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Hamed Abdel-Samad - Faschismus und Islamismus – ein ungleiches Paar?

Der Autor Hamed Abdel-Samad attestierte dem Islam in einem Vortrag „faschistoide Züge“. Seither muss er um sein Leben fürchten. In seinem neuen Buch „Der islamische Faschismus“ vertieft er seine Kritik am Islamismus. Ein Auszug

Autoreninfo

Hamed Abdel-Samad ist ein deutsch-ägyptischer Politikwissenschaftler, Historiker und Autor.

So erreichen Sie Hamed Abdel-Samad:

Der Faschismus ist eine Art »politische Religion«. Seine Anhänger glauben, im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein. Ganz oben in der Hierarchie steht der charismatische unfehlbare Führer, der mit einem heiligen Auftrag ausgestattet ist, um die Nation zu einen und die Feinde zu besiegen. Die faschistische Ideologie vergiftet ihre Anhänger mit Ressentiments und Hass, teilt die Welt in Freund und Feind ein und droht Gegnern mit Vergeltung. Sie richtet sich gegen die Moderne, die Aufklärung, den Marxismus und die Juden und glorifiziert Militarismus und Opferbereitschaft bis in den Tod.

All diese Eigenschaften treffen auch auf den modernen Islamismus zu, der zeitgleich mit dem Faschismus in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts entstanden ist. Sowohl der Faschismus als auch der Islamismus sind aus einem Gefühl der Niederlage und Erniedrigung hevorgegangen. Beide Strömungen eint das Ziel, ein Imperium zu errichten – die Weltherrschaft als quasi verbrieftes Recht –, dem die totale Vernichtung seiner Feinde vorausgeht. Die eine Bewegung glaubt an die Überlegenheit der arischen Rasse, die andere ist überzeugt von der moralischen Überlegenheit der Muslime gegenüber dem ungläubigen Rest der Menschheit.

Als Benito Mussolini in Italien seine faschistische Bewegung gründete, träumte er davon, an die glorreichen Tage des Römischen Reiches anzuknüpfen. Diese nostalgische Sehnsucht teilte auch Hassan Al-Banna, als er die Muslimbruderschaft wenige Jahre nach Mussolinis Aufstieg gründete. Er beschwor ebenfalls die große Vergangenheit. Der tunesisch-französische Schriftsteller Abdel-Wahhab Meddeb sieht ein zentrales Problem der islamischen Welt darin, dass die Muslime sich nicht damit abfinden können, nicht mehr – wie noch im Mittelalter – die führende Macht in der Welt zu sein. Die Diskrepanz zwischen einer stolzen Vergangenheit und der bitteren Realität der Gegenwart sieht er als eine der Hauptquellen für Ressentiments gegen den Westen. Eine Dauerkränkung der islamischen Welt sozusagen, entstanden aus dem subjektiven Gefühl, von der Welt und der Geschichte ungerecht behandelt worden zu sein. Diese Kränkung, gepaart mit einer Überhöhung der Vergangenheit, ist ein wichtiger Motor des islamischen Faschismus.

Eckpfeiler des Ur-Faschismus
 

Der italienische Literat, Semiotiker und Philosoph Umberto Eco listet in seinem Werk »Vier moralische Schriften« vierzehn Merkmale des Ur-Faschismus auf. Eines dieser Merkmale ist der »Kult der Überlieferung«: Es kann keinen Fortschritt des Wissens geben, da die Wahrheit bereits offenbart wurde. Nicht um eigenständiges Denken und Lernen geht es also, schon gar nicht um eine kritische Analyse, sondern um das strikte Befolgen der offenbarten Botschaft.

Dieser »Kult der Überlieferung« ist ein zentraler Aspekt des islamischen Denkens: Es gilt die Unantastbarkeit des Koran, in dem alles Wissen enthalten ist. Der politische Islam fühlt sich mit einem Auftrag Gottes versehen, der, losgelöst von Zeit, Raum und Realität, erfüllt werden muss. Salafisten und Dschihadisten verteufeln eine zeitgemäße Interpretation der Texte, denn die Gebote Gottes dürfe der Mensch nicht umdeuten. Für sie spielt es keine Rolle, dass ein Muslim, der die heiligen Texte seiner Religion wortwörtlich nimmt, es oft schwer hat, sich in der modernen Welt zurechtzufinden, die ambivalent ist und sich ständig ändert. Die Moderne ist für sie per se Ausdruck dessen, wie weit der Mensch kommen kann, wenn er sich vom wahren Glauben entfernt hat.

Für Eco ist die Ablehnung von Moderne und Aufklärung ein weiteres Merkmal des Ur-Faschismus, das verbunden ist mit einem Hang zum Irrationalismus. Ablehnung von Kritik, Angst vor dem Fremden, Sexismus und Machismus sind weitere Kernpunkte. Der Faschismus lebe, so Eco, von der Obsession, »die anderen« hätten sich gegen einen verschworen. Zu diesem Verfolgungswahn gesellt sich ein permanentes Gefühl der Demütigung, des Zu-kurz-gekommen-Seins und ein daraus erwachsender Rachedurst. Hier wird der Kampf zum Selbstzweck. Denn es ist kein Kampf ums Überleben, sondern ein Leben für den Kampf. Eine Vorstellung, die sich eins zu eins im islamischen Dschihad-Prinzip findet. Der Dschihad wird im Islam nicht nur als Mittel der Selbstverteidigung, sondern als Dienst an Gott verstanden, der bis ans Ende aller Tage geleistet werden muss. Und am Ende dieser Tage wird die Weltherrschaft stehen, alle Feinde, alle Ungläubigen werden bekehrt oder ausgelöscht sein.

Eine weitere Parallele kann man mit folgender These zu sammenfassen: Faschismus und Islamismus sind Krankheiten »verspäteter Nationen« oder solcher, die auf eine glorreiche Geschichte zurückblicken, sich nun aber in einem Prozess des Zerfalls befinden. Der Faschismus konnte sich zunächst in Italien durchsetzen, bevor er sich in anderen europäischen Staaten verbreitete. Warum gerade in Italien? Das Land befand sich zu diesem Zeitpunkt in einem unvollendeten Einigungsprozess, die politischen Parteien zerfleischten sich gegenseitig, man fühlte sich durch die Pariser Vorortverträge über den Tisch gezogen, die Wirtschaft lag am Boden, und die Furcht vor einer bolschewistischen Revolution ging um. Zudem war das Land zutiefst katholisch. Das Fundament der mächtigen Kirche fußte unter anderem auf Prinzipien wie Ehre, Hierarchie, Einheit, charismatischer Führung und absoluter Wahrheit. Elemente, die auch Eingang in den Faschismus fanden.

In Ländern, die auf eine lange Tradition als geeinte Nation unter dem Dach eines Staates zurückblicken können, wie etwa England und Frankreich, entstanden im Zuge des erstarkenden Nationalismus Ende des 19. / Anfang des 20. Jahrhunderts zwar ebenfalls nationalistische und faschistische Bewegungen. Auf politischer Ebene allerdings erlangten sie kaum Bedeutung. Der Historiker Ernst Nolte sieht die französische militant-katholische Bewegung »L’Action française«, die im Jahr 1898 gegründet wurde, als Vorbild für die faschistischen Bewegungen, die später in Italien und Deutschland entstanden. Die Bewegung wollte im Sinne der katholischen Kirche die Moderne stoppen und zu einer christlich-konservativen Gesellschaftsordnung zurückkehren. Es gelang ihr jedoch nie, eine Massenbewegung zu werden.

Und mit der Besetzung Frankreichs durch die Wehrmacht verlor sie endgültig ihre Bedeutung.

In Großbritannien gründete Oswald Mosley drei Jahre nach der schweren Weltwirtschaftskrise des Jahres 1929 die »British union of fascists«. Nach eigenen Angaben hatte sie 50 000 Mitglieder, Mosley bereiste Italien, um den Faschismus zu studieren, und ließ später nach dem Vorbild der SS eine schwarze Parteiuniform entwerfen. Nach dem Röhm-Putsch und vor allem dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verlor seine Bewegung ebenfalls massiv an Rückhalt.

Nur in den verspäteten Nationen Italien und Deutschland zündete der Faschismus, seine Anhänger übernahmen das Ruder und verführten die Massen. Man könnte den italienischen Faschismus als Vollendung jenes italienischen Einigungsprozesses sehen, den Mazzini und Garibaldi im 19. Jahrhundert begonnen hatten. Das italienische Wort fascio leitet sich vom lateinischen fasces her, was »Bund« oder »Bündel« bedeutet. Gemeint ist ein Rutenbündel, mit dem zunächst königliche Leibwachen, später Amtsdiener und Staatsbeamte den römischen Imperatoren voranschritten. Dieses Machtsymbol war sowohl ein Zeichen der Einheit als auch ein potenzielles Züchtigungsinstrument zur Bestrafung von Abtrünnigen und Verbrechern. Als Benito Mussolini 1919 seine »Fasci di Combattimento« gründete, beschwor er die Erinnerung an die Weltmachtstellung des Römischen Reiches, das er nun wiederherstellen wolle.

Der deutsche Faschismus entstand ebenfalls in einer Phase der Zerrüttung. Der »Schandvertrag« von Versailles, die Schwäche von Wirtschaft und gemäßigten Parteien – um nur einige Punkte zu nennen – bildeten einen guten Nährboden. Der Nationalsozialismus schien das Versprechen zu sein, der geplatzte imperialistische wilhelminische Traum von einem »Platz an der Sonne« für Deutschland ließe sich wiederbeleben. Die Schmach der Niederlage im Ersten Weltkrieg könne getilgt, die Nation wiedergeboren werden, um dann auf die zurückzuschlagen, die einen in jüngster Vergangenheit gedemütigt hatten. Eine krude Mischung aus Ohnmacht und Allmachtsphantasien, die das perfekte Klima für den Aufstieg der Nationalsozialisten schuf.

Diese Mischung aus Ohnmacht und Allmachtsglaube findet sich auch im Islamismus. Da der Islam erst sechshundert Jahre nach dem Christentum in die Welt kam, kann man ihn als verspätete Religion bezeichnen, die heute das eigene Mittelalter erlebt. Nach islamischer Zeitrechnung befinden wir uns derzeit im Jahr 1435. Die meisten muslimischen Länder können wie Deutschland und Italien auch als verspätete Nationen bezeichnet werden, die sich seit dem Zerfall des Osmanischen Reiches und der späteren Entkolonialisierung nicht wirklich zwischen dem modernen Nationalstaat, der Verhaftung in alten Stammesstrukturen und dem Gottesstaat entscheiden konnten. Die widersprüchliche Mischung aus diesen drei Herrschaftssystemen lässt die meisten islamischen Staaten seit Jahrzehnten in Stillstand verharren. In Staaten mit einer (Militär-)Diktatur oder solchen, in denen man vorsichtig eine Annäherung an die Moderne wagt, formieren sich Islamisten als politische Alternative.

Das 20. Jahrhundert erlebte eine heftige Konterrevolution gegen die Moderne und das Gedankengut der Aufklärung: Sowohl Ernest Gellner als auch Ernst Nolte sehen den Islamismus nach dem Faschismus und dem Bolschewismus als die dritte Widerstandsbewegung gegen die Moderne. Alle drei Bewegungen haben sich zwar der technischen Errungenschaften der Moderne bedient, doch wehrten sie sich vehement gegen zentrale Eckpfeiler der Aufklärung: Vernunft, persönliche Freiheit und Freiheit des Denkens, Individualität, Menschenrechte, die Autonomie des menschlichen Körpers sowie die Meinungs- und Pressefreiheit wurden von allen drei Bewegungen als Gefahr gesehen. Der Übergang von der ländlichen zur urbanen Gesellschaft schien einherzugehen mit dem Zerfall der Gemeinschaft, die ein wichtiges Element totalitärer Systeme ist. Herkunft und/oder eine gemeinsame Ideologie sollten neue Gemeinschaften formen. Ausgangspunkt für diese Bestrebungen ist oft der ländliche Raum, der beinahe mythisch überhöht wird. Ein antiurbaner Diskurs ist bezeichnend für alle drei Bewegungen. Für den Bolschewiken war die Stadt der Ort, an dem das Proletariat ausgebeutet wurde. Für die Nazis war das Berlin der Goldenen Zwanziger Sinnbild für den Niedergang traditioneller Werte. Und für die Islamisten ist die Stadt ein Ort der Sünde und des Sittenverfalls.

Da, wo Faschisten, Kommunisten oder Islamisten die Macht übernahmen, verwandelten sich die Gesellschaften in Freiluftgefängnisse, deren »Insassen« – die Bürger – ständig überwacht wurden. Vielfalt wurde und wird als Gefahr betrachtet, ein gesellschaftlicher Konsens durch Gewalt und Einschüchterung künstlich erzwungen. Es gilt die eine, die einzig wahre Ideologie, Andersdenkende werden als Verräter und Nestbeschmutzer abgestempelt, im schlimmsten Fall liquidiert.

Um Kritik von innen vorzubeugen, schüren totalitäre Systeme Angst, indem sie ein Bedrohungsszenario entwerfen. Das Land oder die Gesellschaft befinde sich in einem Kampf mit einem realen oder imaginären Feind. Die Nazis waren in dieser Hinsicht recht kreativ: Juden und Kommunisten bedrohten die Deutschen von innen, später kamen die Alliierten als Bedrohung von außen dazu. Die Sowjetunion wechselte im Laufe ihrer Geschichte den äußeren Feind: Erst waren es die Nazis, dann der demokratische Westen. Die Dissidenten im kommunistischen Reich waren die inneren Feinde, die angeblich den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedrohten und mit dem Westen kollaborierten.

Für die Islamisten gab und gibt es die immer gleichen drei Feinde: den Westen als fernen Feind, Israel als nahen. Den inneren Feind findet man unter Häretikern, Reformern und säkularen Denkern und Politikern, die allesamt als verlängerter Arm des Westens gelten. Da, wo der islamische Faschismus die Macht übernommen hat, wie im Iran, im Sudan, in Nigeria, Somalia und Gaza, sind brutale Diktaturen entstanden, die ihre Macht bis heute nicht wieder abgegeben haben. Da, wo der Islamismus vom »Regierungssessel« verdrängt wurde, verwandelten sich die Islamisten in Terroristen und überzogen ihre Länder mit Gewalt und Verwüstung wie in Algerien, Afghanistan, Mali und Libyen. Ein Schicksal, das nun auch Ägypten und Syrien droht.

Dennoch gilt der politische Islam einer breiten Bevölkerungsschicht in muslimischen Gesellschaften als Hoffnungsträger. Das liegt unter anderem daran, dass weder die Massen noch die politischen Eliten in diesen Ländern zugeben wollen, dass sie gescheitert sind und nicht imstande waren, eine eigene Alternative zur westlichen Demokratie zu entwerfen. Vor allem in der arabischen Welt verhinderte gekränkter Stolz eine Aufarbeitung der eigenen Geschichte und eine fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Westen. Stattdessen richteten sich viele islamische Staaten häuslich in ihrer Opferrolle ein und trieben eine kollektive Erziehung zum Hass gegen den Westen voran. Von diesem Hass zehren sowohl säkulare Diktaturen als auch deren islamistische Widersacher. Eine frustrierte, orientierungslose und vor allem wütende Generation ist ein Ergebnis dieser Erziehung. Die einen finden ein Ventil für ihren Ärger im Aufstand gegen die herrschende Elite. Die anderen finden Zuflucht und Trost bei den Islamisten.

Die anfangs friedliche Massenbewegung des »arabischen Frühlings« wurde so zu einer Konfrontation zwischen letztlich unversöhnlichen Blöcken, die ich den »inneren Kampf der Kulturen« nenne. Es ist nicht der vielfach beschworene Kampf zwischen dem Westen und der islamischen Welt, sondern ein innerarabischer, ein innerislamischer. Man kann sich die islamische Welt als eine multiple Diktatur vorstellen, als eine »Diktatur-Zwiebel«, die aus mehreren Schichten besteht: Es gibt die Klan-Diktatur, repräsentiert von den Familien Mubarak, Gaddafi, Hussein, Bin Ali oder Assad. Als nächste Schicht kommt die Militärdiktatur. Es folgt die religiöse Diktatur, die die Bildung und Erziehung bestimmt. Die letzte Schicht ist die soziale Diktatur, die mit ihren archaischen Rollenvorstellungen das Leben innerhalb der Familie prägt.

Jede Zwiebelschicht ist eine hohe Mauer, die die islamische Welt von der übrigen Welt isoliert, eine Mauer, die angeblich die eigene Identität schützen soll. Die jungen Menschen, die auf der Straße demonstrieren, schälen eine Schicht der Zwiebel ab – und stoßen sofort auf die nächste. Am Ende wird vielleicht nur der Kern der Zwiebel übrig bleiben: die Religion. Es ist fraglich, ob der Mut der jungen Menschen ausreichen wird, an der Allmachtsstellung der Religion zu rütteln. Wenn ihnen das tatsächlich gelungen ist, werden sie erkennen, dass diese Zwiebel nur aus Angst besteht und dass es hinter all diesen Schichten nichts gibt, das es zu bewahren gilt. Erst dann kann man wirklich von einer Revolution sprechen. Bis dahin werden sich die totalitären Grundzüge des Islam weiter ausprägen und sich auch in Kreisen verbreiten, in denen Religion bislang nicht die Hauptrolle gespielt hat.

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