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(picture alliance) Die Selektion durch die PID steht nur den einzelnen Frauen zu, sagt Maria Beckermann.

PID - "Genetische Selektion ist ein Trugschluss!"

Maria Beckermann ist Frauenärztin, Psychotherapeutin und Vorsitzende des Arbeitskreises Frauengesundheit. Im Interview mit CICERO ONLINE spricht sie über ihr zwiespältiges Verhältnis zur PID, über leidende Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch und über den genetischen Katalog einer Gesellschaft.

Frau Beckermann, am Donnerstag stimmt der Bundestag über drei Anträge zum Umgang mit der Präimplantationsdiagnostik ab. Wie stehen Sie zu den Vorschlägen der Abgeordneten?

Der Arbeitskreis Frauengesundheit, dem ich vorstehe, hat eine Stellungnahme des Netzwerks gegen Selektion unterschrieben, mit dem wir uns gegen die PID ausgesprochen haben. Dies war aber vor allem eine strategische Unterschrift. Im AKF gibt es keine einheitliche Haltung zu diesem Thema. Viele AKF-Frauen sind schon dafür, dass Frauen die PID nutzen können, wenn in ihrer Familie eindeutige Erbkrankheiten vorkommen oder schon ein Kind mit dieser Krankheit geboren wurde, zum Beispiel wenn bei dominanten Erbkrankheiten eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit vorliegt, dass das Kind sie erbt.

Was kommt bei einer PID auf die Frau zu?

Die Durchführung einer PID sieht auf den ersten Blick so leicht aus. Viele stellen es sich ganz einfach vor, dass ein befruchtetes Ei untersucht wird, bevor es sich in der Gebärmutter einnistet, und dass einer Frau dadurch ein Schwangerschaftsabbruch erspart bleibt, wenn sie sich ein Leben mit einem schwer kranken Kind nicht vorstellen kann.   Bislang haben diese Frauen die Möglichkeit, den Embryo in der früheren Schwangerschaft, etwa in der 12. Woche, mit Hilfe der Chorionzotten-Biopsie untersuchen zu lassen. Dann können sie sich entscheiden, die Schwangerschaft trotzdem auszutragen oder einen Abbruch machen. Die Frauen sollten aber wissen: Wenn sie sich für eine PID entscheiden, um einen Abbruch zu vermeiden, müssen sie zuvor auf jeden Fall eine künstliche Befruchtung, eine In-Vitro-Fertilisation machen. Diese IVF hat aber auch Risiken – medizinisch gesehen vielleicht genauso viele wie ein Schwangerschaftsabbruch.

Warum?

Es wird eine Bauchspiegelung gemacht, also ein operativer Eingriff. Bei der nötigen hormonellen Behandlung werden die Eierstöcke stark stimuliert. Beides ist mit Risiken für die Gesundheit der Frau verbunden. Außerdem haben Kinder, die durch IVF entstehen, höhere Risiken, weil es häufiger Frühgeburten oder Mehrlinge sind.

Wie oft kommt es vor, dass Frauen eine PID in Anspruch nehmen möchten?

Wenn wir nur von den wirklich schweren Erbkrankheiten ausgehen, gibt es Schätzungen von etwa 200 Familien in Deutschland pro Jahr. Man könnte die Einführung der PID also beschränken, indem man ein einziges Zentrum in Deutschland einrichtet, in dem diese 200 Frauen pro Jahr bedient werden könnten. Für dieses Zentrum könnten dann bestimmte Auflagen gemacht werden in Bezug auf die Indikation und ethische Kontrollen. Dann wäre das Risiko nicht so groß, dass die Regelungen immer weiter ausgedehnt würden.

Wird dieser Vorschlag von der Politik diskutiert?

Ich glaube, dass daran niemand ein Interesse hat. PID-Befürworter haben ja auch ein eigenes Interesse.  Reproduktionsmediziner beispielsweise haben ständig mit Frauen zu tun, die an ihrer Kinderlosigkeit oder an den Schwierigkeiten, ein gesundes Kind zu bekommen, leiden. Als Ärzte fühlen sie sich dafür verantwortlich und möchten ihnen helfen. Ich glaube nicht, dass sie davon begeistert sind, wenn sie die PID nicht selbst durchführen dürfen, sondern an ein Zentrum abgeben sollen. Vor allem aber steckt dahinter ein wahnsinniger Markt. Auch bei den Politikern, die im Gesundsressort tätig sind, ist das ein Grund. Alle Beteiligten wollen, dass der Gesundheitsmarkt wächst. Das ist ein starkes Argument für eine Methode und gegen eine Begrenzung.

Welche Grenzen müssten denn gewahrt werden, wenn die PID erlaubt würde?

Diese Grenzen zu ziehen, ist extrem schwierig. Will man es einer Frau genehmigen, ihr Kind auf eine genetische Veranlagung zum Brustkrebs untersuchen zu lassen? Oder auf Erbkrankheiten, die erst im höheren Alter auftreten wie der sogenannte Veitstanz, die Chorea Huntington? Ein genetischer Katalog, der bestimmte Fälle erlauben würde und andere nicht, wäre ein Signal der Gesellschaft, das aussagt: Diese Menschen wollen wir und diese Menschen wollen wir nicht. Ich bin der Meinung, dass einer Gesellschaft diese Form der Selektion nicht zusteht, wohl aber einem Individuum, das von der Entscheidung direkt betroffen ist, nämlich der schwangeren Frau selbst.

Die Gefahr der Selektion ist das stärkste Argument der PID- Gegner.

Genau. Dabei sind Patientinnen, in deren Familien Erbkrankheiten wirklich vorgekommen und bekannt sind, das geringste Problem, weil das wirklich sehr selten ist. Wie aber sollen wir verfahren bei all den Frauen, die wegen Unfruchtbarkeit eine künstliche Befruchtung machen lassen? Dürfen sie die Embryonen zum Beispiel auf eine Chromosomenveränderung testen lassen, auch wenn keine derartige Veränderung in der Familie vorkommt und sie kein erhöhtes Risiko dafür haben?

Damit würde ein Screening eingeführt, also das „Durchsieben“ einer Bevölkerungsgruppe ohne erhöhtes Risiko für das Merkmal Chromosomenveränderung. Dann könnten wir genauso gut sagen, wir untersuchen nicht nur auf das Down-Syndrom, sondern gleichzeitig auf die fünf häufigsten Erbkrankheiten, die in der Bundesrepublik vorkommen, wie Mukoviszidose oder Phenylketonurie. Und so könnte es weitergehen. Im Internet gibt es mittlerweile Test-Sets aus den USA, nach denen nicht nur fünf sondern hundert oder tausend Erbkrankheiten getestet werden können. Das alles ist also keine unrealistische Zukunftsmusik.

Würden denn dann nur noch gesunde Kinder zur Welt kommen?

Eben nicht. Zum einen machen Erbkrankheiten und angeborene Behinderungen den geringsten Teil der Erkrankungen von Neugeborenen aus. Viel häufiger sind Schädigungen und Probleme durch Komplikationen in der Schwangerschaft und unter der Geburt, z.B. durch Unreife oder durch Infektionen. Aber auch wenn wir das außer Acht lassen, ist das Ganze ein Trugschluss! Denn es ist nicht so, dass alle Erbkrankheiten, die man feststellen würde, auch zu einer Erkrankung geführt hätten. Alle Menschen, auch die Gesunden, tragen bestimmmte krankhafte Erbanlagen in sich. Die kommen häufig aber nicht zum Ausbruch. Wenn wir also mit unserem Test-Set ein befruchtetes Ei aussortieren, begeben wir uns auf ganz dünnes Eis. Wir wissen nicht, was wir aussortieren, geschweige denn, was wir übrig lassen. Und ob das, was wir übrig lassen, überhaupt besser ist als das, was wir aussortieren.

Weil die 1001. Krankheit, die nicht getestet wurde, durchschlagen könnte?

Zum Beispiel. Vor allem aber ist diese Vorstellung, man könnte alles was „krank“ ist, aussortieren, bereits krank. Man sollte mit genetischem Screening sehr vorsichtig sein und das auf keinen Fall erlauben ohne eine ganz solide Datenbasis. Das genetische Screening ist ein Experiment an der Menschheit. Das macht noch einmal den Unterschied deutlich zwischen dem Screening – wir suchen nach etwas, wissen aber nicht genau, ob das, was wir finden auch das ist, wonach wir gesucht haben – und der konkreten Erbkrankheit, die in einer Familie schon mal vorgekommen ist, deren Ausprägungsgrad damit einigermaßen einschätzbar ist und deren Erbgang bekannt ist.

Wie schätzen Sie die Debatte um die Präimplantationsdiagnostik in der deutschen Gesellschaft ein?

Ich halte die Diskussion um die PID für sehr wichtig, auch unabhängig vom Ergebnis. Sie stärkt das Bewusstsein in der Gesellschaft, dass wir als Gemeinschaft unsere Werte definieren und aushandeln können und müssen. Wir schaffen damit eine Umgebung mit mehr Verständnis und Toleranz für die schwierige Situation, in der Frauen sich befinden, die derartige Entscheidungen für sich individuell treffen müssen. Die Entscheidung kann ihnen ohnehin niemand abnehmen, aber dass sie sich respektiert und angenommen fühlen, wenn sie sich nach bestem Wissen und Gewissen entschieden haben, das könnte ihnen helfen und sie erleichtern.

Frau Beckermann, vielen Dank für das Gespräch.

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