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(picture alliance) Wer ein perfektes Leben will, entscheidet sich lieber gegen das Risiko „Kind“

Familienplanung - Kinder passen nicht in ein perfektes Leben

Das Los der potenziellen Eltern-Generation ist es, dass sie in einer Welt voller Entfaltungsmöglichkeiten nach Perfektion strebt – Kinderkriegen aber bedeutet ein Risiko. Und so schrumpft der Kinderwunsch zum Unterpunkt auf der Prioritätenliste des Lebens

Gerade gestern wieder – ein schöner Abend unter Freundinnen. Unter Frauen, die in einem Alter sind, in dem wir darüber nachdenken, ob das sein soll: Ob Kinder in unser Leben passen. Und wenn nicht jetzt, dann doch zumindest bald. Naturgemäß ein Alter, in dem die damit verbundenen Entscheidungen immer eiliger getroffen werden müssen. Und das in einer Gesellschaft, die alles ermöglicht und doch zu nichts ermutigt, die Perfektion fordert und dabei Versagensängste schürt. Eine Gesellschaft, die kein Zögern duldet, die jeden mitschleift, der noch laufen kann, die aber nicht wartet, wenn einer strauchelt.

An einem Abend wie diesem wälzen wir Fragen wie diese: Will ich mit dem? Will ich überhaupt? Beziehungsweise wo ist der Mann, mit dem ich mir ein Kind vorstellen kann? Werde ich meinen Beruf ausüben können, so dass ich selbst ein erfülltes Mutterleben führen kann? Ohne dass ich Gefahr laufe, mein Kind zu meinem einzigen Lebensinhalt zu machen, zur Glucke zu werden? Ist unsere Liebe stark genug, um das nächtliche Konkurrenzgerangel um genügend Schlaf zu überstehen? Um fehlende körperliche Nähe in der Paarbeziehung auszuhalten? Ist es mutig, ein Kind ohne Partner zur Welt zu bringen? Oder egoistisch? Gar verrückt?

Es gibt heute Wichtigeres im Leben als Kinder. Das erfahren wir aus der jüngsten Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsentwicklung: 1,39 Kinder bekommen die Deutschen im Durchschnitt und liegen damit im Schlussfeld Europas. Hobbys, Freunde, die Arbeit: "Kinder stellen nicht mehr für alle Deutschen einen zentralen Lebensbereich dar", heißt es.

Die Gründe, so das Institut: Es fehle die Anerkennung für Menschen, die Kinder in die Welt setzen. Frauen hätten Angst, als Rabenmütter dazustehen. Und Väter würden noch immer nicht als vollwertiger Ersatz in der Kindererziehung angesehen. Der gravierendste Grund für die Kinderlosigkeit der Deutschen sind also nicht Finanzen sondern Gefühle.

Das ist eine ganz andere Stoßrichtung als die, auf der die Familien- und Frauenpolitik der Bundesregierung bisher aufbaute. Die zuständige Ministerin ließ Cicero Online wissen, „diese Verunsicherung“ könne den Familien nicht die Politik alleine nehmen. Das müsse die gesamte Gesellschaft vollbringen. Und weiter: „Auch die Wirtschaft steht hier dringend in der Pflicht, attraktiver zu werden für Arbeitnehmer, die für den Beruf und für ihre Familie da sein möchten. Mehr Betriebskindergärten, mehr Anerkennung für Teilzeit-Arbeit, mehr Rücksicht auf familiäre Beanspruchungen – all das sollten Unternehmen als Investition und nicht als Belastung empfinden.“

Es ist sicher keine leichte Aufgabe, heute Familienpolitik zu machen. Die Gewichtung hat sich schon längst so weit verschoben, dass nur schwer gegengesteuert werden kann. Und diese Ratlosigkeit offenbart auch der Satz von Kristina Schröders Sprechers, der Unternehmen mahnt, Gefühle zu zeigen, der ihnen empfiehlt, wie sie zu „empfinden“ hätten. Das demonstriert schon ein starkes Stück an Offenbarungseid.

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Es ist nun also ein Trugschluss, dass sich mit Geld vieles ändern würde. Dass Kindergeld, Elterngeld, Betreuungsgeld und Betreuungsplätze, dass die vielbeschworene Planungssicherheit – wenn es sie denn gäbe – die Menschen dazu brächte, Kinder in die Welt zu setzen.

Fragen, die in abendlichen Gesprächen bei Bier und Crémant über die Zukunft mit oder ohne Kindern eher selten auftauchen, sind diese: Wie finanziere ich meine Altersvorsorge als alleinerziehende Mutter? Kann die Familie vom Elterngeld gut leben? Ergattere ich einen Kitaplatz, wenn das Kind da ist?

Wer weiß schon, wie viel Windeln kosten, wenn er die Pille absetzt? Wer ahnt, welches kostspielige Hobby der pubertierende Nachwuchs fordern wird, wenn dieser doch gerade erst die Eingewöhnungswochen im Kindergarten hinter sich hat?

Eltern sind keine Computer, die Informationen verarbeiten und daraus ein neues Lebewesen konstruieren. Eltern sind erst einmal Menschen, die von Tag zu Tag ihren Lebensunterhalt verdienen und sich irgendwann vorstellen konnten, dass ein Kind ihr Leben bereichern würde. Dass es sich lohnt, ein Risiko einzugehen und das Leben von einem neuen Wesen auf den Kopf stellen zu lassen. Dass es sich lohnt, der Forderung nach perfekter Planung den Rücken zu kehren.

Natürlich ist es schön, wenn die Windeln bezahlt, der Kitaplatz sicher und der Arbeitsplatz unbefristet ist. Es lebt sich leichter, wenn diese Dinge geklärt sind. Aber es ist nicht ausschlaggebend.

Heute gelten ganz andere Entscheidungsmechanismen als noch vor ein paar Jahren. Das liegt auch daran, dass die modernen Männer beginnen, Verantwortung zu übernehmen. Dass sie ihren Samen nicht in 68er-Manier ungeschützt und relativ wahllos unter die Leute bringen oder nach dem Vorbild der 50er Jahre der Hausfrau als einzigen Lohn darbieten. Heute bedeutet Mann-Sein ganz schnell Vater-Sein. Und der ist dann auch dran. Mit allen moralischen und finanziellen Konsequenzen. Wenn die Gesellschaft ihm aber kein Vertrauen für die Aufgabe entgegenbringt, dann wird ihm dieses Vater-Sein verdammt schwer gemacht. Erst recht, weil Männern häufig zu Recht nachgesagt wird, zögerlicher – ja, ängstlicher – in Fragen der Familienplanung, des Zusammenziehens, des Sich-Bindens zu agieren.

Das Los dieser potenziellen Eltern-Generation ist es, dass Männer wie Frauen in einer Welt voller Entfaltungsmöglichkeiten nach Perfektion streben – eben weil uns suggeriert wird, dass diese möglich ist. Wir wollen nicht die Fehler unserer Eltern wiederholen, wir erwarten viel von uns. Vom Jetzt, vom Heute. Einen perfekter Partner, die perfekte Hochzeit, das perfekte Facebook-Profil, die perfekte Kita für das perfekte Kind, die perfekte Schule, die perfekte Wohnung, den perfekten Stadtteil in der perfekten Stadt mit dem perfekten Job.

Viel mehr als Planungssicherheit brächte uns aber die Sicherheit, dass nicht alles perfekt sein muss, damit es trotzdem gut sein kann. Dass wir unser Kind auch mal „Arsch“ nennen dürfen, ohne dass ihm daraus ein Trauma erwächst. Dass Eltern sich streiten dürfen – auch oft und laut. Dass ihr Sexualleben nicht den Maßstäben der Kinoleinwände entsprechen muss und dass der Fußboden ruhig auch mal eineinhalb Wochen lang nicht gesaugt zu werden braucht. Erlauben wir uns den Gedanken, dass weder sein noch ihr Job unbedingt die Karriereleiter hinaufführt, dass ein Mann kein Loser ist, weil er sich gerne um seine Kinder kümmert und dass eine Mutter arbeiten gehen und gleichzeitig für ihre Familie da sein kann.

Was wir brauchen, ist ein bisschen weniger Druck. Ein Weniger an schlechtem Gewissen, ein Mehr an Mut und Zuversicht. Dann findet sich vielleicht ein unperfekter Mensch, der zu uns passt, mit dem wir eine unperfekte Beziehung führen, um unperfekte Kinder zu bekommen.

Das nennt man dann Glück, glaube ich.

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