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(picture alliance) FDP-Haushälter Otto Fricke: In der Koalition könne man manchmal „Gottes Hilfe gebrauchen“

Schwarz-Gelb - „Keine Ahnung, was sich Gott dabei gedacht hat“

Die FDP und der Untergang: Schatzmeister Otto Fricke hält Berichte über Wahlniederlagen und einen möglichen Rücktritt von Parteichef Philipp Rösler für „Folklore“. Im Cicero-Online-Interview spricht er über die Schulden seiner Partei, die anstrengende Koalition und die Frage, was Gott sich dachte, als er die FDP schuf

Wofür der FDP-Haushälter Otto Fricke schwärmt, lässt sich leicht in seinem Bundestagsbüro erkennen. Auf dem Schreibtisch steht neben der deutschen auch die niederländische Flagge, von einem Regal blickt Königin Beatrix herab. An der Tapete klebt die schwarze Skyline einer City: Krefeld. Dort hat der 47-Jährige seinen Wahlkreis

 

Herr Fricke, was würden Sie vor einem Weltuntergang lieber machen: einer letzten FDP-Präsidiumssitzung beiwohnen oder in die Niederlande fahren?
Ich würde in den Niederlanden eine FDP-Präsidiumssitzung machen – am Strand bei Den Haag. (lacht) Nein, natürlich lieber nur in die Niederlande reisen.

Sie müssen schon zugeben, Sie haben da zwei sehr morbide Interessen. Bei einem Tsunami würde Holland verschwinden, bei der nächsten Bundestagswahl trifft es wohl die FDP.
Die Niederländer bauen ihre Häuser mittlerweile über Wasser. Da gibt‘s Überlebenserfahrungen noch und nöcher.

Und bei der FDP?
Auch. Mein bitterstes Erlebnis hatte ich 1995, als ich noch als Referendar mit der Fraktion in Nordrhein-Westfalen aus dem Landtag rausgeflogen bin. Und auch bei den letzten Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und NRW sah die Situation erst sehr bedrohlich aus. Dann ist die FDP stark in beide Landtage eingezogen. Aber wahr ist auch, die Öffentlichkeit interessiert sich viel mehr für den Untergang oder das Ende. Nehmen Sie das Beispiel Wulff: Wahnsinnig interessant, solange es der tiefe Fall war. Wenn sich Stück für Stück herausstellt, dass nichts Strafrechtliches dran ist, verliert man das Interesse. Wir als Liberale leben damit. Das ist auch ein Teil des Wettbewerbs.

Die FDP setzt ihre Hoffnungen derzeit in jede letzte Pille, um irgendwie zu überleben. Diesen Eindruck vermittelt zumindest ein Plakat, das die Abschaffung der Praxisgebühr preist.
Aber diese beiden Pillen – eine rote und eine grüne – sind wirklich unangenehm. Meine Antwort darauf ist viel einfacher: Genau diese schlimmen Pillen muss Deutschland nicht mehr schlucken – Dank der FDP und des Gesundheitsministers.

Wenn man dem Untergang Ihrer Partei ein Gesicht geben müsste, würden viele Leute sicher sagen: das von Philipp Rösler. Das Schicksal des Vorsitzenden entscheidet sich mit der Wahl in Niedersachsen am 20. Januar.
Das ist genauso Quatsch wie die Frage, ob am 21. Dezember die Welt untergeht. Die Messe ist erst gesungen, wenn der letzte Ton verklungen ist. Und was die FDP als solche angeht: Sie hat mit Sterbeglöcklein und Wiederauferstehung so viel Erfahrung, dass man sich fragen muss, ob das nicht alles ein bisschen Folklore ist.

Also hat die FDP keinen 21. Dezember?
Doch, sie hat genau denselben 21. Dezember wie alle anderen.

Sie als gläubiger Christ werden doch bestimmt wissen, was sich Gott dachte, als er die FDP schuf: Wie soll sie die Union prüfen?
Da würde ich gerne der Bundeskanzlerin sagen: Da ich an Gott glaube, glaube ich auch daran, dass er einen Masterplan hat. Aber nur er versteht ihn. Ich bezweifle, dass die CDU ihn versteht. Und ob wir als Liberale die Prüfung sind? Keine Ahnung, was sich Gott bei dieser Koalition gedacht hat. Wir haben jedenfalls immer versucht, die CDU auf dem Kurs der Marktwirtschaft zu halten. Manchmal ist das nicht so einfach. Da kann man Gottes Hilfe gebrauchen.

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Können Sie denn einen konkreten Fall nennen?
Viele Wechselwähler haben für uns gestimmt, um die CDU/CSU aus der Koalition mit der SPD zu holen. Die Union aber ist mit dem damaligen Kurs recht zufrieden. Denn: Nennen Sie mir mal ein wesentliches Gesetz aus der großen Koalition, das die Union mit der FDP rückgängig gemacht hat!

(Interviewerin schweigt)
Genau so antworten Ihre Kollegen. Es gibt keine zurückgedrehte bedeutsame Regelung. Auch nicht in den sozialpolitischen Bereichen. Ja, das hatten wir uns alles leichter vorgestellt. Schon in den Koalitionsverhandlungen war der Widerstand an vielen Stellen zu spüren. Die Union ist der Partner, der uns inhaltlich am nächsten war, aber das heißt nicht, dass er uns so nah ist, dass es leicht ist mit ihm zu regieren. Es ist mitunter auch anstrengend. Aber wenn es leicht wäre, gute Ergebnisse für das Land zu erzielen, könnten es auch andere.

Wann spricht ein Haushälter eigentlich von Untergang?
Der Otto Normalverbraucher denkt den Haushalt in Liquidität: Was habe ich auf dem Konto? Wie viel Plus und Minus? Der Haushälter denkt in einer Bilanz: Wie entwickelt sich die Wirtschaft? Wie kann ich schlechte Zeiten überwinden? Ein Haushälter spricht eigentlich nie von Untergang. Weil er immer weiß, dass es irgendwie weitergeht.
Wir Deutsche denken gern in Schuld und Sühne. Bei Griechenland heißt es immer: Die hatten Schuld, die haben gelogen und betrogen und jetzt müssen sie büßen. Aber vielleicht sind wir am Ende diejenigen, die büßen, weil über den Domino-Effekt vieles auf uns zurückwirkt. Weiter geht es dagegen, wenn man auch an seine Zukunft glaubt.

Seite 2: „Berlusconi ist der Mensch mit den einfachen Antworten“

Der FDP-Landesparteitag in NRW hat Sie auf den vierten Listenplatz gewählt. Doch gleich auf Platz fünf den Euro-Rebellen Frank Schäffler. Muss man Sie da bemitleiden?
Nein, wir haben da zwei gute Liberale hintereinander. Ich teile Frank Schäfflers Meinung nicht immer. Aber er gehört dazu, weil die FDP eine plurale liberale Partei ist.

Wie erklären Sie der FDP beim Dreikönigstreffen ihre Finanzen? Die Bundespartei hatte noch im April 8,5 Millionen Euro Schulden.
Wenn Sie mit Bundespartei nur die Bundesebene meinen, ist richtig, dass wir da eine Negativposition haben. Aber die Finanzsituation der Gesamtpartei, und darauf kommt es ja an, ist im Plus. Wir sind die einzige Partei, die in diesen Dingen so transparent ist.

Sie hatten zur Amtsübernahme angekündigt, immer mal „Nein“ zu Ausgaben zu sagen.
Hab ich auch. Das Problem ist, dass ein Bundestagswahljahr immer sehr stark belastet. In den Nicht-Wahljahren müssen Sie daher aufpassen, dass Sie eine Reserve aufbauen. 2011 hatten wir Zusatzbelastungen wegen eines weiteren Parteitags und der Mitgliederbefragung zur Euro-Stabilisierung, die übrigens keine andere Partei gemacht hat. Das kostet schnell bis zu einer Million. Für 2012 dagegen sind wir auf einem sehr ordentlichen  Weg. Und ich will langfristig weitersparen. Den Beitrag der Bundespartei für den Wahlkampf 2013 haben wir auf vier Millionen Euro festgesetzt, 2009 waren es am Anfang 4,5 Millionen. Wenn die Spenden über die Planungen gehen, kann man mehr machen, aber eben nur dann und schließlich kommen da noch die Ausgaben der Landes- und Kreisverbände.

Sie haben Ihren Twitter-Followern ein Depeche-Mode-Konzert empfohlen…
…ja, darauf freue ich mich im nächsten Jahr. Ich habe die Songs schon früher geliebt; auf den Fahrten von meiner Heimatstadt Krefeld in meine Studienstart Freiburg, in einem Käfer Cabrio mit 34 PS.

Die Band singt auch von der Apokalypse. In einem Lied heißt es: „I’m waiting for the night to fall / When everything is bearable / And there in the still / All that you feel is tranquility.” Sehnen Sie sich manchmal nach solcher Ruhe?
Ja, ich sehne mich auch mal nach Entspannung. (Ein Büromitarbeiter ruft das Lied auf einem Tablet-PC auf.)
Aber ich will auch eines Tages zurückblicken und sagen können, was habe ich alles versucht? Wir messen Erfolg häufig nach Position: nach dem, was auf der Schulterklappe ist. Man sollte Erfolg aber eher danach messen, wie viele Widerstände man überwunden hat, um an eine bestimmte Position zu kommen. Mit legalen Mitteln, mit Überzeugung und Erfahrung. Ich denke da eher calvinistisch: Du bist hier, um etwas zu tun.

Die „heute show“ wusste übrigens genau, in welcher Gestalt der Untergang kommt: Italiens Silvio Berlusconi. Wie sehr macht dieser Mann einem deutschen Haushaltspolitiker Angst?
Angst ist das falsche Wort. Eher nervös. Weil Berlusconi der Mensch mit den einfachen Antworten ist. Es gibt viele Leute, die in der Eurokrise sagen: „Da ist der Lichtschalter. An! Jetzt geht alles wieder gut.“ Und ich sage dann: „Ihr könnt froh sein, wenn es ein Dimmer ist, den man gaaanz langsam bewegen kann.“ Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte leider solche Sätze: Deutschland sei Schuld daran, dass es den Südländern so schlecht gehe. Damit sagt er ja grob, der eine Bäcker ist pleite gegangen, weil der andere gute Brötchen backt. Das kann nun wirklich nicht Sinn der Sache sein.

Bitte vervollständigen Sie zum Schluss noch diesen Satz: Wir hätten in der Eurorettung einen Dammbruch, wenn…
...bei den starken Ländern die Bereitschaft zur Hilfe gegen Bedingungen sich zu einem „Wir geben und es wird schon gut gehen“, wie es SPD und Grüne wollen, wandelt.

Und was machen Sie wirklich am Freitag, den 21. Dezember?
Da muss ich in meinem Terminplan nachsehen... Weihnachtsgeschenke einkaufen! Schule ist an dem Tag auch keine mehr. Deswegen habe ich an dem Morgen Familiendienst. Und wenn der Datumswechsel erst ab der Zeit in Mexiko gerechnet wird, hatte ich vorm Weltuntergang wenigstens noch ein gutes Frühstück.

Herr Fricke, vielen Dank für das Interview.

Das Interview führte Petra Sorge. Fotos: FDP, Kohlmeier

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