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Heumachen - Massaker auf der Wiese

Kolumne: Stadt, Land, Flucht: Der Sommer kommt, es beginnt die Zeit des Heumachens. Neben der Landidylle heißt das: Tote Hasen, zerhackte Kröten und Rehfamilien, die vergeblich im hohen Gras Schutz suchen

Autoreninfo

Marie Amrhein ist freie Journalistin und lebt mit Töchtern und Mann in der Lüneburger Heide.

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Mittagshitzestille, nur vom Brummen der Käfer durchbrochen. Dagegen das Vogelorchester vom Morgen, da sind sie alle da, alle Vögel alle. Und nicht nur die: Hasen hoppeln durch den Garten, Rehe weiden in der Abenddämmerung, der Kuckuck ruft gern gegen fünf Uhr dreißig, während der Herr Otter einen Karpfen nach dem anderen aus unserem Teich fischt. Die Tiere schlemmen, vermehren sich. Und sie gehen drauf. Der Sommer kommt und mit ihm beginnt auf den Weiden die Zeit der Mähmessermassaker.

Reihe für Reihe bahnt sich das Mähwerk vieler Bauern zurzeit seinen Weg durch das dichte Grün. Unaufhaltbar für die Tiere, die ihm zum Opfer fallen. Dicke Kröten, die sich beim Weghüpfen im Halm verfangen. Rehe, die versuchen, sich tief in die Furchen zu ducken und zu spät merken, dass sie hier keinen Schutz finden. Die Rehmutter, die ihr Kitz in heller Panik verlässt, um ein paar Stunden später nur noch eine gemähte Wiese und versprenkeltes Blut wiederzufinden. Die vegetarische Freundin überfährt des Nachts auf der Heimfahrt ein Wiesel und am Morgen flattern die Vögel viel zu langsam von der Straße, wenn sich ein Auto im Berufsverkehr nähert. Mit dem Kopf sind sie ganz woanders. Woher bekommen sie den nächsten Wurm, die dickste Larve für die Kleinen? Bisher sind wir noch immer drum herum gekommen, haben sie im Rückspiegel eilig fliehen sehen.

Des Bauers erste Opfer: Hasenbabys
 

Gestern aber war es soweit. Unser erstes Opfer fiel durch den Reifen des Elektromobils, mit dem der Bauer die Weiden pflegt. Seinen Leib hatte der Hase beim Herannahen des Gefährts in seine Sasse, eine Erdmulde inmitten des dichten Grases, gepresst und war erst im letzten Moment aufgesprungen. Auf dem Rückweg fand der Neubauer dann das tote Muttertier, ihr Bauch verbarg drei kleine Hasenbabys.

Zunächst war da der Schreck. Dann der Gedanke, dass dies wohl die Opfer sind, die der Bauer der Natur abverlangen muss. Aber was macht das mit uns Neu-Landeiern? Werden wir zu eiskalten Killern? Wie gehen andere Bauern damit um? Stimmt das Klischee des Landwirts, der überzählige Katzenbabys im Sack ertränkt und Ratten mit der Schaufel totschlägt? Muss man so werden, wenn man als Bauer sein Leben bestreitet?

In der hiesigen Tageszeitungslektüre findet sich keine Hilfe. Friederike Schmitz, Herausgeberin eines Sammelbands zur Tierethik, bemüht in der letzten Ausgabe der ZEIT wieder einmal den Vergleich von Sklavenhaltern und Fleischessern. Psychologen aus Australien berichten im Spiegel moralisierend, wie leichtfertig sonst tierliebe Probanden den Schlachttieren Gemüt und Verstand absprechen, wenn es um den eigenen Fleischkonsum geht. Aber das hilft hier nicht weiter, die Entscheidung des Städters zwischen vegetarischer, veganer oder carnivorer Lebensweise ist abstrakt. Auf dem Land lassen sich die Augen schwerer verschließen.

Leben und Sterben mit der Natur
 

So schauen wir denen zu, die schon seit Jahren mit und von der Natur leben. Und lernen, wie man mit einer geschredderten Rehfamilie umgehen kann: Ohne Zynismus, mit Respekt und ohne übertriebene Panikmache. Wir versuchen, romantisierte Vorstellungen und reale Naturerlebnisse in Einklang zu bringen.

Da sitzen dann Neu- und Altbauer beim Feierabendbier in der Küche. Gemeinsam haben sie in den vergangenen Tagen die umliegenden Wiesen gemäht, geschwadert und unter Folie als Silage verpackt. Ein Teil des Futters für den kommenden Winter ist damit gesichert. Getane Arbeit, Erschöpfung, Ruhe. Sagt der eine zum anderen: „Heute beim Unkraut jäten lief mir eine Spinne über die Hand. Die trug ihre Eier in einem Säckchen bei sich. Als ich sie wegschnippte, verlor sie diesen Sack. Sie hat ihn überall gesucht, grub an mehreren Stellen in der Erde.“ „Mmh. Großes Drama im Kleinen.“ Schweigen. Dann der andere: „Ich saß heute auf dem Klo, da war in der Ecke eine Ameise. Die zappelte so an unsichtbaren Fäden. Im selben Moment kam eine Spinne aus dem Nichts herangesaust, an einem unsichtbaren Faden. Sie wickelte die Ameise ein. Ich bin dann wieder raus aufs Feld.“

Da kommt unser erster Sommer als Bauernfamilie schon zu Beginn so voller Leben und Tod daher. Und wir lernen einmal mehr, dass eine klare Haltung zu Schuld und Sterben gerade hier nur schwerlich zu finden ist.

Morgen gibt es erst einmal Hasenbraten. Aus Respekt vor dem Leben. Mehr können wir für die tote Mutterhäsin nicht tun.

 

 

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