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Jahresausblick 2016 - Was Angela Merkel zu Fall bringen könnte

Auf dem CDU-Parteitag in Karlsruhe erhielt sie Standing Ovations, das Magazine Time erkor sie zur „Person des Jahres“: Angela Merkel müsste also fest im Sattel sitzen. Doch Cicero-Politikchef Christoph Seils hat da seine Zweifel: Die größte Gefahr drohe der Bundeskanzlerin im kommenden Jahr aus den eigenen Reihen

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Wären es normale Zeiten, politische Zeiten ohne Krieg vor der europäischen Haustür, ohne Flüchtlingskrise, ohne Riss in der Europäischen Union und ohne eine tiefe Verunsicherung der Deutschen, dann wäre das Jahr 2016 ein ganz normales Wahljahr. Ein Zwischenwahljahr, bei dem die Parteien vor allem die ersten Weichen für die kommende Bundestagswahl im September 2017 stellen.

Fünf Landtage werden 2016 gewählt: in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und in Sachsen-Anhalt am 13. März, in Mecklenburg-Vorpommern am 4. September sowie in Berlin am 18. September. Doch Krisenzeiten sind auch politische Umbruchzeiten. Das Parteiensystem ist in Bewegung geraten: Mit der AfD könnte sich eine Partei rechts von CSU und CDU etablieren. Sowohl in der CDU als auch in der SPD hadern zugleich viele Mitglieder und Mandatsträger mit dem politischen Kurs der Parteiführung. Kanzlerin Merkel steht in der Flüchtlingspolitik unter enormem Erfolgsdruck. Dem SPD-Vorsitzenden und Vizekanzler Gabriel hat ein Teil der Partei auf dem Parteitag im Dezember bereits die Gefolgschaft aufgekündigt.

Der SPD droht ein dramatischer Machtverlust


Gebannt blickt ganz Deutschland deshalb auf den 13. März. Vor allem in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wird es dann spannend. Die CDU will beide Länder zurückgewinnen, vor allem den Verlust der Macht an die erste grün-rote Landesregierung in Stuttgart vor fünf Jahren betrachtet die Partei als Betriebsunfall. In Mainz will sie die 25-jährige SPD-Vorherrschaft beenden. Einfach wird das nicht, in beiden großen westdeutschen Flächenländern wird es ein Kopf-an-Kopf-Rennen geben. Der Wahlausgang ist völlig offen. In Sachsen-Anhalt hingegen spricht viel dafür, dass die Große Koalition unter Führung der CDU vom Wähler bestätigt wird. Der Herbst und die Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern sind indes noch weit weg.

Bis zum März werden sowohl CDU als auch SPD Geschlossenheit demonstrieren. Kein Merkel-Kritiker, kein Gabriel-Gegner will sich dem Vorwurf aussetzen, er sei für die Wahlniederlage verantwortlich. Doch anschließend wird abgerechnet werden.

In der SPD wird nach den Landtagswahlen dann allerdings die Vorsitzendenfrage auf der Tagesordnung stehen. Gabriel ist angeschlagen. Je schlechter die SPD abschneidet, desto enger wird es für ihn und es könnte für die SPD am 13. März dicke kommen. In Rheinland-Pfalz droht der Machtverlust, in Baden-Württemberg der Sturz unter die 20-Prozent-Marke, in Sachsen-Anhalt ist es nicht einmal ausgeschlossen, dass die Sozialdemokraten schlechter abschneiden als die AfD. Die SPD steht also vor einem heißen Frühjahr.

Natürlich wird in der SPD am 14. März niemand den Rücktritt des Parteivorsitzenden fordern. Aber es wird in der SPD eine Debatte darüber beginnen, ob Sigmar Gabriel der richtige Kanzlerkandidat ist, ob die Wahlaussichten mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz oder den EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz nicht besser wären. So würde Gabriel schleichend demontiert – zumal er faktisch bereits der Kanzlerkandidat der SPD für die Bundestagswahl 2017 ist. Kann er seine Kandidatur in seiner Partei nicht durchsetzen, ist er auch als Parteichef erledigt.

Angela Merkel von der AfD unter Druck


Merkels politische Zukunft hängt nicht so sehr von den Landtagswahlen im Frühjahr ab. Natürlich würden Wahlerfolge ihre Position zumindest kurzfristig stärken. Dazu verfolgt die CDU einen perfiden Plan. Sie will Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz notfalls mit indirekter Hilfe der AfD zurückerobern. Zieht die rechtspopulistische Partei in die Landtage in Stuttgart und Mainz ein – und danach sieht es derzeit aus – dann würde es für Grün-Rot bzw. Rot-Grün nicht mehr reichen. Eine Regierungsbildung ohne die CDU wäre dann weitgehend ausgeschlossen.

Doch der Preis, den die CDU für die Rückkehr an die Macht anschließend zahlen müsste, wäre hoch. Denn mit Wahlerfolgen in zwei westdeutschen Flächenländern würde für die AfD auch der Einzug in den Bundestag im September 2017 näher rücken. Dies würde die Statik des deutschen Parteiensystems grundlegend verändern – mit unabsehbaren Folgen.

Das wird Merkel kurzfristig ziemlich egal sein. Sie muss sich in den kommenden Monaten an der politischen Krisenfront behaupten. Sie muss den Flüchtlingszuzug nach Deutschland nachhaltig reduzieren. Auch die Eurokrise wird im kommenden Jahr auf die politische Agenda zurückkehren. Durch Europa geht ein tiefer Riss, der sogar den Fortbestand des Bündnisses gefährdet. Wäre Deutschland zum Beispiel im kommenden Jahr gezwungen, das Schengen-Abkommen auszusetzen und wieder Grenzkontrollen einzuführen, weil sich Europa nicht auf eine gemeinsame Flüchtlingspolitik einigen kann, dann ist das Fundament der EU bedroht.

Merkel braucht schnelle Erfolge. Sie braucht die Unterstützung der übrigen EU-Staaten, beim Euro genauso wie in Sachen Flüchtlinge. Sonst bröckelt die Unterstützung in ihrer Partei weiter. Der Parteitag von Karlsruhe mit seiner inszenierten Harmonie hat ein völlig falsches Bild von der Stimmung in der CDU gezeichnet.

CDU-Unmut über Flüchtlingspolitik


Vor allem die eigene Fraktion könnte der Kanzlerin irgendwann von der Fahne gehen. Der Widerstand vieler Bundestagsabgeordneten von CDU und CSU in der Euro-Frage ist bereits aktenkundig. Es gibt darüber hinaus intime Kenner der Bundestagsfraktion, die davon überzeugt sind, nur noch eine Minderheit der Abgeordneten würde der Kanzlerin in der Flüchtlingspolitik bei einer ehrlichen Abstimmung folgen. Viele hätten ihre Faust in der Tasche schon geballt.

Eine solche Stimmungslage kann für Merkel sehr schnell sehr gefährlich werden. Zwei CDU-Kanzler sind in der Geschichte der Bundesrepublik von der eigenen Partei gestürzt worden: Konrad Adenauer und Ludwig Erhard. Beiden brachte die Fraktion die entscheidende Abstimmungsniederlage bei, die sie zum Rücktritt zwang. Stürzt Merkel, gibt es vorgezogene Neuwahlen. Die SPD wird die Gelegenheit nutzen und die ungeliebte Große Koalition aufkündigen. Sie wird keinem Nachfolger und auch keiner Nachfolgerin die Chance einräumen wollen, sich im Amt zu profilieren.

Natürlich ist das alles Spekulation, dies ist jedem politischen Ausblick immanent. Doch in Krisenzeiten kann die politische Stimmung im Lande sehr schnell grundlegend umschlagen. Viele Wähler sind politisch verunsichert und sortieren ihre Parteienpräferenzen neu.

2016 wird ein ganz normales Wahljahr werden.

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