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(picture alliance) Das Internet, eine „Kulturleistung von historischer Bedeutung“

Gauck und die digitale Spaltung - Hilfe, ich habe Google gelöscht

Joachim Gauck verkörpert eine Obamahaftigkeit, die wir bislang in Deutschland vermissen mussten. Um Deutschland zu vereinen, hat er sich sogar mit dem Internet versöhnt – was viele seiner Landsleute sich nicht zutrauen

Es gibt nichts, was der Mann nicht kann, möchte man meinen. Noch nicht einmal gewählt, schon avanciert Joachim Gauck zum Heilsbringer auf allen Ebenen. Dieses Obamahafte, das dem zukünftigen Bundespräsidenten anhängt, ist schon etwas Feines.  Das haben wir in Deutschland lange nicht gehabt. Hubertus Heil hat zwar sein Bestes getan, als er im Jahr 2008 auf einem Zukunftskonvent versuchte, mit einem beherzten „Yes we can“ seine sozialdemokratischen Zuhörer auf Linie zu bringen. Das Vorhaben aber scheiterte grandios.

Joachim Gauck aber nimmt man all das ab. Den Pathos eines Landesvaters, den Bürgerrechtler, den Friedensstifter. Und nun auch noch den Internet-Guru. Authentizität ist eine Währung, die im Netz verfängt. Und davon scheint der künftige Bundespräsident genug zu haben. Noch vor eineinhalb Jahren verkündete er zwar in einem Interview, er habe „noch nicht ein einziges Mal Facebook aufgemacht“. Damals hatten seine Fans bei Facebook allerdings bereits mit der Seite „Wir für Gauck“ Furore in seinem Namen gemacht. Seine eigene Facebook-Seite ist auch seitdem online ohne dass sich der Präsident in Spe selber groß mit dem Internet beschäftigt hätte. Dann aber wurde Gauck unverhofft zum Schirmherren des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI). Er wird dieses Amt zunächst ruhen lassen und mit seiner Wahl zum Bundespräsidenten ganz abgeben.

Gemeinsam mit dem DIVSI hat er aber zuvor noch sieben Thesen zum World Wide Web verbreiten lassen. Gauck und seine netzaffinen Kollegen erheben das Internet darin zur „Kulturleistung von historischer Bedeutung“, zu einem Ort wo sich Freiheit aber nur dann entwickeln kann, wenn auch eine gewisse Sicherheit gewährleistet wird. Außerdem sei das „freie und sichere Internet eine wichtige Triebfeder für eine Stärkung der Demokratie in aller Welt“. Es sind Thesen, die direkt aus Gaucks eigener realer Erfahrungswelt stammen. So vermittelt er Authentizität. Und deswegen nimmt ihn die Netzgemeinde auch ernst. Der künftige Bundespräsident hat damit einen weiteren Schritt in Richtung „Einiges Deutschland“ gemacht.

In seinem Amt nämlich wird er nicht nur Ost und West, Eliten und Unterschichten, Rechts und Links zu vereinen haben. Deutschland kämpft mit einer weiteren Spaltung – der digitalen. In seinem Grußwort zu einer gerade veröffentlichten Studie des DIVSI beschreibt er, wie er sich zunächst mit Skepsis an das Thema Internet herangetastet hat, weil er sich nicht für kompetent genug hielt. Dann aber hat sich der 72-Jährige offenbar ein Herz gefasst. Und man muss diesen älteren Herren nun ein weiteres Mal für seinen Mut loben, sich dieser neuen Technik zu stellen. Selbstverständlich ist das nämlich offensichtlich nicht. Viel zu viele nämlich haben sich von der Generation Internet längst abhängen lassen.

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So auch mein sehr geachtetes und geliebtes Tantchen S., die sich sicherlich für viele der Dinge interessieren würde, die wir bei CICERO ONLINE behandeln. S. ist politisch interessiert und hoch gebildet. Einen großen Teil der politischen Diskussionen, die sich mittlerweile nicht mehr in ihrer Zeitung, sondern vor allem im Internet abspielen, gehen aber an ihr vorbei.

Sie gehört zu den Digital Outsiders, die das DIVSI in seiner neusten Studie dingfest gemacht hat. Und von denen gibt es mit fast 40 Prozent in Deutschland eine Menge mehr – in etwa doppelt so viele – wie bisher angenommen. Es sind nicht etwa Menschen ohne technischen Zugang zum Internet. Im Gegenteil: Viele von ihnen könnten über einen Internet-Anschluss verfügen, sind aber durch die neue Kulturtechnik so verunsichert, dass sie es fast, beziehungsweise gar nicht nutzen.

Die Möglichkeit besteht also. Allein, es fehlt der Mut. Gauck hat diesen Mut bewiesen. Der Bauer hat gefressen, was er nicht kennt, er hat die Angst vor dem Fremden überwunden. Anders als die vielen digitalen Außenseiter, auf die jene abschätzig herabblicken, die auf natürliche Art den Umgang mit dem Internet gelernt haben. Dabei sollten sie vielmehr die Leistung derer hoch ansehen, die sich im Rentenalter noch einmal an den Computer wagen. Da kommt es dann schon einmal vor, dass panische Eltern am Telefon sind, weil sie „Google gelöscht“ haben, dass Emails am Sonntag erst später ankommen, weil auch das Internet am heiligen Feiertag weniger arbeitet. Da werden Emails des Großvaters erst nach einem klärenden Telefonat lesbar, weil der digitale Newcomer seine Antwort ganz unten unter all die bereits geschriebene Kommunikation geklemmt hat. Oder gehetzte Väter versuchen im selbst erzeugten Argumentationsstrudel krudeste Thesen zu untermauern mit der Begründung, sie wüssten das ganz genau, denn sie hätten „im Internet angerufen“.

Es ist der Versuch, der zählt. Und Gauck versucht. Hoffen wir, dass er einen Zug des amerikanischen Heilsbringers Barack Obama nicht übernimmt: Dass er die Nation nicht spaltet, wie es in den USA geschieht. Dass es ihm als Bundespräsident gelingt, Gräben zu überbrücken, anstatt sie zu vertiefen. Der Anfang ist viel versprechend.

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