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Geldpolitik - Europa ist zu wichtig, um es der EZB zu überlassen

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat entschieden, 60 Milliarden Euro in Staatsanleihen zu stecken. Das ist gut, aber nur ein erster Schritt: Denn die Regierungen der Euroländer und die EU-Institutionen dürfen die Entscheidungen nicht länger Banken und Gerichten überlassen

Autoreninfo

Philipp Daum ist Schüler an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München. Vorher hat er Politik, Geschichte und Jura in München und Santiago de Compostela studiert. Er schreibt für Cicero Online.

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Mario Draghi also. Schon wieder. Mario Draghi hat gehandelt, die Geldschleusen geöffnet und die Märkte atmen auf. Es ist ein wiederkehrendes Muster in der Eurokrise: Im Juli 2012, auf dem Höhepunkt der Krise, hatte der EZB-Präsident gesagt, er werde „alles Notwendige tun, um den Euro zu erhalten“. Diese Worte hatten eine magische Wirkung: Die Renditen für zehnjährige Staatsanleihen sanken, die Krisenländer konnten sich wieder frisches Geld beschaffen. Der Euro war gerettet.

Dass Draghi den Euro bewahrt, ist in Ordnung – das ist ja auch seine Aufgabe. Aber die EZB rettet zurzeit nicht nur den Euro, sondern Europa gleich mit, sie kümmert sich um die Schulden der Eurostaaten und sie will für Ausgleich zwischen Süd- und Nordländern sorgen. Eigentlich ist das nicht ihre Aufgabe. Eigentlich soll sie sich nur um Preisstabilität kümmern.

Eigentlich. Dass aber immer Mario Draghi die großen Entscheidungen trifft, liegt daran, dass es sonst keiner tut.

Reagieren statt regieren
 

In den letzten fünf Jahren, seit Beginn der Eurokrise, haben politische Institutionen nicht regiert. Sie haben reagiert. Das, was die Bürger Europas seitdem beobachten können, ist ein wiederkehrendes Schema von Reiz und Reaktion. Märkte in Panik? EU-Gipfel. Standard & Poor's stuft die Bonität Frankreichs herab? Krisensitzung der Regierungschefs. In Griechenland droht ein Referendum? Zentraleuropa verfällt in Empörung. Wenn sich Politiker und Journalisten vor einem Referendum fürchten, steht es nicht gut um die Demokratie. 

Nein, in der Eurokrise zeigte sich eine regelrechte Verachtung für das Demokratische. An keiner Stelle war das so deutlich wie im Oktober 2011. Der damalige griechische Premier Giorgos Papandreou kündigte überraschend ein Referendum an. Er wollte die Bürger vor die Wahl stellen, das europäische Hilfspaket und die daran gebundenen harten Sparauflagen zu akzeptieren oder abzulehnen. Und was passierte? In Deutschland fragten Leitartikler, ob Papandreou überhaupt noch zu trauen sei und ob er nicht vor der Krise kapituliere. Man bezeichnete das geplante Referendum als „Störmanöver“. Und „Forbes“ zitierte einen beliebten Witz aus Finanzkreisen: Ein Militärcoup für Griechenland sei die beste Lösung – schließlich dürften Militärjuntas nicht Teil der EU sein. Kurz: Als Griechenland ein Referendum wollte, kam aus Zentraleuropa die Antwort: Demokratie? Aus Griechenland? Wie soll das denn bitteschön Europa helfen?

Tatsächlich ist Demokratie das einzige, was Europa helfen kann. Denn es existieren handfeste politische Konflikte: Wie sollen wir die Solidarität in der Eurozone organisieren? Und welche Wirtschaftspolitik brauchen wir in der Krise? Diese Konflikte wurden bisher auf zwei Weisen gelöst: Sie wurden verrechtlicht und den Gerichten überlassen oder sie wurden als reine Wirtschaftsfragen behandelt.

Es wurden Hilfspakete geschnürt und Rettungsschirme aufgespannt. Die Wortwahl suggeriert: Keine Zeit für Diskussionen. Und worüber sollte man denn auch diskutieren? Leuten in Not hilft man, vor Unwetter schützt man sich. Einfache Entscheidung. Reiz – Reaktion. Kein Wunder, dass die Krise schon beinahe ins dritte Jahr ging, als der Deutsche Bundestag das erste Mal über die Rettungspolitik der Kanzlerin abstimmte.

Wenn nichts hilft, hilft Draghi
 

In der Eurorettung hätte es mehr Alternativen gegeben, als in ein Bild vom Rettungspaket passen: In der Krise sparen, wie die Anhänger einer Austeritätspolitik sagen? Oder in einer Rezession Schulden machen, auf Wachstum hoffen, und dann zurückzahlen, wie es die Keynesianer für richtig halten? Diese Wahlmöglichkeiten gehen im Bild des Rettungspakets unter: Da wird doch jemandem geholfen, wie könnte er diese Hilfe ausschlagen? Dass da aber nicht nur geholfen wurde, sondern dass an diese Hilfe eiserne Sparbedingungen geknüpft wurden – all das fiel im schlichten Bild vom „Hilfspaket“ hinten über. Als die Pakete beschlossen wurden,  wurden keine Alternativen präsentiert, keine Konflikte ausgetragen – es wurde keine Politik gemacht, sondern nur auf äußere Umstände reagiert. Und wenn politische Entscheidungsträger den Anschein erwecken, hier gäbe es gar nichts zu diskutieren, dann kann auch gleich Mario Draghi ran.

Aber es gibt Fragen, die wir uns stellen müssen: Welches Europa wollen wir? Wie solidarisch wollen wir sein? Hier existieren handfeste Meinungsunterscheide – und das ist ein Glücksfall. Denn so hat die Bevölkerung eine Wahl. Wenn es keine offensichtlich richtigen, sondern nur schwierige Entscheidungen mit ungewissem Ausgang gibt, dann müssen diese Entscheidungen umso besser legitimiert sein. Nur mit Zustimmung der Bevölkerung gibt es die Legitimität, um die möglichen Risiken schwerer Entscheidungen zu verantworten. Dann haben die Menschen selbst entschieden, welche Risiken sie eingehen – und sind eher bereit, die Kosten einer Entscheidung auf sich zu nehmen. Sie sind selbst verantwortlich.

Damit diese Verantwortung in der Eurokrise wirken kann, braucht es zwei Dinge. Zuerst eine Diskussionskultur: Wir brauchen keine stereotypen Vorwürfe, weder faule Griechen noch grimmige Deutsche, die demnächst das Vierte Reich aufbauen. Wenn wir über europäische Themen reden, dann sollten wir das aus europäischer Perspektive tun. Und das führt zum zweiten Punkt: Wir brauchen eine supranationale Demokratie, die sich transnationaler Themen annimmt. Was die Bewohner einzelner Staaten betrifft, können die Parlamente dieser Länder regeln. Was aber alle Bewohner der EU angeht, sollte von einer Institution entschieden werden, die allen diesen Bewohnern verantwortlich ist: dem Europäischen Parlament. In dem Parlamentarier sitzen, die politische Themen wieder politisch angehen, anstatt sie zum Sachzwang zu erklären oder heimlich zu warten, dass Mario Draghi das für sie regelt.

Europa ist zu wichtig, um es bloß der EZB zu überlassen.

 

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