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Uwe Hück - „Das Bildungssystem ist eine Ruine“

Er hat sich nach oben geboxt. Uwe Hück hat sich die Karriereleiter hochgekämpft, ist mittlerweile als Betriebsratsvorsitzender von Porsche sehr erfolgreich. Im Interview spricht er über seine SPD, die Große Koalition und den Wunsch, Jugendminister zu werden

Nils Heisterhagen

Autoreninfo

Nils Heisterhagen ist Sozialdemokrat und Publizist. Zuletzt sind von ihm im Dietz-Verlag erschienen: „Das Streben nach Freiheit“ und  „Die liberale Illusion“.

So erreichen Sie Nils Heisterhagen:

Herr Hück, Sie waren früher Thai-Boxing-Europameister und haben sich dann auf der Karriereleiter hoch geboxt. Sind Sie der Rocky von Zuffenhausen?
Das hört sich gut an, ich würde es auch annehmen, aber es ist doch anders. Ich habe mich schon durchgeboxt, aber ich würde mich mit dem Rocky nicht vergleichen. Ich bin nicht mehr nur der Boxer, sondern habe mich vor allem beruflich weiterentwickelt.

Glauben Sie, dass Ihr biographischer Werdegang auch heute noch möglich ist? Sie haben es immerhin mit einem Hauptschulabschluss zum Betriebsratsvorsitzenden von Porsche geschafft.
Ja klar, ich zeige das ja tagtäglich. 2002 haben meine Gewerkschaft, das Bildungsministerium sowie die Arbeitgeber entschieden, dass für eine Lackiererausbildung ein Realschulabschluss vorausgesetzt werden muss. Und ich dachte: Haben die alle ein Loch im Kopf. Daher haben wir bei Porsche 2002 entschieden in technischen Berufen mindestens 40 % Hauptschüler einzustellen. Und die Hauptschüler überholen andere sogar. Das liegt daran, dass man ihnen wieder eine Würde gegeben hat und sie sich deshalb anstrengen. Das war bei mir genauso.

Kann denn ein Industriekaufmann heute noch CEO von Porsche werden? Oder braucht man dazu nicht eine Promotion und Auslandserfahrung? Die Personalabteilungen machen doch immer höhere Vorgaben und die guten Stellen sind meist schon für Uniabsolventen mit Turbolebensläufen vergeben.
Das ist das, was mich granatemäßig ärgert. Glauben sie wirklich, dass alle Doktoren gescheiter sind als ich? Bildung ist nicht immer die, die man für die Arbeit braucht. Schauen Sie sich doch mal das Bildungssystem an, da funktioniert ja vieles nicht. Es kommt vor allem darauf an, wie man sich selber bildet und wie engagiert man ist. Es wird aber immer schwieriger sich heute mit einem niedrigen Schulabschluss durchzusetzen. Aber ich verwehre mich dagegen, dass nur, weil einer einen Hauptabschluss hat, ihm Türen verschlossen bleiben. In Deutschland haben wir das Problem, dass alle das Loblied auf die Akademiker singen. Aber Deutschland als Exportweltmeister braucht nicht nur studierte Ingenieure, sondern auch Menschen in technischen Berufen, also jene, die die Autos, Maschinen oder Elektrogeräte bauen, die von den Ingenieuren entwickelt werden. Aber ich bin grundsätzlich davon überzeugt, dass man sich auch hocharbeiten kann. Man muss nur den Willen haben.

Wir erleben große sozio-ökonomische Differenzen in Deutschland. Nach einer Studie des deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung sind 40-50 % der Ungleichheit in Deutschland auf den Familienhintergrund zurückzuführen. Was kann und muss die Politik tun, um diese Ungleichheit zu beheben?
Ganz einfach mal auf Willy Brandt hören. Der hat eingeführt, dass jeder das Recht auf Bildung bekommen soll, egal wo er herkommt. Heute hängt aber die Bildung stark vom Geldbeutel der Eltern ab. Das Bildungssystem ist eine Ruine. Hätten wir das bei uns im Betrieb, müssten wir Insolvenz anmelden.

Glauben Sie, dass der Koalitionsvertrag von SPD und Union sozialpolitisch etwas bewegen wird? Oder fehlen dem Vertrag wesentliche sozialdemokratische Inhalte?
Wenn man in den Koalitionsvertrag guckt, ist der ziemlich rot. Und was ist sozialdemokratischer Wandel? Die Agenda 2010 hat doch dazu geführt, dass Deutschland wettbewerbsfähiger geworden ist. Aber Arbeitgeber haben auch Missbrauch betrieben. Vor allem mit Leiharbeitern. Und die jetzige Jugend wird nur noch prekär beschäftigt. Die Regierung hat nach der Agenda 2010 den Arbeitgebern alles selbst überlassen und die haben zum Schluss gemacht, was sie wollten und das hat die Ungerechtigkeit entstehen lassen. Da wäre also was zu tun.

Bei der Bundestagswahl hat sich ja das Phänomen ergeben, dass Arbeiter, vor allem auch Zeitarbeiter, Angela Merkel gewählt haben, woran liegt das? Hat die SPD da was falsch gemacht?
Nö. Überhaupt nicht. Man muss aber mal akzeptieren, dass Angela Merkel eine Sympathieträgern ist. Ich weiß nicht, ob Sie es mitbekommen haben, aber das Wahlprogramm der CDU war ja Merkel. Man kann es ja auch so machen: „Merkel braucht Glück, Deutschland braucht Hück“, aber das sind doch keine Inhalte. Hört sich aber gut an. Die CDU ist gerade gegen neue Regulierungen, das heißt die Leute, die CDU gewählt haben, können sie eigentlich nicht für die Inhalte gewählt haben.

Wie stehen sie eigentlich heute zum gesetzlichen Mindestlohn? Dieser schwächt ja die Tarifautonomie. Und deshalb waren bei der Agenda 2010 die Gewerkschaften auch noch dagegen. Aber braucht es nicht vielmehr den Mindestlohn, wenn man die sozialen Probleme in Deutschland angehen will?
Wenn alle sich in Gewerkschaften engagieren würden und sagen würden: „Ich bin nicht egoistisch“, und damit eine Einheit bilden würden, dann bräuchte man den Mindestlohn nicht. Wenn die Menschen sich das selber erkämpfen würden, dann braucht man keinen. Aber gerade das System mit der Tarifautonomie funktioniert ja nicht mehr so richtig. Die Arbeitgeber nutzen die bestehenden Regeln aus und betreiben Missbrauch. Den Missbrauch muss man bekämpfen und dazu gehört auch ein gesetzlicher Mindestlohn.

Werden Sie dem Koalitionsvertrag zustimmen?
Ja, ich bin mit dem Vertrag einverstanden und werde zustimmen. Aber da gibt es soziale Probleme in Deutschland. Die Probleme, die dieses Land hat, sehe ich vor Ort. Wenn ich in einer großen Tarifkommission bin, sehe ich wie Menschen ausgebeutet werden. Auch die Journalisten werden übrigens ausgebeutet und fertig gemacht. Man darf Ausbeutung einfach nicht zulassen.

2009 haben Sie noch als Schattenminister für das Kabinett Steinmeier gegolten.
In diesem Jahr wurde ich ja auch in den Zeitungen als Arbeitsminister gehandelt.

Aber Arbeitsministerin soll ja jetzt Andrea Nahles werden, so wie es aussieht. Warum drängt Sie es nicht nach Berlin? Kann man da nicht besser für sozialdemokratische Inhalte kämpfen?
Wissen Sie, im Kinderheim habe ich gelernt, wenn der Tisch gedeckt ist und du warst nicht eingeladen, sollst du dich nicht einfach dazuhocken. Und der Tisch ist jetzt gedeckt und ich werde mich nicht dazusetzen. Das mach ich net. Und wenn ich mir einen Ministerjob aussuchen könnte, dann würde ich nicht Arbeitsminister werden wollen, sondern Jugendminister. Die Jugend muss mehr in den Mittelpunkt gestellt werden, denn sie könnten die Verlierer der Zukunft sein, wenn man da nichts macht. Ich glaube, man braucht einen Sprecher für die Jugend und der würde ich gerne sein.

Was ist eigentlich ein Sozialdemokrat für Sie? Wofür steht der? Und wie engagiert der sich, wenn er kein öffentliches Amt besitzt?
Ich habe viel Erfolg und ich bin der Meinung, dass man davon etwas zurückgeben muss. Ein Sozialdemokrat kann ja viel Geld haben, aber er braucht zwei Dinge: Er braucht Beine, damit er auf dem Boden bleibt und er muss sich für die Schwachen einsetzen. Es geht darum, Schwache stark zu machen.

Herr Hück, Ihre Autobiographie trägt den Titel: „Volle Drehzahl: Mit Haltung an die Spitze“. Was ist Haltung und haben die Spitzenpolitiker diese Haltung?
Werte sind wichtig. Ich bin auch ein Konservativer im sozialen Bereich. Die Zehn Gebote sind wichtig, und die Werte, die das Grundgesetz vermittelt. Ich trainiere ja auch Jugendliche im Thai-Boxen und ich versuche, ihnen auch Werte zu vermitteln. Der Jugend darf nicht alles egal sein, sondern sie braucht Werte. Und die Erwachsenen müssen diese vorleben. Wissen Sie, ich mache auch Fehler, ich bin nicht der 13. Jünger von Jesus. Dazu fehlen mir Haarpracht und Sandalen.

Herr Hück, ich danke Ihnen für das Interview.
Ja, ich hoffe, Sie verzeihen mir, wenn ich manchmal so energisch bin, so bin ich eben: Volle Drehzahl. Wie sage ich immer so schön: Ich kann von einer Rose zur Naturgewalt innerhalb von mehreren Sekunden werden. Ich danke Ihnen für die Geduld und jetzt gehe ich raus und da gucken wir mal, wo es Schwache gibt, die machen wir wieder stark.

 

Zur Person: Uwe Hück ist heute Betriebsratsvorsitzender und stellvertretener Aufsichtsratsvorsitzender der Porsche AG. Bevor er bei Porsche als Lackierer anfing, war er einige Zeit Thai-Boxer. Und er ist Mitglied der SPD.

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