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(picture alliance) Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts muss man immer akzeptieren

Zukunft der EU - „Europa ist mehr als Euro, ESM und Fiskalpakt“

Herta Däubler-Gmelin wünscht sich nach dem Karlsruher ESM-Urteil nun einen europäischen Konvent, um Europa demokratischer machen. Die frühere Bundesjustizministerin hatte mit ihrer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht für den Verein „Mehr Demokratie“ erfolglos versucht, eine Volksabstimmung zu erzwingen

Frau Däubler-Gmelin, das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Woche Ihre Anträge allesamt abgelehnt. Sind Sie vom Urteil der Karlsruher Richter enttäuscht?
Nein, bei realistischer Erwartung, nicht: Zwei unserer wichtigsten Anträge, nämlich der auf klare und völkerrechtlich wirksame Vorbehalte für eine Haftungsobergrenze und für die umfassende und rechtzeitige Information des Parlaments hat das Gericht im Tenor der  Entscheidung mit Gesetzeskraft angeordnet. Das ist gut. Viele unserer Beschwerdeführer hätten gerne eine Volksabstimmung gehabt, wie sie das Gericht in früheren Entscheidungen vorgezeichnet hat. Dieses Mal sind die Karlsruher Richter nicht darauf zurückgekommen, weil sie beide Verträge - mit den völkerrechtlich wirksamen Vorbehalten - für verfassungskonform auslegbar halten.

Akzeptieren Sie das Urteil? Oder rechnen Sie sich für das Hauptsacheverfahren noch Chancen aus? 
Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts muss man immer akzeptieren. Zusätzlich zu den gerade erwähnten Erfolgen, die auf jeden Fall die Klagen rechtfertigten, hat das Gericht sich allerdings weitere wichtige Punkte zur Erörterung in einer zweiten mündlichen Verhandlung vorbehalten. Da kann schon noch die eine oder andere wichtige Festlegung kommen, zum Beispiel zu Fragen der EZB.

Ist der ESM mit den Auflagen nicht doch geeignet, zum einen die Krise wirksam zu bekämpfen und zum anderen, die Rechte des Parlaments angemessen zu würdigen?
Karlsruhe nimmt ausdrücklich nicht zu der inhaltlichen Berechtigung oder Nichtberechtigung, zu Sinn oder Unsinn des eingeschlagenen Weges Stellung. Das legen die Richter ausdrücklich dahin, wo es hingehört: In die Hand der Politik. Die hat die Verantwortung und muss sie wahrnehmen. Ich persönlich glaube, dass Europa erheblich mehr ist als Euro, ESM und Fiskalpakt und dass die so genannte „Alternativlos-Politik“ der Regierung schon wegen der ja überall sichtbaren steigenden Verarmung und Arbeitslosigkeit dringend ergänzt werden muss: Wir brauchen Investitionspakt, Pakt gegen Arbeitslosigkeit und dringlich auch eine Realisierung der DIW - Überlegungen zur Beteiligung der vielen Krisengewinnler zum Beispiel in Form einer europaweiten Zwangsanleihe, sonst werden sich immer mehr Bürgerinnen und Bürger von Europa abwenden. Auch bei uns.

Wie sollten aus Ihrer Sicht jetzt die Bürger mitgenommen werden?
Eine Volksabstimmung in Gesamt-Europa an einem einzigen Wochenende würde alle Parteien dazu zwingen, endlich mehr Aufklärung und Information über die wichtige Bedeutung von Europa auch für uns, aber auch über die Nachteile zu leisten. Das haben sie bisher versäumt - mit der Folge, dass das Misstrauen immer größer geworden ist. Im Internet finden sie auch zum gestrigen Urteil keineswegs nur die Jubeltöne der Befürworter, sondern ganz viel Skepsis und offene Ablehnung. Europa kann aber nicht ohne Zustimmung seiner Bürgerinnen und Bürger Bestand haben. Erst mit der Ankündigung und der Einreichung der Klagen gegen ESM und Fiskalpakt hat die Information und die Auseinandersetzung um diese Politik begonnen. Das geht nicht.

Welche Schritte müssen jetzt erfolgen, Europa demokratischer zu machen?
Die Rechte des Europäischen Parlaments müssen dringend ausgebaut werden - auch im Hinblick auf EZB und Eurozone. Ich finde, ein neuer europäischer Konvent sollte einberufen werden, um sich über die Zukunft Europas Gedanken zu machen.

Plädieren Sie auch für ein Referendum für mehr Europa?
Wie ich schon dargelegt habe, ja. In ganz Europa an einem Wochenende und nach ausführlicher Information und Aufklärung.

Werden Sie weiter für mehr Bürgerbeteiligung kämpfen?
Ja, aus voller Überzeugung. Übrigens hier bei uns und in Europa. Und für Rechtsstaatlichkeit und den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft, der in der letzten Zeit immer stärker zu zerbrechen droht. 

Herta Däubler-Gmelin war von 1998 bis 2002 Bundesjustizministerin im ersten rot-grünen Kabinett. Sie vertritt den Verein Mehr Demokratie bei den Euro-Klagen gegen ESM und Fiskalpakt.

Die Fragen stellten Daniel Martienssen und Petra Sorge

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