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Mitgliederentscheid - Die SPD verkauft Klientelpolitik als Basisdemokratie

Die SPD will ihre Mitglieder über eine Große Koalition abstimmen lassen. Nicht einmal eine halbe Millionen Menschen stimmen damit über die politische Zukunft des Landes ab. Ist das noch Basisdemokratie?

Autoreninfo

Timo Stein lebt und schreibt in Berlin. Er war von 2011 bis 2016 Redakteur bei Cicero.

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Herr K. wundert sich. Er versteht nicht, warum 472.469 SPD-Wähler über eine Große Koalition und damit über die politische Zukunft des Landes entscheiden sollen. Herr K. findet Basisdemokratie gut. Aber eine solche Überrepräsentanz einer Minderheit geht selbst dem toleranten Herrn K. zu weit. Aber von Anfang an.

Herr K. ist der prototypische SPD-Wähler. Ein nicht lebendiger und doch im statistischen Mittel existierender Holzschnitt. Er ist Mitte fünfzig, ordentliches Gewerkschaftsmitglied, regelmäßiger Blutspender, hat schütteres Haar, schaut gern das Zweite Deutsche Fernsehen, liest Stern und Vorwärts, spielt samstags Lotto, ist stolzer Besitzer einer Karl-May-Sonderedition und erinnert sich gern an die Zeiten zurück, da der deutsche Wandschrank aus Qualitätseiche noch als etwas galt.

Herr K. ist kein Mitglied der SPD. Auch dieses Mal hat er wieder SPD gewählt, obwohl er sich Steinmeier als Kandidaten gewünscht hätte. Gabriel findet er irgendwie auch gut, hält ihn aber nicht für wählbar. Irgendetwas stört Herrn K. an Gabriel. Was genau, kann er nicht sagen.  

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Herr K. ist kein leidenschaftlicher Befürworter einer Großen Koalition. Er glaubt aber, dass seine SPD jetzt Verantwortung übernehmen sollte. Die demokratischen Parteien müssen miteinander reden, findet er. Dass die SPD Probleme mit der Linken hat, versteht Herr K., die Art und Weise aber, wie seine SPD sich partout der Linken verschließt, hingegen nicht.

Herr K. wundert sich. Vor kurzem hat er seinen Taschenrechner zur Hand genommen: Er rechnet den Stimmenanteil der SPD auf alle Wahlberechtigten runter, inklusive der Nichtwähler also. Gerade einmal 18 Prozent der Wahlberechtigten haben demnach SPD gewählt. Nicht einmal jeder Fünfte! Herr K. fragt sich, ob es richtig ist, dass jetzt eine solche Minderheit wiederum eine noch kleinere Minderheit zu Rate zieht, um bundespolitische Mehrheiten zu generieren.

470.000 SPD-Anhänger. Das ist nicht einmal ein Prozent der Bevölkerung. Auch das hat Herr K. ausgerechnet.

Herr K. versteht nicht so recht, was das mit Basisdemokratie zu tun haben soll. Wenn schon Basis, dann doch bitte richtig, denkt er sich. Dann müsste die SPD doch im Grunde all jene abstimmen lassen, die ihr Kreuzchen bei der SPD gemacht haben. Dass das schwierig, bzw. unmöglich ist, weiß natürlich auch Herr K. Aber die Theorie gefällt ihm.

Man könnte alle SPD-Wähler zur Abstimmung aufrufen und die Schwarzen, Grünen und Sonstigen bitten, der Abstimmung fern zu bleiben. Zur Sicherheit müssten die zur Wahl gerufenen SPD-Anhänger natürlich einer Gesinnungsprüfung unterzogen werden, um ganz sicher zu gehen, dass es sich auch um real existierende Sozialdemokraten handelt. Ein Eingangstest über 150 Jahre SPD-Geschichte würde helfen, die SPD-Spreu vom unsozialen Weizen zu trennen. Herr K. ist amüsiert und wundert sich.

Er wundert sich, weil er hinter der SPD-Basis-Strategie auch einen Trick vermutet: Mitgliedergewinnung. Anhängerbefragung als Mitgliederkonjunkturprogramm sozusagen. Wenn in die SPD eintreten, dann doch jetzt. Einen besseren Zeitpunkt gibt es kaum, da man als Teil eines kleinen privilegierten Zirkels über Wohl und Weh der Republik entscheiden kann. Nicht mit mir, denkt sich Herr K.

In letzter Zeit trifft sich Herr K. öfters mit Frau P., wovon Frau K. natürlich nichts wissen darf. Frau P. ist deutlich jünger als Herr K. und wählt Grün. Frau P. teilt mit Herrn K. nicht nur alle vierzehn Tage ihr Ikea-Bett, sondern noch eine weitere Leidenschaft: Auch sie rechnet gern und wundert sich. Ihre Partei hat das drittbeste Wahlergebnis der Parteigeschichte auf Bundesebene erreicht. Und bricht völlig auseinander. Sie fühlt sich in die Zeit der grünen Anfänge zurückversetzt. Im Vergleich dazu ist die Partei des Herrn K. doch wunderbar aufgestellt, denkt sie.

Und Herr K.? Der wundert sich trotzdem. Besonders über einen Arbeitskollegen. Herr B. Der hatte früher eigentlich links gewählt, immer übers internationale Kapital geschimpft und spricht heute von Südländern, vom Teuro und wettert gegen das alles beherrschende Parteienkartell. Herr B. hat die AfD gewählt.

Herr K. wundert sich, weil Herr B. gern und viel über Meinungsfreiheit spricht, Herr K. aber kürzlich erst gelesen hat, dass es in der AfD nie eine wirklich inhaltliche Debatte gegeben hat. Herr B. sagt dann, dass es jetzt erst einmal auf eine starke Führung ankäme. Auf Einheitlichkeit und Handlungsfähigkeit. Herr K. wundert sich dann und ruft sich die vermeintliche Einheitsfront der Blockparteien ins Gedächtnis, über die Herr B. so viele Vorträge hält.

In solchen Momenten ist Herr K. froh über seine SPD. Über diese diskussionsfreudige Partei der Unentschlossenen. Dass die SPD in der aktuellen Situation aber Basisdemokratie mit Klientelpolitik verwechselt – darüber wundert er sich schon, der Herr K.

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