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(picture alliance) Hoppla. Ein Plan.

Merkel vs. Steinbrück - Gong – Fight – Ende

Als erstes Duell wurde es angekündigt. Steinbrück trifft im Bundestag in der Rolle des designierten Kanzlerkandidaten zum ersten Mal auf die Bundeskanzlerin. Sie spricht über Europa, er über sie

8 Uhr 58 Minuten. Angela Merkel betritt den Saal. In orange. Dunkel-Orange. Ministertraube auf der Regierungsbank. Schwarze Anzugträger umringen die kolorierte Kanzlerin. Ein Farbklecks inmitten von Schwarz und Weiß, inmitten von Rösler, Von der Leyen, de Maizière. Man lacht, man plauscht. Zuspruch wird eingeholt.

Gong. Parlamentarier, Presse, Zuhörer stehen auf. Schweigeminutenandächtig. Bundestagspräsident Norbert Lammert betritt die Arena. Der Ring ist eröffnet. Platznehmen. Erste Runde. Fight.

9:02 Uhr. Merkel tritt an. Das Pult gehört ihr. Applaus aus Reihen der Fraktionen von CDU/CSU und FDP. Kauder klatscht am lautesten. Und vergewissert sich durch nervöses Kopfdrehen, dass die anderen auch klatschen. Warum sollten sie auch nicht?

Merkel spricht wie sie spricht. Wird in den kommenden 40 Minuten eine Regierungserklärung über den Europäischen Rat, wie es offiziell heißt, abgeben, wird sich erklären, wie sie es immer macht. Sie wird an die Wichtigkeit des europäischen Projektes erinnern, ihre Vorhaben deutlich machen. Sie wird dies als Kanzlerin tun. Dem Kandidaten Steinbrück wird sie keine Silbe widmen. Warum auch.

Einstieg Friedensnobelpreis. Guter Einstieg. Erst mal alle mitnehmen. Dieser Preis sei weit mehr als nur eine Würdigung. Er sei als Mahnung zu verstehen, als Ansporn und Verpflichtung zugleich. Der Europaanzug sitzt. Applaus von CDU/CSU und FDP. Staatsmännisch bzw. staatsweibisch steht sie am Pult, ruhig, erfahren, in die Richtung der eigenen Fraktion sprechend. Keine Haspler, die Stimme dort heben, wo sie gehoben werden will. „Der Euro ist weit mehr als eine Währung“, ein Satz, der ihr wichtig ist und den sie entsprechend authentisch ins Plenum und die Republik sendet. Sie hebt die Hand. Kameras drücken ab. Dumpfes Knattern auf der Pressetribüne. Rührend.

Der Europa-Grundsatz-Rede folgt Konkretes. Griechenland. Die Lage dort sei alles andere als einfach. Wussten wir bereits. Sie aber sagt es so, als sei es in den Köpfen vieler noch nicht angekommen. Ihre Sprache bleibt klar, hauptsatzschwanger. Vorsichtig um Kenntlichkeit bemüht. Die Merkel, die immer um Haaresbreite am Eigentlichen vorbei zielt, so dass die Interpretation des Gesagten, das tatsächlich Gesagte relativiert, fehlt heute. Marktkonforme Demokratie. Das soll ihr heute nicht passieren. Und: Es wird ihr nicht passieren.

9 Uhr 8 Minuten. Griechenland polarisiert. Ein zaghafter Zwischenruf aus Reihen der Linken. Na endlich! Jetzt sind alle wach. Applaus von rechts soll Merkel wieder in die Spur bringen. Geschafft. Sie bleibt versöhnlich. Die Menschen in Griechenland hätten ernsthaften Willen zur Veränderung gezeigt. Und verhalten: Sie wolle dem Bericht der Troika nicht vorgreifen. Bekannte Sätze. Und dann doch ein Bekenntnis: „Ich wünsche mir, das Griechenland im Euroland bleibt.“ Bums. Treffer. Applaus in den eigenen Reihen. Objektive der Kameras suchen Dobrindt und Söder.

Genug versöhnt. Die eigenen Leute mobilisieren. Wenn nichts hilf, hilft, klar: Wachstum. CDU/CSU und FDP hellwach. Wachstum entstehe aus unternehmerischer Tätigkeit, sagt sie. Merkels linke Hand galoppiert stakkatohaft, die Stimme drückt nach: unter-nehmer-rischer-Tätig-keit. Jetzt ist sie drin. Konzentriert. Die eigenen Reihen sind geschlossen. Im linken Lager steigt der Puls.

„Im Kern ist die europäische Staatsschuldenkrise eine Vertrauenskrise.“ Hört, hört! Der linke Kamm schwillt ab.

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Kurzer Anlauf. Und plötzlich. Ein Programm. Hoppla. Ein Plan. Aufgewacht. Eine Vision? Von Merkel? Helmut Schmidt würde sie zum Arzt schicken. Weit gefehlt. Sie nennt ihre vier wichtigsten Säulen für das weitere Gelingen der Europäischen Union:

1. Mehr Bankenaufsicht, wobei die EZB eine zentrale Rolle spielen soll.

2. Mehr gemeinsame Fiskalpolitik mit „echten Durchgriffsrechten“. Der Nationalstaat wackelt. Oje, CSU.

3. Mehr gemeinsame Wirtschaftspolitik. Ein Verweis auf den einstigen Kommissionspräsidenten und Europavisionär Jaques Delors soll helfen.

4. Mehr demokratische Legitimation und Kontrolle.

Merkel erfindet sich gerade neu. Ideen, Leidenschaft mit Plan. 9 Uhr 43 Minuten. Applaus. Platznehmen auf der Regierungsbank. Glückwünsche.

9 Uhr 44 Minuten. Applaus ebbt ab. Lammert spricht, gibt Ring für den Herausforderer frei. Zum Rednerpult begleitet Steinbrück ein Zwischenruf aus Reihen der Union. „Die Rede ist kostenlos, Herr Steinbrück.“ Abgeordnetenhumor. Spontan geht anders. Originalität auch. Die Kameras feuern. Steinbrück wird von links mit Applaus überschüttet. Leiser, besonnener Einstieg. Redet er schon? Ist das Steinbrück? Ja, Steinbrück 2.0, im Ich-will-Kanzler-Modus. Vorsichtig doziert er über das, was Europa ausmacht. Gängige Vokabeln folgen: „Schreckliche Erfahrungen, aus der Geschichte lernen, Frieden, Montanunion, EWG, Wiedervereinigung“. Rhetorische Sparflamme.

Dann Abteilung Attacke. „Diese Rede, Frau Bundeskanzlerin, hätten Sie schon vor zwei Jahren halten müssen“. Steinbrück tut sich schwer. Schwer mit Kritik an Merkel. Er hebt beide Arme. Die Fotografen drücken ab. Klack. Wir dürfen nicht zulassen, dass Einzelne aus dem Haus der EU herausgebrochen werden.“ Merkel habe das Mobbing an Griechenland zugelassen. Ein Doppelspiel. In Brüssel Europäerin. Zuhause heißt es: Dobrindt, Söder, Rösler. Steinbrück hat jetzt Betriebstemperatur. Retour auf den hinteren Plätzen: „Kavallerie!“ hämt es aus der CDU. Die SPD überklatscht es.

Die FDP will auch mitspielen. „Mit dem Thema haben sie ja ordentlich abkassiert“ ruft ein Abgeordneter spöttisch. Steinbrück nimmt den Ball auf. Alle wissen, er wird kontern und gewinnen. Dieses Spiel beherrscht er. Steinbrück trocken: „Witziger Einwand, damit habe ich gar nicht gerechnet.“ 1:0 für Steinbrück. Die Kugel rollt ins leere Tor. Mund abwischen und weiter mit Merkel. „Einseitige Krisenanalyse, einseitige Therapie“, poltert er, die Stabilitätsunion sei eine Fata Morgana, eine Luftspiegelung der Scheinstabilität. Bums. Merkel wippt. Nimmt zur Kenntnis. Schaukelt. Im Zweifel beruhigt Rösler von rechts. Raunen. Kavallerie schreit es zum dritten Mal. Selten sei Deutschland in Europa so isoliert gewesen wie heute. Stimmung in allen Fraktionen.

Steinbrücks Ritt geht weiter. Innenpolitik. Betreuungsgeld, Steuersenkungen, keinen Mindestlohn. Arme hoch, Stimme runter. Klack, klack, klack. 10 Uhr 11 Minuten. Schlussappell. Europa müsse sich neu erklären. Ein letzter Satz Richtung Merkel. Kopf hoch. Abgang. Applaus.

Lammert bittet den nächsten Redner ans Pult. Es ist Brüderle.

Der beginnt mit: „Bundeskanzler ist keine Nebentätigkeit.“ Ein echter Brüderle. Was bleibt ist ein beklemmendes Schmunzeln und die Gewissheit. Besser wird’s nicht mehr. 10 Uhr 15 Minuten. Ende. Aus.

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