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Angela Merkel - Mutti ist die Beste

Die Nation vertraut ihrer Mutti. Der Status der Kanzlerin ist längst zum Markenzeichen geworden. Bei den harmoniesüchtigen Deutschen kommt ihr unaufgeregter Politikstil hervorragend an

Hugo Müller-Vogg

Autoreninfo

Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Wer Angela Merkel zuerst als „Mutti“ bezeichnet hat, ist nicht bekannt. Von „Mutti“ sprachen einst ausschließlich Unions-Männer aus der Altersgruppe 60 plus – selbstverständlich außerhalb ihrer Hörweite. Die beklagten in der Zeit ihrer ersten Kanzlerschaft „Muttis“ zu große Nachgiebigkeit gegenüber dem Koalitionspartner SPD, vermissten bei ihrer Politik das Element „CDU pur“, wünschten sich heimlich einen „Mann im Haus“, der auch mal auf den Tisch schlägt. Wenn diese Herren, die in jungen Jahren noch die „Achtundsechziger“ bekämpft hatten, von Mutti sprachen, dann war das alles andere als freundlich gemeint.

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Aus der Lästerei ist längst ein Markenzeichen geworden, und zwar ein ausgesprochen positives. Würde der Kanzler vom Volk direkt gewählt, könnte sich Mutti Merkel sogar die Mühen der asymmetrischen Demobilisierung sparen. Die Deutschen halten sie für sympathischer, glaubwürdiger und kompetenter als ihren Herausforderer. Bei einer Direktwahl würden die Wähler dem bärbeißigen SPD-Mann die rote Karte zeigen, wenn nicht sogar den Mittelfinger.

Mutti Merkel profitiert bis heute davon, dass sie ganz anders ist als ihr Vorgänger Gerhard Schröder. Sie regiert das Land, ohne sich in Szene zu setzen. Sie verzichtet auf jede „Hoppla-jetzt-komme-ich“-Attitüde. Sie spielt nicht die besserwisserische, rechthaberische Superfrau. Natürlich lässt auch sie sich inszenieren – aber als fleißige, bescheidene, unaufgeregte Mutter der Kompanie.
Zu Merkels Popularität trägt ebenso bei, dass sie – anders als in ihrer Zeit als Oppositionsführerin – das Land nicht mehr grundlegend verändern will. „Wende“-Reden waren gestern, heute wird eine Politik der kleinen Schritte praktiziert. Merkel tut, was getan werden muss, ohne ideologischen Eifer oder parteipolitische Rigorosität. Als sich die latente Abneigung der Deutschen gegen Kernkraft nach Fukushima zur Phobie steigerte, machte sie eine energiepolitische Kehrtwende. Niemand soll Angst haben müssen, ganz gleich, ob die Angst begründet ist oder nicht.

Ganz ähnlich geht die pragmatische Kanzlerin bei anderen Fragen vor. Wenn die Leute unbedingt einen Mindestlohn wollen, dann sollen sie ihn haben, zwar nicht gerade in der arbeitsplatzgefährdenden Variante, sondern in einer abgemilderten Form. Und wenn die SPD ein Gegenmittel gegen zu hohe Mieten propagiert und das dem Volk gefällt, dann wird das eben kopiert – ob das die Lage am Wohnungsmarkt entspannt oder nicht. Sollte die SPD in einer möglichen Großen Koalition auf Steuererhöhungen bestehen – an Merkel würde ein höherer Spitzensteuersatz nicht scheitern. Gut ist, was in der Familie für gute Stimmung sorgt.

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Mutti Merkel erfüllt den auf Harmonie bedachten, ja geradezu konsenssüchtigen Deutschen ihren innigsten Wunsch: Sie polarisiert nicht. Die Oppositionsführerin Merkel wollte einst „durchregieren“, die Mutti im Kanzleramt will, dass möglichst alle an einem Strang ziehen. Weil die Deutschen in ihrer großen Mehrheit politisch‘ Lied für ein garstig‘ Lied halten, ist ihnen die Große Koalition die angenehmste Konstellation. Und Mutti vermittelt das Gefühl, dass sie mit allen kann – mit der FDP sowieso, aber auch mit der SPD und selbst mit den Grünen.

Der Beiname Mutti ist bei einer kinderlosen, verheirateten Frau eigentlich fehl am Platz. Und doch passt er bestens zu Merkels Politikstil. Die Familie weiß, dass auf sie Verlass ist. Mutti baut keine Luftschlösser, sondern sorgt dafür, dass das Haus sauber ist und etwas zum Essen auf den Tisch kommt. Mutti stellt auch ein paar Regeln auf, aber nicht zu viele. Mutti ist verlässlich. Vor allem tut sie alles, dass keine bösen Nachbarn den häuslichen Frieden stören.

Angela Merkel als Kanzlerin passt zu einem Land, dem es vergleichsweise gut geht. Die sozialen Gegensätze sind hierzulande geringer und die parteipolitischen Gegensätze kleiner, als sie im Wahlkampf gezeichnet werden. Deshalb wollen die Deutschen, dass Mutti es auch weiterhin richtet – am liebsten zusammen mit der SPD, wenn’s sein muss, auch mit Hilfe der FDP und notfalls sogar mit den Grünen. Aus der Sicht der Deutschen ist Mutti halt die Beste.
 

 

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