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(picture alliance) Seit langem die selben Gesichter: Künast, Trittin, Özdemir und Roth

Bündnis 90/Die Grünen - Genügsamkeit auf dem Beifahrersitz

Nach den Wahlen in Nordrheinwestfalen und Schleswig-Holstein richten sich die Grünen in rot-grüner Lagerbehaglichkeit ein. Selbstgenügsam, kampfesmüde, ideenarm setzen sie auf schwarz-gelbe Agonie – und lassen den Schwung ihres Popularitätshochs ungenutzt austrudeln

Das sind die Politiker-Floskeln, die Wahlabende so schwer erträglich machen. Man möchte sie einfach nie, nie mehr hören diese  Floskeln, die aus jeder Partei Gewinner machen und selbst die mit den krachenden Niederlagen nicht zu Verlierern. Angela Merkel hat das nach der NRW-Wahl vorgeführt, als sie das Debakel ihrer CDU einfach an Rhein und Ruhr abtropfen ließ, weit weg von Berlin. Aber auch die Grünen beherrschen längst die Technik, das eigene Wahlergebnis wolkig zu reden.

Nein, bewahre, die Grünen haben am Wochenende keine Niederlage erlitten. Sie haben in Düsseldorf die Regierungsbeteiligung wieder gewonnen. Aber sie haben Stimmen verloren. Minus 0,8 Prozent - das klingt nicht viel angesichts erschwerter Bedingungen durch den neuen Piraten-Mitkonkurrenten. Die Stelle hinter dem Komma ist aber auch keine vernachlässigenswerte Kleinigkeit. 2013, bei den Wahlen im Bund, wird sie womöglich alles entscheidend sein. Die Lässigkeit mit der die Grünen die leichten Verluste an sich abperlen lassen, ist deshalb kein Zeichen von Souveränität. Sie deutet eher darauf hin, dass die Grünen sich in der Rolle kleinen Kellner an der Seite der SPD einrichten -mit dem hohen Risiko, dass das rot-grüne Restaurant auch 2013 mal wieder nicht eröffnet wird.

Politische Bescheidenheit ist sympathisch. Aber es ist eine irritierende Selbstgenügsamkeit, die da bei den Grünen Einzug gehalten hat. Vom einstigen Anspruch, Motor einer ökologischen und bürgerrechtlichen Revolutionierung der Republik zu sein, ist bei ihrer momentanen Performance nicht viel zu sehen. Stattdessen rutscht die Partei auf den Beifahrersitz, um von dort aus die erhoffte Agonie von Schwarz-Gelb herbei zu prophezeien.

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Dabei kann man sich niemand ernsthaft darüber wundern, dass die Grünen ihre Spitzenwerte vom vorigen Jahr nicht halten konnten. Die politische Großwetterlage vor zwölf Monaten, als die Ökos schon als neues Volksparteichen gefeiert  wurden und die Sozialdemokraten zeitweise überholten, wird sich kaum wiederholen. Die grüne Blase musste zwangsläufig platzen und die Partei  wieder auf Realmaß gesundschrumpfen. Diese Entwicklung kann man den Grünen nicht anlasten.  Ihr Problem  ist eher, dass sie nun nicht die Kraft haben, ihren Abschwung aus schwindelnden Höhen zu nutzen. Fast wirken sie wie Wanderer, die mühevoll den Gipfel erklommen und sich mit einer kräftigen Brotzeit belohnt haben.  Nun hängt der Magen schwer, der Kopf wird leer, und die müden Beine schaffen den nächsten Anstieg nicht mehr.

Die grüne Konditionsschwäche ist dabei eine doppelte: programmatisch und personell. Inhaltlich hat sich die Partei seit ihrer letzten größeren Programmdiskussion in den Ruhemodus begeben. Klimaschutz, Agrarwende, Wachstumskrise, Konsumkritik, Europagedanke, ökologische Wirtschaftswende, globale Gerechtigkeit – alles ureigene Themen der Grünen und bei der letzten Bundestagswahl noch vehement von ihnen gepuscht-  nun dümpeln sie lustlos vor sich hin. Bundesweite Kongresse, Debatten, Streitgespräche darüber organisieren heute – wenn überhaupt -eher andere. Auch neue Politikakzente konnten die Grünen in letzter Zeit kaum setzen. Was besonders auffällt, weil sie bis heute  keine erkennbare Strategie zum Kontern des Piratenangriffs  entwickeln konnten. Da rächt es sich, dass nach dem Weggang des oft genug belächelten Parteichefs Rainer Bütikofer in der grünen Parteizentrale kein politisch- konzeptioneller Kopf nachgewachsen ist.

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Damit wären wir bei Teil zwei des grünen Dilemmas: dem Spitzenpersonal aus dem seit Jahren immer gleichen Viergestirn: Künast-Trittin-Özdemir-Roth. Personelle Kontinuität kann durchaus effektiv sein. Aber die vier Fischer-Erben scheinen wie ein dichter Ölfilm über der personellen Frischzellenkur der Partei zu liegen. Wobei das Geburtsdatum der grünen Spitzenleute nicht das Problem ist. Ende 40, Mitte  50 - das ist nicht nur in der Politik kein Alter. Das Problem ist, dass die Spitzen-Grünen mittlerweile alt wirken- abgekämpft, leergelaufen, routiniert bis zur Langeweile. Renate Künast, einst die beliebteste Grüne, wirkt auch Monate nach ihrer Wahlschlappe in Berlin so angeschlagen, dass man ihrem Missmut und ihrer Erschöpfung am liebsten das weiße Handtuch entgegenwerfen würde: los Mädel, ne Weile raus aus dem Ring! Cem Özdemir, der jüngste des Spitzenquartetts, agiert  mit gebremstem Schaum, dass man ihn kaum wahrnimmt.

Claudia Roth läuft sich derweil für den Job als Spitzenkandidatin warm und die Zuhörerschaft verdreht die Augen: immer die gleiche, schrille Platte mit Sprung. Und wer Jürgen Trittin bei Jauchs Nachwahlbetrachtung im Talk-Show-Sessel lümmeln sieht, möchte ihn schütteln. Einerseits ganz Staatsmann- das hat er in den letzten Jahren wirklich gelernt - andererseits feixender Besserwisser, der seine Kontrahenten von oben herab abkanzelt und sich nicht einmal die Mühe macht, den Eindruck zu erwecken: hier kämpft einer für eine Überzeugung. Das Image von etablierter Bräsigkeit, das den Grünen spätestens seit dem Auftauchen der Piraten anhängt, lässt sich so kaum abschütteln.

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Sympathieträger oder gar charismatische Führungspersönlichkeiten sehen jedenfalls anders aus als das Personalangebot der Bundesgrünen. Gewiss, die können sich jetzt nicht in Windeseile lauter Kretschmanns backen. Aber in Zeiten, wo uns Angela Merkel und Hannelore Kraft gerade vorführen, wie sehr Personen die Wahlentscheidungen bestimmen, ist das kein gutes Omen für die Grünen. Dabei kommt es 2013 besonders auf sie an. Denn bestärkt durch die jüngsten Landtagswahlergebnisse betonieren die Grünen sich immer starrer in einem rot-grünen Lager ein. Das bedeutet jedoch auch: in dieser Konstellation der selbstgewählten Abhängigkeit müssen sie die Bringer sein. Denn egal für welchen Kanzlerkandidaten sich die Sozialdemokraten entscheiden - an Angela Merkel dürfte kaum einer der Kerle vorbeiziehen können. Die Grünen könnten also zu Sklaven ihrer eigenen Strategie werden: wenn sie mit der SPD an die Regierung wollen, müssen sie die nötigen Stimmen selbst beschaffen.

Dazu müssen sich die Grünen nicht neu erfinden oder  jung spritzen lassen. Aber sie  müssten schleunigst den Motor anschmeißen und mit frischen Ideen, Fantasie, Kreativität und Personal zeigen, dass sie für Politik noch brennen. Auf dem Beifahrersitz die Füße hoch legen reicht da nicht aus.

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