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NPD - Gibt es einen neuen Verbotsantrag?

2003 scheiterte der Verbotsantrag gegen die rechtsextreme NPD. Jetzt haben die Innenminister wieder 1000 Seiten Belege gesammelt. Welche Erfolgschancen kann ein zweiter Anlauf haben?

Es könnte sich noch in diesem Jahr entscheiden, ob die NPD in die Geschichte der Bundesrepublik eingeht – als dritte Partei, die verboten wird. Zuvor traf es in den 50er Jahren die rechtsextreme Sozialistische Reichspartei und die KPD. Im Dezember will die Innenministerkonferenz abschließend beraten, ob sie den Ministerpräsidenten einen zweiten Anlauf zu einem Verfahren am Bundesverfassungsgericht empfiehlt. Wenn ja, wird sich zeigen, ob Bundesregierung und Bundestag mitziehen. Wie beim ersten Versuch, der allerdings 2003 an den Problemen mit V-Leuten in der Führung der NPD scheiterte. Ob jetzt ein Erfolg möglich wäre, ist offen. Doch eine erste Tendenz ist zu erkennen, wenn man vergleicht, was der rechtsextremen Partei damals vorgehalten wurde – und was heute.

Was lag und liegt gegen die NPD vor?

Die Innenminister von Ländern und Bund haben von den Behörden für Verfassungsschutz eine „Materialsammlung für ein mögliches NPD-Verbotsverfahren“ erarbeiten lassen. Sie liegt im Umfang von mehr als 1000 Seiten seit dem Spätsommer vor, inzwischen gibt es auch eine komprimierte Fassung. Zum Vergleich: Der Verbotsantrag, den der Bundestag im Jahr 2001 beim Bundesverfassungsgericht einreichte, hatte 292 Seiten.

Worin unterscheidet sich die Materialsammlung vom alten Verbotsantrag?

Die Materialsammlung aus diesem Jahr, in die der Tagesspiegel Einblick nehmen konnte, enthält angeblich keine Aussagen von V-Leuten. Zumindest keine von Spitzeln aus den Vorständen der NPD. So sagen es die Innenministerien. In der Materialsammlung fällt zumindest auf, dass kein Beleg für die Verfassungswidrigkeit der NPD auf ein „Behördenzeugnis“ zurückgeführt wird. Im Verbotsantrag von 2001 hingegen tauchte der Begriff mehrmals auf – demnach wurden die so markierten Beweise gegen die NPD offenbar durch den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel gewonnen, also über die Befragung eines V-Mannes oder die Überwachung von Telefonaten. Die aktuelle Materialsammlung, so scheint es, setzt sich nur aus offen einsehbaren Aktivitäten der NPD oder einzelner Mitglieder zusammen. Und die jetzt erwähnten Spitzenfunktionäre, bis hin zu Parteichef Holger Apfel, wurden offenbar nicht als V-Leute geführt, sonst stünden sie vermutlich nicht im Papier. Im Verbotsantrag hingegen fanden sich viele Äußerungen von drei führenden NPD-Leuten, die der Verfassungsschutz für Spitzelei bezahlt hatte.

Inhaltlich fällt auf, dass das neue Dokument stärker auf die Sympathie von Parteimitgliedern für das Nazi-Regime eingeht. Wurde im Inhaltsverzeichnis des 2001 gestellten Verbotsantrags schlicht die „Ehrung von Repräsentanten des Nationalsozialismus“ genannt, ist jetzt von positiven Äußerungen über das ganze braune Biotop die Rede, von Adolf Hitler und diversen NS-Gliederungen bis hin zu Nazis mit niedrigem Rang. Erwähnt ist unter anderem ein glorifizierender Text des NPD-Organs „Deutsche Stimme“ über den SA-Mann Horst Wessel, den ein Kommunist 1930 in Berlin erschoss. Für die „Deutsche Stimme“ ein „Märtyrertod“.

Ein weiterer Unterschied zwischen Verbotsantrag und Materialsammlung ist ein makaberes Resultat des NSU-Desasters. Im Jahr 2001 wussten die Sicherheitsbehörden noch nicht, dass eine Terrorgruppe namens „Nationalsozialistischer Untergrund“ aktiv war. Nun jedoch wird in der Materialsammlung auf das Trio eingegangen, allerdings nur kurz.

Seite 2: Wie erfolgversprechend wäre ein neuer Verbotsantrag?

Welche Parallelen gibt es zwischen den beiden Dokumenten?

Aufgelistet werden heute wie damals strafrechtliche Ermittlungen gegen Mitglieder der NPD. Ein Name ist sogar in beiden Papieren präsent: Ralf Wohlleben, der als mutmaßlicher Unterstützer des NSU in Untersuchungshaft sitzt, wurde auch 2001 genannt. Das Amtsgericht Jena hatte den Neonazi zu 1300 D-Mark Geldstrafe verurteilt, weil er 1996 „Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ verwandt hatte. Womöglich hatte sich der Bundestag 2001 aber teilweise geirrt. Es ist heute unklar, ob Wohlleben schon 1996 Parteifunktionär oder überhaupt Mitglied war.

Sowohl im alten Verbotsantrag wie in der Materialsammlung sind, allerdings wenige, Gewalttaten erwähnt, die NPD-Leuten zuzurechnen sind. Der Bundestag führte ein Urteil gegen einen Parteifunktionär auf, der sich im Jahr 2000 am Angriff auf eine Gedenkveranstaltung für die Opfer eines Konzentrationslagers in Wuppertal beteiligt hatte. In der Materialsammlung nun wird geschildert, wie die rechtsextreme „Terror-Crew-Muldental“ im Oktober 2009 in Brandis (Sachsen) Spieler und Anhänger des Vereins „Roter Stern Leipzig“ überfiel. Drei Täter waren laut Papier Mitglieder der NPD, was diese allerdings bestreitet.

Wie erfolgversprechend wäre ein neuer Verbotsantrag?

Ohne das V-Mann-Problem hätten 2003 womöglich die Anträge des Bundestags, des Bundesrats und der Bundesregierung für ein Verbot der NPD gereicht. Die neue Materialsammlung wirkt sogar noch etwas härter. Vergangenen Donnerstag meinte die Bund-Länder-Arbeitsgruppe von Verwaltungsjuristen aus den Innenministerien bei einem Treffen in Berlin, die rechtlichen und politischen Bedenken gegen einen neuen Anlauf seien „nicht unüberwindbar“. Allerdings legten sich die Experten nicht auf ein Votum für ein weiteres Verbotsverfahren fest. Der Mangel an Sicherheit ist schon in der Materialsammlung zu spüren. Das betrifft vor allem die Rolle des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, an den sich die NPD vermutlich im Falle eines Verbots wenden würde. Es gibt bislang keinen Präzedenzfall bezüglich der erzwungenen Auflösung einer rechtsextremen Partei. Offen bleibt auch, ob die Richter in Straßburg das Verbot einer Minipartei – die NPD schafft bei Wahlen in Westdeutschland kaum noch ein Prozent – als verhältnismäßig werten würden.

Im Antrag des Bundestags wurde einst auch über die Verhältnismäßigkeit eines Verbots diskutiert, aber ohne den Gerichtshof zu erwähnen. Das Fazit lautete, für eine „nachgeschaltete Prüfung der Verhältnismäßigkeit“ fehle die Notwendigkeit. Das sieht heute anders aus.

Unabhängig davon, mit welcher Intensität die Materialsammlung die NPD als rechtsextrem, rassistisch und antisemitisch beschreibt und ihr eine „aggressiv-kämpferische“ Haltung gegen die Demokratie bescheinigt, gibt es Widerstände gegen ein Verbot in der Politik. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) befürchtet, bei einem Verfahren müssten die Klarnamen von V-Leuten genannt werden. Womöglich wagen die Länderchefs dann einen Alleingang. Bundestag und Bundesregierung stünden dann abseits.

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