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Internetausschuss - Von der Resterampe zum Prestigeressort

Seit kurzem hat der Bundestag einen Internetausschuss. Doch die Motivation der Netzpolitiker ist höher als ihr Einfluss. Vor allem die Opposition kritisiert: Trotz der "Digitalen Agenda" wird es kaum zu netzpolitischen Fortschritten kommen.

Autoreninfo

Philipp Rhensius ist Journalist und Soziologe. Er schreibt vor allem über soziologische und politische Themen sowie über Musik, Theater und die Politik des Alltags. Seine Texte erscheinen u.a. in der taz, SPEX und auf Spiegel Online.

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Auf die Risiken neuer Technologien reagiert die Politik oftmals erst dann, wenn es bereits zur Katastrophe gekommen ist. Besonders drastisch zeigte sich das vor 30 Jahren, als sich das wegdiskutierte Risiko einer sicher geglaubten Technik plötzlich in ein reales Horrorszenario verwandelte. Der Super-GAU in Tschernobyl von 1986 war einer der einschneidendsten Risse im Fortschrittsnarrativ der Menschheitsgeschichte. Dennoch verging noch ein Jahr, bis im Deutschen Bundestag der Umweltausschuss gegründet wurde.

Dies war nicht das Resultat einer progressiven Umweltpolitik, sondern die politische Zwangsreaktion auf die Katastrophe. Was Tschernobyl für die Umwelt war, ist die NSA-Affäre für die Netzpolitik. Katalysiert von den die Snowden-Enthüllungen ist die  Netzpolitik im politischen Mainstream angekommen. Mit der „Digitalen Agenda“ entsteht der erste vollwertige Ausschuss seit dem Umweltausschuss und dem EU-Ausschuss von 1991.

Der Internetausschuss ist eine politisch überfällige Reaktion. Das weiß auch der CDU-Netzpolitiker Thomas Jarzombek, Sprecher des Internetausschusses und ehemaliges Mitglied der Enquete-Kommission „Internet und Digitale Gesellschaft“. Sie war der politische Impulsgeber der „Digitalen Agenda“. „Die digitale Transformation betrifft jeden Arbeitsbereich und jeden gesellschaftlichen Bereich,“ sagt Jarzombek nicht ohne staatstragendem Unterton in seinem lichtdurchfluteten Bundestagsbüro. Der Düsseldorfer, Jahrgang 1973, ist der Einzige im Ausschuss, der auch über technisches Fachwissen verfügt. Nach seinem abgebrochenen BWL-Studium gründete er in den 1990er-Jahren ein IT-Service-Unternehmen. 

Digitale Präventiosnmaßnahmen gegen die analogen Politikergarde
 

Jarzombek ist zwar derjenige, der auch die Algorithmen dahinter versteht, doch die Affinität zum Internet ist allen 16 Ausschuss-Mitgliedern gemeinsam. Sie twittern und facebooken so ausgiebig, als müssten sie die Beherrschung der digitalen Welt mit einer Überpräsenz in den Netzwerken rechtfertigen. „Das Beste des Tages zum Schluss: #selfie mit Bundespräsident“, lautete kürzlich ein Tweet von Jens Koeppen (CDU), dem Ausschussvorsitzenden. Die vermeintliche Präventivmaßnahme gegen die letzten Skeptiker der analogen Politikergarde hat ihre Gründe.

Jarzombek, den die Kollegen früher in der Kommunalpolitik stets zur IT-Politik „verdonnerten“, wurde für sein Nischenthema nicht selten belächelt. Ähnliches erlebten auch die anderen aus dem Ausschuss, der aus sieben Mitgliedern aus der Union, fünf aus der SPD und jeweils zwei von den Linken und Grünen besteht. Vermutlich ist es das gemeinsame Schicksal, der Weg von der politischen Resterampe zum Prestigeressort, das sie trotz parteipolitischer Differenzen vereint. Besonders einig war man sich aber über die angekündigten Kernthemen für die nächsten Monate. Neben der besseren Verankerung der Netzpolitik möchte der Ausschuss drei Bereiche voranbringen: Einen verstärkten Breitbandausbau, die Förderung deutscher IT-Unternehmen und nicht zuletzt IT-Sicherheit.

Sicherheit also, das politische Buzzword der Stunde, das vor wenigen Jahren im Zusammenhang mit dem Internet kaum beachtet wurde. Dass es plötzlich hoch im Kurs steht, entlarvt nicht nur die wahren Hintergründe der Ausschussgründung, sondern die Achtlosigkeit einer von tagesaktuellen und kurzfristigen Imperativen beherrschten Politik. Dass die NSA-Affäre ein Äquivalent zu Tschernobyl ist, möchte Jarzombek jedoch so nicht gelten lassen. Ihm zufolge war es der politische Druck der Enquete-Kommission, der das Internet endgültig auf die politische Agenda brachte.

Das sieht der Internetaktivist Markus Beckedahl anders. Beckedahl, der als Sachverständiger einer kleinen Oppositionsfraktion die Enquete-Kommission beraten hat, erinnert sich gut daran, wie er in der Kommission immer wieder für das Thema Sicherheit plädierte. Es sei zwar froh darüber, dass Netzpolitik endlich relevant geworden ist, doch „bevor Snowden an die Öffentlichkeit ging, wollte niemand etwas über das Thema wissen“, erzählt er in seinem kleinen Redaktionsbüro. Im Gegenteil, die Mehrheit der Koalition wollte mit der Kommission vor allem „positive Signale aussenden“ und nichts von den „dunklen Seiten“ des Netzes hören.

Das ist heute anders. Jarzombek, der seine Freude über den kleinen Triumph stets hinter einem subtilen Lächeln verbirgt, ist überzeugt, dass ein hundertprozentiger Datenschutz eine Illusion sei. „Weil die Preisgabe privater Daten nicht die Entscheidung eines Unternehmens oder des Staates ist, sondern die eines jeden Einzelnen. Die Menschen wissen ganz genau, was sie tun, wenn sie sich ein Smartphone anschaffen.“

Ginge es nach Beckedahl, sollte Datenschutz nicht ein Thema unter vielen, sondern das zentrale Thema sein. „Wir benötigen endlich wieder mehr digitale Souveränität über unsere Daten. Viel zu lange hat man die Augen davor verschlossen, dass es Geheimdienste gibt, die unsere Infrastruktur hacken.“ Der Internetexperte ist überzeugt: Der Weg zu mehr Datensicherheit kann nur über bessere „Werkzeuge zur digitalen Selbstverteidigung“ erfolgen. Die Verschlüsselung privater Emails sei immer noch viel zu kompliziert. Doch wie lässt sich dies politisch umsetzen? Vor allem mit einer gezielten Förderung von Open Source, also offen zugänglicher, unkommerzieller Software. Gerade hier könnte man Programme zur Verschlüsselung von privaten Emails und Daten entwickeln, die massenkompatibel und vor allem sicher sind. Es wäre zumindest ein erster Versuch, auch der gesellschaftlichen Kapitulation vor dem Internet entgegenzutreten.

Die Förderung von Open Source allein könne keine Lösung sein, sagt hingegen Jarzombek. Außerdem, so sagt er, während seine Stimme eine seriösere Klangfarbe sucht, ist er besorgt über „diejenigen, die den Eindruck vermitteln, man könnte mit ein paar ganz einfachen Maßnahmen Datenschutz gewährleisten.“ Die Datenspur, die Menschen hinterlassen, sei einfach zu breit gestreut. „Vielleicht wird es irgendwann ein Erweckungserlebnis geben. Sascha Lobo hat mal gesagt: ´Den Leuten ist egal, was die NSA über sie weiß, solange es der Nachbar nicht erfährt`.“   

Der machtlose Ausschuss
 

Der plötzlich hervortretende realpolitische Zynismus ist vielleicht auch eine unbewusste Reaktion auf die politische Unterlegenheit. Denn der Einfluss des Ausschusses ist verschwindend gering. Die Opposition prophezeit, dass es in den nächsten Jahren zu keinem substanziellen Fortschritt in netzpolitischen Fragen kommen wird. Eine nicht unberechtigte Kritik. Denn die Kompetenzen des Ausschusses bestehen laut der offiziellen Erklärung des Bundestags lediglich darin, „Gesetzesvorlagen inhaltlich zu beraten“. Immerhin hat der Ausschuss ein Veto-Recht bei Gesetzesentwürfen, mit dem die Gesetzgebungsprozesse zumindest verzögert werden können.

Beckedahl teilt einen weiteren Kritikpunkt mit der Opposition. So war der Sieg des Internetausschusses gleichzeitig die Kapitulation vor dem eigentlichen Großprojekt:  Die Einrichtung eines Internetministeriums, in dem alle relevanten Netzthemen gebündelt werden. Stattdessen hat die Große Koalition die Netzpolitik-Kompetenzen der Ministerien noch stärker fragmentiert. Inzwischen sind drei Ministerien für das Internet zuständig. Das Innenministerium beschäftigt sich mit Sicherheitsfragen, das Wirtschaftsministerium mit der Förderung von IT-Unternehmen und das neue Ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur für Breitbandausbau. Die „Digitale Agenda“ hat die undankbare Aufgabe, die unterschiedlichen Themen der Ressorts zusammenzuführen.

Politische Intransparenz
 

Noch überdeckt der Optimismus der Ausschussmitglieder die Diskrepanz zwischen Anspruch und realpolitischer Wirklichkeit. Zuletzt konnte man ihn auf der Cebit erleben, zu der fast alle Mitglieder angereist waren und von der man Klassenfahrt-artige Selfies und euhphorische Tweets an die Parteibasis sendete. „Die erste Debatte initiiert durch #btADA beginnt: Gründungsbedingungen in der digitalen Wirtschaft. Ein guter Start für unseren Ausschuss“, twitterte Jens Koeppen. Weniger gut war dann die jüngste Ankündigung Koeppens, dass alle Sitzungen des  Ausschusses nicht öffentlich stattfinden werden. Es ist der wahrscheinlich größte Widerspruch der Digitalen Agenda: Ausgerechnet die Politiker mit der stärksten Onlinepräsenz entscheiden sich für politische Intransparenz.

Nachdem der Umweltausschuss infolge des verheerenden Reaktorunfalls gegründet wurde, vergingen noch viele Jahre, bis sich Umweltpolitik fest im kollektiven politischen Bewusstsein verankerte. Doch immerhin fußte das Umweltthema auf einer breiten Bewegung und einer Partei. Der gesellschaftliche Unterbau des Internetausschuss hingehen ist sowohl zivilgesellschaftlich als auch parteipolitisch stark fragmentiert. Die Digitale Agenda ist nur ein Anfang. Ein notwendiger Beginn, Netzpolitik als das zu begreifen, was sie längst sein müsste: politischer Alltag.

 

 

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