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Haustürwahlkampf - Ding-Dong, hier ist die SPD!

Die SPD will bis zum Wahltag an fünf Millionen Haustüren klingeln. Wie aber läuft so ein Besuch ab? Julia Berghofer wagte den Selbstversuch und bewaffnete sich in Potsdam mit Wahlkampfunterlagen

Autoreninfo

Studiert Politikwissenschaften in Hamburg und hat unter anderem für die Süddeutsche Zeitung geschrieben.

So erreichen Sie Julia Berghofer:

Ein bisschen überrumpelt bin ich schon. Plötzlich bekomme ich ein Klemmbrett und einen Stapel knallroter Türanhänger in die Hand gedrückt. Darauf das lächelnde Konterfei von Andrea Wicklein, Direktkandidatin der SPD im Wahlkreis 61. Eigentlich will sie an diesem stürmischen Abend in Teltow selbst von Tür zu Tür ziehen, um Wahlwerbung und Infobroschüren zu verteilen – so wie sie es bereits seit Wochen macht. Doch Wicklein ist krank geworden. So fragt mich ihr blonder junger Mitarbeiter Anfang 30 nun, ob ich ihn nicht unterstützen kann – das ginge nur im Team. Nebenbei kramt er in einem Wust aus Werbematerial, SPD-Ballons und Bannern, die im knallroten SPD-Van verstaut sind. Ich zögere und bin mir nicht sicher, ob sich das mit journalistischer Objektivität vereinen lässt. Auf der anderen Seite: So nah am Geschehen ist man schließlich selten.

Kern, der ursprünglich aus Freising bei München stammt, ist Mitglied im Vorstand der Babelsberger SPD und arbeitet bei der Brandenburgischen Hochschulkonferenz. Ich erfahre, wie es kommt, dass er in einem roten Parka steckt und für Andrea Wicklein auf Stimmenfang geht. Schon als Teenager war er bei den Jusos, wurde schnell Parteimitglied. Im direkten Umgang mit den Bürgern ist er deshalb routiniert. Das merke ich seinem festen Händedruck und dem offenen Blick an.

Bis zur Wahl an fünf Millionen Türen klingeln

Er erklärt mir, worum es beim Straßenwahlkampf geht – in meiner Vorstellung bisher eine Art Guerilla-Aktion, die darauf abzielt, den Wähler in seinem natürlichen Lebensraum aufzuscheuchen und zur Wahlurne zu komplimentieren. Stimmt nicht, erfahre ich. Es geht um lockere Gespräche, um dezente „Mobilisierung“, das Kreuzchen an der richtigen Stelle zu setzen. Ich beginne, mich für den vielseits belächelten Haustürwahlkampf zu interessieren. Bis zum 22. September wollen die Sozialdemokraten an fünf Millionen deutschen Türen klingeln – ein ehrgeiziges Ziel. Im Potsdamer Wahlkreis will man 5000 Besuche machen; Andrea Wicklein allein hat bereits die 1000er-Marke überschritten. Für sie ist die Strategie auch ein Ausdruck ihrer Kämpfernatur, denn bei der letzten Wahl war der Abstand zu den Linken hauchdünn. Wicklein setzt auf den persönlichen Kontakt.

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Mittlerweile haben sich vier weitere SPDler um den Van gruppiert. Zwei Damen, ein Herr und ein 16-jähriges Mädchen von den Jusos stecken in roten Regencapes oder tragen schicke SPD-Umhängetaschen, randvoll mit Andrea Wicklein-Flyern. Mathias Kern teilt das Gebiet strategisch auf, malt für jeden eine Route in den Stadtplan. In Zweier-Teams ziehen wir los, um uns bei den Wählern im Teltower Flussviertel vorzustellen.

Wir beginnen bei Nummer 36 A. Noch bin ich fest davon überzeugt, dass uns keiner zuhören wird. Bei Umfragen geben die meisten Menschen an, dass sie nur ungern Politiker im eigenen Hausflur stehen haben. Dementsprechend bin ich froh, dass ich mich auf meine äußerst anspruchsvolle Klemmbrettaufgabe konzentrieren kann. Ich soll die Bilanz des Abends festhalten. Das heißt: Notieren, in welcher Straße wir waren, wie viele Menschen wir daheim angetroffen haben und ob unsere Gesprächspartner positiv, negativ oder gar nicht reagiert haben. Das diene rein statistischen Zwecken, erklärt Kern. Namen werden nicht aufgeschrieben. Am Ende wird sich zeigen, ob die Aktion erfolgreich gewesen ist, oder ob bei schlechtem Wetter keiner so recht Lust hat, mit der SPD zu smalltalken.

Kern und ich suchen uns einen länglichen Häuserblock aus – eine unpersönliche Mixtur aus Plattenbau und Genossenschaftswohnungen. Der Vorteil: hier haben wir gleich zehn Parteien pro Haustür. Der Nachteil: am heimischen Gartenzaun sind die Wähler eher zum Plaudern aufgelegt, so zumindest Kerns Erfahrung. Normalerweise schafft man in dicht besiedelten Gebieten um die 100 Türen in eineinhalb Stunden. Ich finde das ziemlich viel.

Außerdem befremdet mich die Idee, mich so einfach ins Wohnzimmer von Unbekannten zu setzen und mit ihnen über Lokalpolitik zu diskutieren. Wie viele Tassen Kaffee hat mein Mitstreiter da schon trinken müssen, wie viele Fotos von den Enkeln anschauen, wie viele Katzen streicheln? Einer von Kerns Parteigenossen wurde gar von einem aggressiven Schoßhund in die Hand gebissen, erfahre ich. Aber er kann mich beruhigen: Beim Haustürwahlkampf macht der Sozialdemokrat üblicherweise brav an der Türschwelle Halt. „Wir werden die wenigsten überzeugen, aber sie sollen sich erinnern", erklärt er. Dabei ja nicht aufdringlich wirken. Stattdessen klingeln, freundlich vorstellen, ein kurzes Gespräch, dann Infomaterial in die Hand drücken, schönen Abend noch, nächste Tür. Hört sich alles recht simpel an.

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Wir klingeln am ersten Häuserblock. „Hallo, wir sind vom Team Andrea Wicklein und würden Ihnen gern ein paar Informationen zu unserer Direktkandidatin geben“, stellt uns Kern gut gelaunt vor. „Geht auch ganz schnell“. Keine Antwort, aber der Türsummer geht. Im ersten Stock wartet ein älterer Herr. „Ja, ja, wir wissen schon, wen wir wählen“, sagt er. Er guckt trotzdem freundlich und lässt sich einen Info-Flyer in die Hand drücken. „Darf ich Sie noch zu unserer Veranstaltung morgen mit Andrea Wicklein und Matthias Platzeck einladen?“, hakt mein Begleiter nach. Der Herr an der Tür weiß bereits Bescheid.

Danach besuchen wir die übrigen neun Mietparteien, arbeiten uns bis in den vierten Stock hoch. An etwa der Hälfte der Türen macht keiner auf. Dort hängen wir einen Flyer an die Klinken.

„Schöne Pilze haben sie da“

Zwei Hausnummern weiter haben wir weniger Glück. Ganze 20 Parteien sind entweder nicht daheim oder haben mit der SPD nichts am Hut. Ab und zu bekommen wir ein gereiztes „Habe keine Zeit“ aus dem Lautsprecher entgegengeschleudert.  Nicht einmal unsere Türanhänger werden wir los. Dafür schiebt Kern ein paar Infozettel in die Briefkästen.

Dort, wo man uns nicht nur in den Hausflur lässt, sondern auch die Tür aufmacht, weiß Kern immer einen netten und unaufdringlichen Einstieg. „Das riecht aber gut bei Ihnen", sagt er zum Beispiel. Oder: „Lassen Sie sich nicht beim Telefonieren stören. Wir geben Ihnen einfach einen Flyer in die Hand", als ein junger Mann mit Telefon am Ohr öffnet. Er improvisiert geschickt, lässt sich weder durch schlecht gelaunte Rentner, gestresste Yuppies noch durch hartgesottene SPD-Gegner irritieren.

„Schöne Pilze haben sie da“, ruft er einer Frau zu, die ein Körbchen Pfifferlinge über die Straße trägt. „Bei uns heißen die Reherl“, sagt Kern zu mir, nicht ohne ein wenig Stolz auf die bayerische Heimat. Reherl würden in Potsdam wohl eher auf Unverständnis stoßen. Einer jungen Frau, die im Erdgeschoss das Küchenfenster offen hat, ruft er zu, ob sie auch aus Bayern komme. „Nee, aus Bayern komm ich nicht“, antwortet sie etwas düpiert. „Hat sich am Lautsprecher so angehört“, erklärt Kern mit einem entschuldigenden Lächeln. Davon, dass uns die Frau nicht öffnen wollte, lässt er sich nicht irritieren.

Besonders heikel sind die älteren Damen. Eine Rentnerin im fliederfarbenen Bademantel öffnet zwar, lugt aber höchst misstrauisch hinter der Tür hervor, so als wollten wir ihr einen Staubsauger andrehen oder die neueste Ausgabe des Wachtturm in die Hand drücken. Dabei bin ich mir sicher, dass keiner von uns einen dubiosen Eindruck macht. Der Wähler ist eben doch ein scheues Wesen.

Einmal knallt uns ein glatzköpfiger Mann im schwarzen Outfit die Tür vor der Nase zu, mit der nachdrücklichen Empfehlung, wir mögen doch schleunigst das Weite suchen. Dann wiederum öffnet eine junge Mutter mit Kleinkind die Tür, es riecht nach Abendessen, die Frau nimmt unsere Infozettel gerne entgegen. Ab und zu – und dann freuen wir uns besonders (ich habe mich mittlerweile anstecken lassen) – heißt es: „Jaaaa, Andrea Wicklein, die kenne ich“. Lächeln, Nicken, Einladung zur öffentlichen Bürgersprechstunde mit Wicklein und Platzeck.

Demokratie kann zäh sein

Sechs Hausnummern und 60 Mal Klingeln später beenden wir unsere Tour. Es fängt an zu regnen, der Himmel wird düster. „Wenn es dunkel wird, machen die Leute ungern auf“, sagt Kern. Etwa 30 Kontakte hatten wir – 30 von fünf Millionen. Und richtig ins Gespräch gekommen sind wir höchstens mit zehn Leuten. Sehr erfolgreich ist unser Team also nicht gewesen – was wohl mit daran lag, dass Kern sich an den Gegensprechanlagen vorgestellt hat und nicht ich. Bei den meisten komme es wesentlich vertrauenerweckender an, wenn eine Frau klingelt, erfahre ich. Dennoch machen die Sozialdemokraten regelmäßig die Erfahrung, dass sich – entgegen der Statistik – doch viele die Zeit nehmen, zumindest einen vorsichtigen Blick auf ihre Politiker zu werfen. Mein Klemmbrett hat jedenfalls seine Pflicht erfüllt und auch das Päckchen Türanhänger ist schmaler geworden.

Demokratie kann mitunter zäh sein. Und anstrengend. Besonders von Tür zu Tür.

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