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Hasskriminalität in der Statistik - „Keiner will eine Schnüffelpolizei“

Nach dem Anschlag in Tröglitz unterstützt die Gewerkschaft der Polizei den Vorschlag, Hass gesondert in der Kriminalstatistik auszuweisen. Der Vorsitzende Oliver Malchow spricht im Cicero-Interview auch über die Grenzen der Ermittlungsarbeit und über Polizisten, die von Neonazis angegriffen werden

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Lena Guntenhöner ist freie Journalistin in Berlin.

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Cicero: Herr Malchow, die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat anlässlich der Vorfälle in Tröglitz vorgeschlagen, die Polizeistatistik um die Kategorie Hasskriminalität zu erweitern. Wieso brauchen wir das? Es gibt doch jetzt schon eine Statistik für politische Kriminalität.
Oliver Malchow: Es gibt aber eben auch Hasskriminalität, die gar nicht politisch motiviert ist. Die Motivlage, nämlich Hass, soll jetzt herausgestellt werden. Das wäre sinnvoll. Hass gegenüber Minderheiten, Anders-Denkenden, Anders-Aussehenden hat eine ganz besondere Qualität. Man kann in die polizeiliche Kriminalstatistik ein weiteres Kriterium einbauen, also neben dem Delikt auch einen Vermerk machen, ob es sich um Hasskriminalität handelt. Das ist technisch möglich und würde dann für alle Polizeien der Länder gelten. Auch die Kriterien wären für alle gleich, weil es ja um Vergleichbarkeit geht.

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Das ist ganz schwierig und da wird es auch Erfassungsschwierigkeiten geben. Politische Motive sind Rechts- und Linksextremismus, aber auch religiöse Beweggründe. Diese Bereiche werden nicht in der polizeilichen Kriminalstatistik abgebildet, sondern in der der Staatsschutzdelikte. Homophobie fällt zum Beispiel nicht unter die politisch motivierten Straftaten. Zukünftig wäre das aber als Hasskriminalität zu kennzeichnen. Genauso ist das mit Straftaten von Fußballfans, deren Motiv in der Feindschaft der Vereine liegt.

Welche Auswirkungen könnte eine statistische Erfassung haben?
Wenn wir morgen wüssten, dass ein bestimmter Prozentsatz an Körperverletzungen aufgrund von Hass verübt worden ist, wird sich die Frage stellen, worin sich der eigentlich begründet. Was können wir tun? Wie können Minderheiten geschützt werden? Wie erhöhen wir die Toleranz gegenüber anderem Verhalten? Und dann kann man natürlich präventive Ansätze finden.
Allerdings gibt es auch Probleme: Nicht immer kann das Tatmotiv herausgearbeitet werden, da Beschuldigte bei der Polizei nicht aussagen müssen, warum sie zum Beispiel jemanden geschlagen oder beleidigt haben. Wenn auch Zeugen oder das Opfer nichts Derartiges vernommen haben, dann kann das nicht ermittelt werden. Wir werden weiterhin eine hohe Dunkelziffer haben. Hasskriminalität entsteht im Kopf. Wer keine Äußerungen zur Tat macht, aus dem kann ich auch keinen Hasskriminellen machen.

Mit dem vom Bundesjustizministerium eingebrachten und am 19. März im Bundestag verabschiedeten Gesetzentwurf zur Hasskriminalität soll der Terminus Hasskriminalität auch für das Strafmaß Bedeutung erhalten. Dabei spielen auch heute schon die Motive einer Tat eine wesentliche Rolle bei der Schuldsprechung.
Das Gesetz soll die bisherige Rechtslage unterstreichen. Hass soll strafverschärfend wirken. Eigentlich hat das ein Gericht heute schon zu berücksichtigen. Der Richter muss im Gerichtsverfahren begründen, ob die Motivlage Hass gewesen ist. Hasskriminalität ist dabei keine Deliktsform. Es bleibt eine Körperverletzung, Sachbeschädigung, Bedrohung oder Beleidigung.

Sehen Sie auch Schwierigkeiten bei dieser neuen Etikettierung?
Es gibt die Kritik an der Polizei, bestimmte Aspekte der Tat nicht ausreichend abzubilden. Die Polizei hat aber nur das darzustellen, was sie belegen kann, nicht das, was man sich vorstellen kann. Es reicht nicht, wenn zum Beispiel ein Migrant von einem kurzhaarigen Blonden zusammengeschlagen worden ist, um von Hasskriminalität zu sprechen. Soweit darf es nicht kommen, da die Motivlage hier überhaupt nicht berücksichtigt wäre. Auch in diesem Beispiel kann die Auseinandersetzung mit einer Rempelei oder einer Beleidigung begonnen haben. Da gab es immer wieder den Vorwurf gegen die Polizei: „Ihr guckt da bewusst weg.“ Das stimmt nicht. Nicht jede Fantasie kann ermittlungstechnisch erwiesen werden. Und so hat Polizei auch zu funktionieren. Der Vorwurf wiegt jedoch schwer, weil die Polizei da in einer defensiven Rolle ist. Nur weil einer rechtsradikal ist, ist nicht jede Straftat, die er begeht, politisch motiviert oder Hasskriminalität. Es gibt keinen Straftatbestand „Angriffe auf Flüchtlinge“. Die Identität des Opfers muss für die Ermittler keine Rolle spielen.

Angenommen, der Täter verweigert die Aussage. Könnte man nicht durch Recherchen auf Hinweise für Hasskriminalität stoßen?
Wenn ich herauskriege, in welche Gruppe oder Kameradschaft er gehört, kann man den Fall an die Stelle weiterleiten, die sich mit politischer Gewalt beschäftigt. Aber die Motivlage muss beweissicher herausgearbeitet werden. Vorstellungen und Fantasien sind da unbedeutend. Das gilt übrigens generell für Ermittlungsarbeit und Beweiserhebung – und das macht einen Rechtsstaat aus.

Und die Kapazitäten für diese Recherchen sind da?
Nein, das ist genau das Problem. Wenn das Motiv auf der Hand liegt, dann finden Sie es schnell. Wenn aber keine Aussagen vom Täter oder Zeugen vorliegen, wie viel Arbeit wird dann noch investiert, um eine mögliche Motivlage zu ermitteln? Da gibt es Grenzen, denn die Auftragsbücher der Polizei sind übervoll. Deswegen wird es weiterhin auch nicht entdeckte Hasskriminalität geben. Die Polizei wird nicht künftig bei allen Körperverletzungsdelikten umfangreichste Recherchen vornehmen können. Und oft fängt die Arbeit schon mit aufwendigen Ermittlungen zum Täter an, der auch erstmal gefunden werden muss. Als Polizist würde ich mir manchmal wünschen, dass festgelegt würde, wo die Grenze der Ermittlungsmöglichkeit ist. Und eins muss man auch sagen: Keiner will eine Schnüffelpolizei.

In Tröglitz soll nach dem Brandanschlag weiterhin an der Aufnahme von Flüchtlingen festgehalten werden. Kann deren Sicherheit überhaupt gewährleistet werden?
Schutzmaßnahmen müssen angesichts der dortigen Lage wohl getroffen werden, aus der Ferne ist dies jedoch im Detail nicht zu beantworten. Natürlich sind nach dem Anschlag die Behörden sensibilisiert. Wir warten nicht erst, bis einer schwer verletzt oder gar tot ist.

Wäre ein Polizeischutz bei einer privaten Unterbringung der Flüchtlinge durchführbar?
Das hängt in erster Linie von der Gefährdungslage ab, was vor Ort geprüft werden muss. Bei der Umsetzung könnte es aber schon aus Personalgründen Probleme geben, wenn gleich vor mehreren Häusern Polizisten positioniert werden müssten.

Steht die Polizei verstärkt im Visier von Rechtsextremen?
Rechtsradikale sind auch der Polizei gegenüber nicht besonders zurückhaltend. Denken Sie nur mal an die Ereignisse in Köln, als die sogenannte Hogesa da mit 4.500 Leuten aufmarschiert ist. Von einem friedlichen Umgang mit Polizisten kann da keine Rede sein. Neben dem umgeworfenen Streifenwagen hat es eine Vielzahl verletzter Kolleginnen und Kollegen gegeben, meistens waren es Körperverletzungen.

Herr Malchow, vielen Dank für das Gespräch.

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