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Hochwasser - Politik oder Medien: Wer profitiert von der Katastrophe?

Das Hochwasser hält Deutschland bald eine Woche lang in Atem. Wie gehen Medien und Politik mit dieser Krise um? Und wer hat profitiert? Sieben Thesen über die Logik der Katastrophenberichterstattung

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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1. Die Medien versuchen von dem Unglück zu profitieren

Katastrophen wie das Hochwasser sind die Sternstunde der Medien. Ob Gefahrenzonen, Sperrungen oder Evakuationsempfehlungen: Zeitnah sich zuspitzende Ereignisse würden konkret beschrieben, sagt der Jenaer Kommunikationswissenschaftler Georg Ruhrmann. „Und damit warnt die Berichterstattung die Bevölkerung manchmal zuverlässiger als ein Krisenstab.“

Aber Medien sind keine Verwaltungsapparate. Sie sind Wirtschaftsunternehmen. Mit Opfergeschichten, Chaos-Bildern und Superlativen lässt sich eben auch Kasse machen, wie Deutschland dieser Tage erlebt. Die Sender jagen ihre Redakteure in die Luft (per Hubschrauber) oder schicken sie in die Fluten (per Schnellboot) – plötzlich kann keine Recherche teuer genug sein.

Die Bild-Zeitung titelte zu Wochenbeginn: „Trinkwasser wird knapp” (tatsächlich wurde das Trinkwasser in Passau nur kurzzeitig abgestellt, aus Hygienegründen). Je steiler die Pegelstände, desto geiler die Presse, so schien die Devise: Beim ARD-Brennpunkt ging es gleich um die „nackte Existenz“; der Branchendienst Meedia.de lästerte, Sigmund Gottlieb habe „ganz tief in die Moderations-Mottenkiste mit der signalroten Aufschrift ‚Weltuntergang‘“ gegriffen.

Frank Plasberg krempelte kurzerhand seine Sendung um (obwohl daraus auch nur ein Flop-Flut-Talk wurde). Sogar der Privatsender RTL – der seriösen Nachrichtenberichterstattung sonst eher unverdächtig – widmete der Flut zwei gut recherchierte News-Sondersendungen.

2. Die Medien profitieren von dem Unglück.

Mit Erfolg: Bei RTL schalteten am Montag knapp 3,3 Millionen, am Mittwoch 2,6 Millionen Zuschauer ein. In der eigenen werberelevanten Zielgruppe war es sogar fast jeder sechste. Das Hochwasser bescherte den Sendern überall Rekord-Quoten. Der ARD-Brennpunkt „Sintflut statt Sommer“ überholte sogar das Fußball-Länderspiel USA gegen Deutschland sowie den „Tatort“. Mehr als zehn Millionen schalteten ein, der Marktanteil erreichte den Traumwert von 30,6 Prozent.

Auch bei den Onlinemedien sind Flut-Berichte die Klickbringer schlechthin. Am Donnerstag gehörten die Berichte über die Flut zu den meistgelesenen Themen bei Cicero Online.

3. Die sozialen Medien profitieren am meisten von dem Unglück.

Facebook: das ist was für Exhibitionisten. Twitter: das Medium für Selbstdarsteller. So in etwa hätte die Mehrheit der Bevölkerung die wichtigsten sozialen Netzwerke beschrieben. Bis jetzt: Während bei Papiermedien Land unter war – das Oberbayerische Volksblatt konnte wegen eines Stromausfalls in Rosenheim etwa seine Montagsausgabe nicht drucken – füllten die sozialen Medien diese Lücke.

Aus Halle berichteten Freiwillige, wie reibungslos die Hilfe dank der Netzwerke organisiert sei. Die Gruppe „Hochwasser Opfer 2013 (alles wird verschenkt)“ vermittelt Haushaltsgegenstände, Hilfskonvois oder Fahrgemeinschaften. Die Facebook-Seite „Hochwasserhilfe Passau“ erreicht mehr als 6.300 Menschen. Auch Firmen finden ihr Publikum: Die „Hochwassersicherheit Reitthaler“ bot Betroffenen kurzerhand Rabatte auf ihre Reinigungsgeräte. Und bei Twitter gingen fast minütlich Meldungen unter dem Hashtag #Hochwasser ein.

Vor elf Jahren waren die Flutopfer noch auf traditionelle Medien angewiesen. Heute kann jeder sein Schicksal selbst in die Hand nehmen – und das sprichwörtlich: Das Handy erlaubt die Verbreitung bildlicher oder sprachlicher Informationen selbst dann, wenn Telefon und Internet im eigenen Haus lahmgelegt sind. Betroffene werden so zu Berichterstattern, Zeugen zu Vor-Ort-Reportern.

Nachrichtenmedien sind diesem digitalen Überalljournalismus zwangsläufig unterlegen. Es sei denn, sie binden die sozialen Netzwerke in ihre eigene Arbeit ein – wie es etwa RTL und ZDF versuchen: Sie stellen Facebook-Seiten bereit, auf der Betroffene sich austauschen oder Bilder teilen können.

4. Die Politik versucht, vom Unglück zu profitieren.

„Katastrophenereignissen wird stets ein hoher Nachrichtenwert zugeschrieben“, sagt der Kommunikationswissenschaftler Ruhrmann. „Und Politik kann von der Krise profitieren, wenn sie schnell genug das Richtige lernt und es umsetzt.“

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Das Bild entstand auf Merkels Flutreise zwischen Dresden und Pirna. Mehrere Zeitungen druckten es am Mittwoch auf Seite eins, unter anderem die Süddeutsche Zeitung. Merkels Berater lieferten der Presse punktgenau jenes Bild, das in diesem Moment gefragt war. Und die Kanzlerin brachte den Betroffenen jene Botschaft mit, die sie erwarteten: 100 Millionen Euro Soforthilfe.

Auch die Piraten wussten ihre Kompetenzen geschickt einzusetzen. Sie sicherten sich die Domain hochwasser2013.de – die auf hochwasser.piratenpartei-bayern.de umgeleitet wird. Geschäftsführerin Katharina Nocun warb bei Twitter eifrig für das Hilfsportal.

5. Die Politik will den Eindruck vermeiden, sie handle nur, um von dem Unglück zu profitieren.

Die Anteilnahme beider Parteien war ehrlich – und doch gleicht der richtige Umgang mit dem Thema einem Tango in der Telefonzelle. Immer schwingt bei den Wählern das Misstrauen mit. Ein entsprechender Kommentar von Mathias Richel wurde bei Twitter zahlreich favorisiert, also von Nutzern für gut befunden:

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Das Bild macht auch hier den feinen Unterschied: 2002 schlüpfte Gerhard Schröder in schwarze Gummistiefel und in eine lange Grenzschutzjacke. 2013 trägt Merkel auf dem Helikopter-Foto Jackett und Silberkettchen. In Bayern stapfte sie in Wanderschuhen durch den Schlamm und betonte: „Wir wollen die Leute nicht in ihrer Arbeit behindern.“ Merkel will nicht als Flut-Profiteurin dastehen, die damit wie Dazumal-Deichgraf Schröder ihre Wahlen rettet.

Für die Opposition sei die Flut aber ein echtes Problem, sagte Politikberater Michael Spreng mehreren Medien. Denn „Naturkatastrophen sind die Stunde der Regierung“. Politiker von SPD, Grünen und Linken hielten sich daher zurück, sprachen allenfalls ihre Anteilnahme aus. Sie wissen: Wer bei Naturkatastrophen Politik machen will und die Regierung allzu scharf kritisiert, wird vom Wähler abgestraft.

Der Jenaer Kommunikationswissenschaftler Georg Ruhrmann ist überzeugt, dass die Politik angemessen auf die Flut reagiert habe, „etwa durch Anteilnahme, Präsenz und Hilfsversprechungen. Und wenn im heraufziehenden Wahlkampf ‚die Kanzlerin hilft‘, ist Profilierung ein Nebeneffekt.“

6. Die Medien werfen der Politik vor, sie wolle nur vom Unglück profitieren.

Kritik am politischen Handeln gab es trotzdem. Von „Katastrophentourismus“ war bei Onlinemedien die Rede, das Südkurier sprach von einer „recht durchschaubaren Inszenierung“. Die taz fand, die Flut sei für Merkel gar „Die perfekte Welle“. Das Blatt zeigte die Kanzlerin auf einer Bildmontage, wie sie mit einer breiten Deutschland-Bauchbinde durch das knöchelhohe Wasser stapft und hinter sich ein Rettungsboot der Wasserwacht herzieht.

7. Die Politik profitiert nicht von dem Unglück.

Tatsächlich aber kommt die Flutkatastrophe zu früh – zumindest für Angela Merkel. Bis zur Bundestagswahl am 22. September sind es noch mehr als drei Monate. Der Duisburger Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte ist in der Bild-Zeitung sicher: „Der zeitliche Abstand zwischen der Flutkatastrophe und dem Wahltag ist diesmal so groß, dass keine zentralen Wirkungen auf das Wählerverhalten messbar sein werden.“

Denn sobald der Pegel abschwillt, wird auch das Interesse der Medien verschwinden. Schon jetzt guckt kaum noch ein überregionaler Reporter mehr in Passau vorbei. Dabei wird das Ausmaß der Schäden erst mit dem Rückgang des Wassers sichtbar.

Spannend bleibt für die Medien sehr bald nur noch die Frage, wie die 100 Millionen Euro Soforthilfe in den Hochwassergebieten verteilt werden. Bayern soll rund die Hälfte davon bekommen. Dort ist im Herbst auch Landtagswahl. Wie Sachsen-Anhalt und Brandenburg, wo die Welle gerade anrollt, entschädigt werden, ist noch offen.

Da könnte auf die Kanzlerin also noch einiger Ärger zukommen.

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