhr für das Kind da zu sein und auch ihm das Gefühl zu geben, dass es zur Zeit keinen wichtigeren Auftrag gibt. Es kostet Kraft, ein guter Vollzeitvater oder eine gute Vollzeitmutter zu sein, den Haushalt im Schwung zu halten und dem Kind die liebevolle Unterstützung zu sein, die es braucht.

Geld hilft dabei, das alles zu meistern. Kinderbetreuung hilft. Eine kinderfreundliche Politik hilft. Aber vor allem hilft ein verständnisvoller Arbeitgeber, ein unterstützendes Umfeld, eine stabile Beziehung, eine liebevolle eigene Erziehung von der man sich etwas abgucken kann. Es sind eine Menge Stellschrauben, die bei der Bekämpfung von Deutschlands Kinderarmut gedreht werden können. Vor allem aber ist die Gesellschaft, sind wir gefragt.

Mut auf mögliche Veränderung machen dabei Zahlen, die das Statistische Bundesamt offensichtlich von den Familiengerichten eingefordert hat: Im Jahr 2000 kämpften noch drei von zehn geschiedenen Eltern um das Sorgerecht für ihre Kinder. Im vergangenen Jahr kam das nur noch in einem von zehn Fällen vor.

Wenn schon tief zerstrittene Eltern ihre Wut und Trauer hinter sich lassen können, um an das Wohl ihrer Kinder zu denken, dann kann man vielleicht auch anderen Bereichen unserer Gesellschaft zumuten, ihr Verhalten und ihr Denken zu ändern. Sodass wir unseren Kindern glückliche Kindheiten bescheren können, ob im Plattenbau oder in der Eigentumsvilla. Denn die Elite von morgen muss nicht aus der Bürgerschicht kommen. Es schadet nicht, wenn die Eltern Professoren oder Manager sind. Es sollte aber auch nicht schaden, wenn sie es nicht sind.

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