Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
()

Cicero-Urteil - Karlsruhe und die Pressefreiheit

Das Cicero-Urteil des Bundesverfassungsgerichts gilt als Grundsatzspruch der deutschen Pressegeschichte.

Das Cicero-Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts ist ein großer Erfolg für die Pressefreiheit – und mehr! Der Name des römischen Anwalts, Politikers und Philosophen, der in der Spätzeit der römischen Republik nicht müde wurde, Bürgertugenden einzufordern und vorzuleben, wird in der Bundesrepublik künftig auch verbunden sein mit dem grundgesetzlichen Schutz bürgerlicher Freiheiten. Das Urteil – das kann man heute schon sagen – hat das Zeug zum verfassungsrechtlichen Klassiker.

Die Pressefreiheit wurde durch dieses Urteil gestärkt, weil es für die Strafverfolgungsbehörden künftig schwerer, häufig unmöglich sein wird, in Redaktionsstuben einzudringen, um Informationen über Informanten zu erlangen.

„Durchsuchungen und Beschlagnahmen in einem Ermittlungsverfahren gegen Presseangehörige sind verfassungsrechtlich unzulässig, wenn sie ausschließlich oder vorwiegend dem Zweck dienen, die Person des Informanten zu ermitteln.“ Dieser zentrale Satz aus dem Cicero-Urteil ist an sich nicht neu. Er steht bereits in der Spiegel-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1966, findet sich dort eher beiläufig formuliert, weil es dem Gericht für diese Entscheidung darauf nicht ankam. Der (auch damals zuständige) Erste Senat war nach der Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gelangt, dass die Durchsuchung der Spiegel-Redaktion im Jahr 1962 nicht die „Unschädlichmachung der Informanten“ der Redaktion bezweckt habe, sondern in erster Linie angeordnet worden sei, um schriftliche Beweismittel für den Landesverrat zu suchen, den die Bundesanwaltschaft unter anderem dem damaligen Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein und seinem stellvertretenden Chefredakteur Conrad Ahlers zur Last legte. Anlass dafür war ein Artikel über das Nato-Herbstmanöver „Fallex 62“, der am 10. Oktober 1962 im Spiegel veröffentlicht worden war und der Einzelheiten nicht nur zum Ablauf der Fallex-Übung und zum gegenwärtigen Rüstungsstand, sondern auch zur militärischen Planung der Nato- und der Bundeswehrführung enthielt.

Zwar bestätigte sich der Verdacht gegen Augstein und Ahlers am Ende nicht – der Dritte Strafsenat des Bundesgerichtshofs lehnte die Eröffnung des Hauptverfahrens am 13. Mai 1965 ab–, der Spiegel unterlag jedoch mit seinen Verfassungsbeschwerden, die sich auch gegen die ermittlungsrichterlichen Durchsuchungs- und Beschlagnahme­anordnungen richteten, weil die Richter einen Verfassungsverstoß nicht feststellen konnten. Die gebotene „Aufklärung schwerer Vergehen gegen die Sicherheit des Staates und seiner freiheitlichen Ordnung“ habe die Durchsuchung der Redaktionsräume und den damit verbundenen Eingriff in die Pressefreiheit gerechtfertigt.

Rudolf Augsteins Gang nach Karlsruhe hat sich dennoch gelohnt, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen hat das Bundesverfassungsgericht erstmals eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse zum „Wesenselement des freiheitlichen Staates“ erhoben und ihr Wirken als „öffentliche Aufgabe“ bezeichnet, wodurch es erheblich zum Selbstverständnis des Journalismus in der Bundesrepublik beigetragen haben dürfte. Zum anderen hat es klargestellt, dass Redaktionsgeheimnis und Informantenschutz unabdingbare Voraussetzung für die „Funktionsfähigkeit einer freien Presse“ sind und daher dem Schutzbereich des Grundrechts aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes unterfallen.

Allerdings musste man in der Praxis feststellen, dass diese Botschaft bei den Strafverfolgungsbehörden nicht angekommen war. Allein zwischen 1987 und 2000 hat der Deutsche Journalisten Verband (DJV) 134 Anordnungen von Durchsuchungen beziehungsweise Beschlagnahmen in Redaktionsräumen dokumentiert, die zumindest auch darauf abzielten, Informanten der betroffenen Redaktionen zu ermitteln. Daher erstaunt es, dass sich das Bundesverfassungsgericht erst in jüngster Zeit der Thematik wieder angenommen hat. Der Cicero-Entscheidung geht eine Entscheidung der Ersten Kammer des Ersten Senats vom 1. Februar 2005 voraus, mit der das Gericht die Anordnung der Durchsuchung der Redaktionsräume der Zeitschrift Max aufhob. Darin stellte das Bundesverfassungsgericht klar, dass die Durchsuchung von Redaktionsräumen „wegen der damit verbundenen Störung der Redaktionstätigkeit und der Möglichkeit einer einschüchternden Wirkung“ stets die Pressefreiheit beeinträchtigt, und hat damit den Boden für den zweiten Teil der Cicero-Entscheidung bereitet, durch die die Möglichkeit gestärkt wurde, nachträglich gerichtlichen Rechtsschutz zu erlangen. Es kann nur erstaunen, dass Fachgerichte dies bis dahin nicht für selbstverständlich gehalten haben.

Das Besondere der Cicero-Entscheidung besteht darin, dass das Bundesverfassungsgericht die goldenen Worte der Spiegel-Entscheidung zum Informantenschutz, die im Laufe der Jahre einigen Rost angesetzt hatten, aufpoliert und ihrer Bedeutung entsprechend zum Leitsatz erhoben hat: Keine Durchsuchung zur Ermittlung des Informanten. Der Quellenschutz, auf den die Presse insgesamt, vor allem aber der investigative Journalismus dringend angewiesen ist, wurde damit verstärkt. Journalisten können ihre Aufgabe, Missstände im Gemeinwesen auf die Spur zu kommen und sie zur öffentlichen Sache (res publica) zu machen, sicherer vor Strafverfolgung nachgehen.

Hintergrundgespräche mit staatlichen Geheimnisträgern stehen nicht länger unter dem Generalverdacht der Beihilfe zum Geheimnisverrat. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht eine strafrechtliche Privilegierung von Journalisten abgelehnt. Auch das liegt in der Tradition der Spiegel-Entscheidung. Wenn es einem Amtsträger also darauf ankommt, ein staatliches Geheimnis gerade mittels einer Presseveröffentlichung zu verraten, und der Journalist dies weiß, kann er sich weiterhin strafbar machen. Hier ist das Bundesverfassungsgericht der Verfassungsbeschwerde nicht gefolgt, die insoweit schon die Strafbarkeit des Journalisten wegen Beteiligung zum Geheimnisverrat durch (bloßes) Veröffentlichen des Geheimnisses in Abrede stellt. Anders als ein Amtsträger sei ein Journalist nicht der staatlichen Geheimhaltung, sondern nur dem öffentlichen Informationsinteresse verpflichtet. Dieses überwiege das staatliche Geheimhaltungsinteresse, solange es sich bei der Information nicht um ein Staatsgeheimnis handele.

So weit wollte das Bundesverfassungsgericht nicht gehen. Daher ist der Gesetzgeber aufgerufen, hier Klarheit zu schaffen. Erste Entwürfe sind bereits in der Diskussion. Früher oder später werden die Gerichte mit einem solchen Fall konfrontiert sein, bei dem es – anders als im Fall Cicero – auf die Beantwortung dieser Frage ankommen wird.

In allen anderen Fällen gilt: Solange die Strafverfolgungsbehörden einen „Verratsplan“ nicht nachweisen können, ja nicht einmal den Informanten kennen, bleiben ihnen die Redaktionstüren verschlossen. Den Beweis für den Geheimnisverrat, den die Durchsuchungen bislang erbringen sollten, müssen sie künftig woanders suchen.

Das Bundesverfassungsgericht hat damit die Bürgerrechte insgesamt gestärkt. Es hat deutlich gemacht, dass die Praxis der Strafverfolgung solchen Grundrechten, die wie die Pressefreiheit für das demokratisch-rechtsstaatliche Gemeinwesen von grundlegender Bedeutung sind, Rechnung tragen muss. Von der Strafverfolgung darf kein Einschüchterungseffekt auf den Grundrechtsträger ausgehen, andernfalls geriete das Grundrecht selbst in Gefahr.

Das ist ein Gedanke, der sich auch in anderen Entscheidungen des höchsten Gerichts, zum Beispiel zur Meinungsfreiheit, wiederfindet. Die hohe Bedeutung für das Demokratieprinzip macht Meinungsäußerungen, die die grundrechtlich geschützten Rechtsgüter Dritter verletzten, nicht zulässig. Sie verlangt aber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass die Grenzen für die Meinungsfreiheit so gezogen werden, dass das demokratische Prinzip nicht darunter leidet.

Auch die Freiheit der Medien, die konstituierend ist für die freiheitlich-demokratische Grundordnung, gibt Journalisten keinen Freibrief, die Rechtsgüter anderer zu verletzen. Insofern setzt auch das Strafrecht der Pressefreiheit notwendige Grenzen. Die Grenzen dürfen aber nicht so gestaltet sein, dass die Funktion der Presse für die freiheitliche demokratische Grundordnung und diese selbst darunter leiden.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.