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Geheimdienstexperte - „Es gibt kein Vertrauen zwischen Staaten“

Der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom wirft der Bundesregierung ein falsches Krisenmanagement im NSA-Skandal vor. Statt mit harter Spionageabwehr zu antworten, setzt Angela Merkel allein auf Vertrauen

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

So erreichen Sie Petra Sorge:

Erich Schmidt-Eenboom ist Publizist und Vorstand des Forschungsinstituts für Friedenspolitik e.V. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher über den Bundesnachrichtendienst und ausländische Geheimdienste.

 

Cicero Online: Wenn ein fremder Staat hierzulande ein neues Botschaftsgebäude errichtet, kann er dann schalten und walten, wie er will, ohne dass deutsche Nachrichtendienste noch einmal genauer hinschauen?
Erich Schmidt-Eenboom: Ja, denn das Botschaftsgelände ist exterritorial, also Hoheitsgebiet der Vereinigten Staaten. Die Amerikaner hatten übrigens schon in der Bonner Republik ein Botschaftsgebäude, das im Dachgeschoss mit nachrichtendienstlicher Technik voll ausgestattet war.

Also alles nichts Neues?
Genau. Früher haben die Agenten Laserstrahlen auf Fensterscheiben gerichtet, wodurch sie die Vibrationen der Scheibe von außen abgreifen und Gesprächsinhalte aufschnappen konnten. Heute sind Botschaften mit sogenannten IMSI-Catchern ausgestattet, um den Handys in der Umgebung vorzugaukeln, sie seien der nächste Funkmast. So wird der Mobilfunkverkehr erfasst.

Ein NSA-Untersuchungsausschuss wird wahrscheinlicher, auch die SPD fordert ihn nun. Was kann ein solcher Ausschuss überhaupt leisten?

Ich halte einen Untersuchungsausschuss für zwingend geboten, denn es gibt ja noch eine Vielzahl von offenen Fragen in der NSA-Affäre.

Was wäre denn die wichtigste Fragestellung?
Zum Beispiel, wie deutlich das Regierungswissen ausgeprägt war über die amerikanischen und britischen Spähangriffe. Ich gehe davon aus, dass dann viele Minister – von Frank-Walter Steinmeier über Guido Westerwelle bis zu Hans-Peter Friedrich – zugeben müssen, dass sie die Bevölkerung getäuscht haben. Eine weitere Frage: Waren die deutschen Sicherheitsbehörden wirklich so dilettantisch? Oder haben sie nicht schon seit Jahren belastbare Hinweise darauf, dass uns wichtige Nato-Partner ausspähen?

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Für Letzteres haben Sie Indizien, oder?
Es gibt zahllose Indizien. Helmut Kohls Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer hat schon Anfang der 1990er Jahre gefordert, die Bundesrepublik müsse nachrichtendienstlich endlich zur Rundumverteidigung übergehen. Dabei dachte er auch an den Schutz vor Angriffen aus dem Westen und sogar an Gegenangriffe. In dieser Zeit wurde auch der einzige CIA-Agent in der Geschichte der Bundesrepublik ausgewiesen, weil er versucht hatte, einen Mitarbeiter des deutschen Wirtschaftsministeriums als Agenten zu rekrutieren.

Ist es überhaupt realistisch, Erkenntnisse aus dem Untersuchungsausschuss zu gewinnen, wenn man gar keinen Zugang zu geheimen US-Akten hat?
Edward Snowden ist eine Quelle. Man könnte ihn per Video aus Moskau zuschalten. Man könnte auch hohe Vertreter der Sicherheitsbehörden befragen. Schon vor über zehn Jahren hat ein Verfassungsschützer aus Baden-Württemberg sehr deutlich darauf hingewiesen, dass es eine amerikanische Spionage gegen die deutsche Wirtschaft gibt.

Müssen wir damit rechnen, dass Staaten wie Russland und China in ähnlichem Ausmaß gegen uns spionieren?
Ja. Der chinesische Nachrichtendienst hat schätzungsweise 800.000 Mitarbeiter, verteilt auf mehrere Dienste. Dem Militärnachrichtendienst untersteht der Cyberwar. In punkto Wirtschaftsspionage steht die Volksrepublik auf Platz 1, gefolgt von den Russen.

Und die USA?
Die Amerikaner sind überwiegend an unserem Exportgebaren interessiert, insbesondere an den Waffenexporten in den arabischen Raum – und an unserer Außenpolitik: Gerhard Schröder war interessant wegen seiner Sonderbeziehungen zur Russischen Föderation und der energiepolitischen Implikationen. Angela Merkel, weil sie eine Schlüsselrolle in der Euro- und Finanzkrise spielt.

Sie sind in der Vergangenheit monatelang beschattet worden, sogar in der Sauna. Können Sie nachvollziehen, wie sich Angela Merkel jetzt fühlt?
Man kann das emotional natürlich nachempfinden. Bei allem realpolitischen Verstand, ist die Bestürzung natürlich doppelt so groß, wenn man persönlich betroffen ist.

Fordern Sie als Konsequenz aus der Ohnmacht deutscher Dienste eine stärkere technische Ausstattung, um die Deutschen besser vor fremder Spionage zu schützen?
Das Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik tut das technisch Mögliche, besonders mit den neuen Regierungshandys. Doch die gigantischen personellen, finanziellen und technologischen Kapazitäten der NSA kann man kaum abwehren. Da hilft nur politische Gegenwehr.

Aber ist es nicht ein wenig naiv zu glauben, mit einigen warmen Worten würden die USA jetzt ihre Spionageaktivitäten drosseln?

Das von Angela Merkel geplante No-Spy-Abkommen ist so ein Beispiel. Da müssten sich ja die Nachrichtendienste gegenseitig Einblicke gewähren – und dazu wären die noch weniger bereit als Regierungen.

Deutschland und Brasilien wollen am Donnerstag einen gemeinsamen UN-Resolutionsentwurf gegen das Ausspähen von elektronischer Kommunikation einbringen. Was ist davon zu halten?
So eine UN-Resolution ist in der Regel nichts wert. Man zeigt seine Betroffenheit, schreibt hinein, dass der Datenschutz der Weltbürger unverletzbar sei. Doch diejenigen, die besonders intensiv spionieren, werden sich wohl enthalten. In den 1950er Jahren gab es einen ähnlichen Vorstoß: Die lateinamerikanischen Staaten haben eine Resolution auf den Weg gebracht, die militärische Intervention in Drittstaaten verboten hat…

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Es geht aber bei diesen Initiativen auch darum, den deutschen Bürgern zu signalisieren: „Wir kümmern uns.“
Ich bin erstaunt, dass immer wieder diese Leitvokabel „Vertrauen“ in die Debatte geworfen wird: „missbrauchtes Vertrauen“ und jetzt wieder „Vertrauen herstellen“. Das ist der Weg des blinden Vertrauens: Anstelle von konkreter und harter Spionageabwehr suggeriert man den Bundesbürgern, das sei alles auf der Ebene des persönlichen Vertrauens zu regeln. Dabei wird völlig außer Acht gelassen, dass es im internationalen Geschäft zwischen Staaten kein Vertrauen gibt, sondern nur ein Austarieren nationaler Interessen.

Sie sagen also, Deutschland müsse seine Spionageabwehr verstärken – und die politischen Vorstöße sind nur Show.
Wenn die Bundesrepublik die Gegenwehr gegen amerikanische Angriffe ernst nehmen würde, müsste sie das Zusatzabkommen zum Nato-Truppenstatut neu verhandeln. Sie müsste deutlich machen, dass amerikanische Geheimdienstzentralen in Griesheim, in Wiesbaden oder in Stuttgart-Vaihingen in dem Augenblick, wo sie nicht mehr ausschließlich Nato-Interessen dienen, sondern sich offensichtlich auch gegen die Bundesrepublik und verbündete Staaten richten, keinen Platz mehr in Deutschland haben.

Sie wollen den Amerikanern hier also die Operationsbasis entziehen?
Ja, ihnen die Genehmigung, diese Anlagen zu betreiben, einfach entziehen. Man kann auch den über 200 Kontraktfirmen der NSA, der Defence Intelligence Agency und anderer US-Geheimdienststellen in der Bundesrepublik die Privilegien anhand des Truppenstatuts entziehen. Man kann ihnen jede Form von diplomatischer Immunität nehmen. Man kann ihnen sehr deutlich machen, dass die nachrichtendienstliche Agententätigkeit in der Bundesrepublik strafbewehrt ist. Aber all das sind Schritte, die die Bundesregierung nicht einmal andenkt. Selbst die Koppelung der Forderungen an das Freihandelsabkommen wird von der Union derzeit wieder aufgeweicht.

Hinweis: In einer früheren Version war von „Eyecatchern“ die Rede. Korrekt wäre „IMSI-Catcher“. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

 

 

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