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Kulturagenten

Urban Priol - „2014 wird noch bescheuerter als 2013“

Der Kabarettist Urban Priol ist ein scharfzünginger Beobachter der deutschen Politik. Im Gespräch mit Cicero Online lässt er das Jahr Revue passieren, verrät, worüber er sich am meisten geärgert hat und wie sich die Bundestagswahl auf seine Gesundheit ausgewirkt hat

Autoreninfo

Studierte Politikwissenschaft, Medienrecht und Werbepsychologie in München und Bologna.

So erreichen Sie Katharina Dippold:

Herr Priol, haben bei Ihnen letzte Woche die Sektkorken geknallt? Immerhin bleibt Ihnen Ihre Lieblingspolitikerin Angela Merkel erhalten…
Sekt hätte ich jetzt übertrieben gefunden, aber es stimmt schon: Ich habe mich mittlerweile ganz gut mit ihr arrangiert. Mein Therapeut hat mir extra Stimmungsaufheller verschrieben. Davon habe ich jetzt ungefähr eine Containerladung voll in der Garage stehen. Als ich neulich im Stau steckte, entdeckte ich am Auto vor mir einen Aufkleber mit Merkels Konterfei, unter dem stand: Ihr habt sie gewollt, Ihr habt sie gewählt, ihr habt sie verdient. Genau so sehe ich das auch. Ich finde es gut, dass jemand seine Politik, die er zu verantworten hat, auch rechtfertigen muss. Noch besser wäre es deswegen gewesen, wenn die Union die absolute Mehrheit bekommen hätte.

Wie bitte? Das hätte ich aus Ihrem Munde nun am allerwenigsten erwartet.
Doch, das wäre doch großartig. Dann hätte sie endlich niemanden mehr gehabt, auf den sie die Probleme abwälzen kann. Und auch eine Minderheitsregierung wäre ja möglich gewesen. Aber nein, das musste die SPD ja nun wieder vermasseln. Meine Güte: Was haben die Sozen mit ihrem Mitgliederentscheid doch die Backen aufgeblasen… Fast schien es so, als hätten sie zu Brandts 100. Geburtstag die Demokratie neu zu wagen erfunden. Dabei haben sie letztlich doch nur die Große Koalition im Amt bestätigt. Und diese vermeintliche Revolution einer Partei war dann binnen weniger Stunden auch schon wieder aus den Schlagzeilen, weil die Kanzlerin ihren zickenbedingten Coup gelandet hat und Frau von der Leyen zur Verteidigungsministerin machte. Sie sehen also: Die taktischen Spielchen, die die Kanzlerin so gerne betreibt, gehen nahtlos weiter.

À propos Ursula von der Leyen: Was sagen Sie zu dieser Personalentscheidung?

Schlichtweg genial. Immerhin konnte Frau von der Leyen bislang bereits in zwei Ministerien ihr ganzes Können unter Beweis stellen: Als Familienministerin hatte sie einst einen Babyboom versprochen. Wenn ich mich nicht irre, befinden wir uns derzeit weltweit auf dem letzten Platz, was die Geburtenrate angeht. Als Arbeits- und Sozialministerin hat sie es dann sogar geschafft, die Werkverträge den Unternehmen unterzujubeln beziehungsweise ihnen diese nicht wegzunehmen und den Bericht über die soziale Lage in Deutschland zu schönen. Ich bitte Sie: Wenn das nach acht Jahren die Gesamtleistung ist, schreit das doch förmlich nach weiteren Aufgaben. Sie hat sich das Amt der Verteidigungsministerin also voll und ganz verdient. Und was sind das doch für wunderschöne Bilder, die wir jetzt zu sehen bekommen: Masar-i-Scharif, 12.30 Uhr: die Frisur sitzt...Herrlich! Denn darum geht es der Union schließlich seit Jahren: Schöne Bilder produzieren. Inhalte stören da nur. Das wird großartig werden mit der Truppen-Ursel!

Vielleicht sogar so großartig, dass am Ende die Kanzlerschaft winkt?
Ach Quatsch, ich glaube nie und nimmer, dass Merkel so schnell aufgeben wird, wo sie es sich doch gerade erst so richtig bequem gemacht hat im Kanzleramt. Die macht jetzt erst einmal die 12 Jahre voll. Danach hat sie richtig Blut geleckt und will den Kohl-Rekord knacken. Das wird ihr mit Schwarz-Grün gelingen. Dann folgt vielleicht noch eine absolute Mehrheit und erst dann wird sie sich still und heimlich aus dem Staub machen…

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Gibt es außer Ursula von der Leyen noch jemanden im neuen Kabinett, auf den Sie sich besonders freuen?
Alexander Dobrindt. Denn wie er jetzt die Maut umsetzen will, werde ich sehr akribisch beobachten. Immerhin handelt es sich dabei ja um ein Projekt, das die CSU bereits seit 1984 verfolgt und für geradezu überlebensnotwendig für die deutsche Infrastruktur darstellt. Trotzdem hat sie es in den knapp dreißig Jahren nicht geschafft, auch nur eine leise Ahnung eines Konzeptes in der Schublade zu haben. Und Seehofer wird das alles fleißig kommentieren… Das wird einen enormen Unterhaltungswert haben.

Sie haben es eben bereits selbst schon thematisiert. Wenn ich es richtig verstanden habe, halten sie nicht all zu viel vom Mitgliederentscheid der SPD?
So würde ich das nicht sagen. Um ehrlich zu sein, bin ich da ein bisschen zwiegespalten. Prinzipiell bin ich beispielsweise auch für bundesweite Volksentscheide. Wenn ich mir dann allerdings das Volk anschaue und wie es gewöhnlich so abstimmt, bin ich mir doch nicht mehr ganz so sicher. Das müssten wir also noch üben, in dieser Hinsicht haben uns die Schweizer einiges voraus. Aber das ist anstrengend und der Deutsche hat es nun einmal lieber gemütlich. Adenauer mit DSL-Anschluss. Das ist dann aber auch doch das Maximum, was er an Veränderungen akzeptiert. Mehr geht nicht.

Bleiben wir noch einen Moment bei der SPD. Was oder besser vielleicht: Wird überhaupt etwas übrig bleiben von Peer Steinbrück?
Das ist schwer zu beurteilen. Mir persönlich gefällt es ja ganz gut, wenn jemand auch einmal austeilt und man sich an Aussagen auch reiben kann. Ich bin nicht so der Typ, der gerne einen Pudding an die Wand nagelt. Ich habe auch die Aufregung über den ausgestreckten Mittelfinger nicht ganz nachvollziehen können. Immerhin wurde ihm ja auch von den Medien ziemlich übel mitgespielt. Anstatt also erschrocken auszurufen: Huch, der hat seinen Finger draußen, hätte man beispielsweise auch einmal fragen können, wo die anderen überall ihren Finger drin haben. Der ganze Fall lässt einmal mehr tief in die deutsche Seele blicken: Sobald man Geld verdient, ist es vorbei. Das ist ja auch der Grund, weshalb die Kanzlerin nach wie vor so beliebt ist. Da heißt es dann immer: So etwas würde sie nie machen. Wenn ich das schon höre! Hat sich vielleicht auch einmal jemand die Frage gestellt, dass sie erst gar nicht zu solchen Vorträgen eingeladen wird, weil spätestens nach einer halben Stunde ohnehin alles wegschnarcht?

Wie geht es Ihnen eigentlich, seitdem die FDP nicht mehr mitmischt?
Philipp Rösler und Dirk Niebel nicht länger sehen zu müssen, tut meiner Gesundheit sehr gut…Westerwelle hatte sich ja ohnehin schon lange verabschiedet. Der stand nur noch in seinem Konfirmandenanzug in irgendwelchen Gangways herum und hat in ein Krisengebiet geglotzt. Ein bisschen leid tut es mir um Frau Leutheusser-Schnarrenberger, die viele ja als den Leuchtturm im Ozean der FDP bezeichnen. Angesichts des derzeitigen Zustands der FDP erscheint mir allerdings ein Teelicht dann doch der treffendere Vergleich. Was ich aber besonders bemerkenswert finde: Das Ganze haben wir wieder einmal Mutti zu verdanken. Wenn sie nicht die Order ausgegeben hätte: Keine Leihstimmen an die FDP, wäre es nie so weit gekommen. Aus freien Stücken hätten die Deutschen die FDP jedenfalls nie abgewählt.

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Haben Sie denn vorsorglich schon einmal einen Nachfolger auserkoren, falls die FDP nicht wieder kommt?
Vielleicht diese durchgeknallten Professoren von der AfD, die außer Eurohetze nichts zu bieten haben. Ich fände auch eine Verschmelzung der beiden Parteien interessant, falls es von den Stimmen knapp wird. FDPAD oder so…Wir werden sehen.

Wer waren 2013 eigentlich Ihre persönlichen Aufsteiger ?
Eindeutig die eine Frage von Stefan Raab im Kanzlerduell, als er der Kanzlerin die Aussage entlocken konnte, dass es mit ihr keine Maut geben werde. Das war immerhin die einzige verbindliche Aussage, die sie in diesem Wahlkampf getroffen hat. Das fand ich bemerkenswert, denn den Journalismus würde ich ansonsten tendenziell eher zu den Absteigern zählen.

Inwiefern?
Es wird mir einfach zu viel gekuscht vor der Politik. Ich kann mich an so gut wie keine Debatte erinnern, in der die Politiker mal richtig gefordert wurden und gezwungen werden, sich zu rechtfertigen. Das Investigative wird immer mehr zurückgedrängt, stattdessen geht es nur noch um Banalitäten.

Haben Sie ein paar Beispiele?
Ja, etwa Tebartz-van-Elst…Wochenlang las man nur über den Protz-Bischof, seine Badewanne, seine Gästetoilette. Wieviel Vermögen die katholische Kirche hingegen besitzt und warum Menschen, die längst nicht mehr der Kirche angehören, nach wie vor über ihre Steuern die Kirche und damit auch Bischofsgehälter finanzieren, darum hat sich niemand gekümmert. Das gleiche lässt sich im Wulff-Prozess beobachten: Gerade habe ich gelesen, dass sich seine Betty und er immer noch verliebte Blicke zugeworfen haben. Fehlt nur die Schlagzeile: Wölbt sich da unter dem Jäckchen ein süßes Geheimnis?

Gibt es noch etwas, das Sie geärgert hat?
Oh ja. Ich rege mich ja ohnehin gerne auf. Besonders ärgerlich finde ich die Umweltpolitik. Alleine das Bild vom Weltklimagipfel in Warschau, wo im Hintergrund noch die Kohlekraftwerke geraucht haben, spricht für sich allein. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie die Kanzlerin 2007 betonte, das Klima sei die größte Herausforderung unserer Zeit. Nachdem dann aber drei Landtagswahlen in Folge verloren gingen, hat sie das Thema schnell ad acta gelegt. Beschämend fand ich in diesem Zusammenhang auch die 700.000 Euro-Spende von BMW an die Union. Kurz davor hatte sich Angela Merkel in Brüssel für weniger Umwelt und mehr Schadstoffausstoß ausgesprochen. Aber da möchte ich natürlich keinen Zusammenhang herstellen, um Gottes Willen.

Ein anderes zentrales Thema dieses Jahr war die NSA-Affäre: Friedrich reiste in die USA, Merkel wusste von nichts und Pofalla erklärte sie für beendet. Erinnerte das nicht ein wenig an die drei Affen: Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen, bis zu dem Zeitpunkt, als Merkel selbst betroffen war?
Ganz genau. Das Ganze war ein Lehrstück über unsere Gesellschaft. Solange es nur um uns ging, war es vollkommen egal. Internet ist nach siebzehn Jahren nun einmal Neuland. Damals hätte die Opposition stärker agieren müssen, schließlich gab es zu dem Zeitpunkt ja noch eine Opposition. Für die jetzige muss man ja beinahe Welpenschutz beantragen. Das hat sich dann aber schlagartig geändert, als die Kanzlerin selbst betroffen war. Plötzlich sind alle tief betroffen. Seitdem wissen wir auch: Sie telefoniert nicht kryptisch verschlüsselt, so redet sie nur mit uns. Alleine ihr Satz: „Mir selbst war nicht bewusst, dass ich abgehört wurde.“– Göttlich. Ist das nicht genau der Sinn von geheimen Lauschaktionen? Oder dachte sie etwa, die schicken vorher noch ein Fax vorbei?

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2013 war auch das Jahr, in dem erstmalig ein Papst zurücktrat und ein neuer gewählt wurde. Wie haben Sie das erlebt?
Kein Scherz: Als der Papst zurücktrat, war ich gerade bei der Darmspiegelung. Ich tippte deswegen im ersten Moment auf einen seltsamen Traum während der Narkose. Als mir die Krankenschwester dann die Nachricht bestätigte, war ich sofort hellwach. Das hat mich schon beeindruckt. Zum ersten Mal in 700 Jahren tritt ein Papst zurück – und dann noch ein deutscher. Man könnte durchaus zu der Schlussfolgerung kommen: ein Papst, unzählige Minister, sowie zwei Bundespräsidenten – das ist also die Bilanz von acht Jahren Merkel. Den neuen finde ich hingegen richtig toll. Anstatt irgendwo Boden zu küssen, ging seine erste Reise nach Lampedusa, an den Ort der Schande. Auch gegenüber Homosexuellen schlägt er neue Töne an. Da hat die CSU erstmal die Zähne ins Holz geschlagen. Die Frage ist natürlich, wie viel Freiheiten die Kirche ihm schlussendlich zugesteht. Nicht dass eines Tages der Siegelring aufgeklappt wird und man ihm weißes Pulver in den Tee rührt. Auch damit muss im Vatikan ja immer gerechnet werden.

Auch der Fußball, namentlich der FC Bayern sorgte diese Jahr nicht nur mit seinem spektakulären Fußball für Gesprächsstoff. Was sagen Sie zur Causa Hoeneß?
Ich fand es rührend, wie ihm bei der der Jahreshauptversammlung des FC Bayern die Tränen kamen. Vor allem in Anwesenheit eines gewissen Herrn Rummenigge, der ja  mittlerweile wegen seiner Rolex-Uhren als vorbestraft gilt. Wahrscheinlich hat der sich beim Zoll geärgert, dass er nicht noch den Teppich vom Niebel mitgenommen hat. Und der Ehrenpräsident, der in Kitzbühel wohnt, weil er keine Lust hat, Steuern in dem Land zu bezahlen, das ihn einst ausgebildet hat, zollt auch noch kräftig Beifall. Grandios! Vielleicht ist das ja gerade das Geheimrezept, das die Mannschaft so toll motiviert. Wahrscheinlich wird intern schon gebettelt: Hast du nicht auch noch etwas auf Jersey?

Was erwarten Sie für 2014?
Kurz und schmerzlos: Es wird noch bescheuerter werden als 2013. Nicht zuletzt, weil wir eine Große Koalition haben. Die ersten paar Tage lassen das jedenfalls vermuten.

Wird die Große Koalition eher dem Land gut tun oder der Satire?
Eindeutig der Satire. Das ist dann wiederum das weniger Bescheuerte.

Am 1. Oktober lief zum letzten Mal „Neues aus der Anstalt“ mit Ihnen. Was haben Sie vor für 2014? Wann sehen wir Sie wieder?
Voraussichtlich wird es Ende September wieder beim ZDF und wieder mit Kollegen ein neues Programm geben. Daran sind wir gerade noch am Basteln.

Herr Priol, vielen Dank für das Gespräch.

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