Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
()
Gegen Almosen - für ein Grundeinkommen!

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, die Hartz-IV-Regelleistungen sind verfassungswidrig. Können wir nun eine würdige Kindergrundsicherung erwarten? Nein, sagt Götz Werner und warnt vor falschem Wohlwollen

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zu den Regelleistungen nach Hartz IV sollte von der Politik ernst genommen werden. Sie tut es aber nicht, wie die Reaktionen der Regierenden zeigen: Statt über eine angemessene Kindergrundsicherung nachzudenken, fällt Arbeitsministerin von der Leyen nichts Besseres ein als Suppenküchen, Schulspeisung und Nachhilfeunterricht, von Verwaltungen organisiert und von Bürgern finanziert. Es geht den Richtern um würdiges Leben. Sie stellen klar, dass jedem Bürger ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben gewährleistet werden muss. Den Richtern ging es sicher nicht um Arbeitsbeschaffung für eine Verwaltung, die schon bei der Festsetzung der Bemessungsgrenzen gezeigt hat, dass sie völlig überfordert ist. Oder wie sonst kann man die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, dass die Schätzungen bei der Bemessung des Existenzminimums „ins Blaue hinein“ gewesen seien, anders interpretieren? Mehrleistungen in Form von Sachleistungen zu erbringen, ist eine Idee, vor der die Bürger geschützt werden müssen, denn Suppenküchen und andere Sachleistungen auf Antrag öffnen neue Tore für Willkür und Fehleinschätzungen und verletzen das Recht auf ein Leben in Würde. Dies gilt insbesondere für die 1,7 Millionen Kinder und Jugendlichen, die der Hilfe durch die Bürgergemeinschaft bedürfen. Ihre physische Existenz und nachhaltige Entwicklung durch Bildung und Zuneigung müssen durch die rasche Einführung eines Kindergrundeinkommens gesichert werden, so wie dies die Experten des Deutschen Kinderschutzbundes seit langem fordern. Das Geld gehört in die Hände der Eltern und nicht in die von Bürokraten. In einem zweiten Schritt ist es notwendig, ein Grundeinkommen einzuführen, das jedem Bürger ohne administrative Verrenkungen zukommt. Weder willkürliche Regelsätze für arbeitslose Menschen noch ebenso willkürliche Steuerfreibeträge für Menschen in Arbeit sind eine passende Antwort auf die richterliche Entscheidung, sondern diese an Bedingungen gebundenen und von parteipolitischen Konstellationen abhängigen Grundsicherungen der Bürger müssen durch ein bedingungsloses Grundeinkommen abgelöst werden. Ich zweifle an der Aufrichtigkeit von Politikern, die Gängel- und Kontrollsysteme einführen wollen, um den Richterspruch umzusetzen. Dies ist weder sozial noch christlich, sondern soll lediglich der Zivilgesellschaft die individuellen Rechte zugunsten der politischen Entscheider entziehen beziehungsweise vorenthalten. Die Regierung gefällt sich in Mildtätigkeit und verhindert das Recht auf ein Leben in Würde, zu der auch die Selbstbestimmung über die Verwendung eines Existenzminimums gehört. Eine freiheitliche Gesellschaft braucht jedoch selbstverantwortliche Bürger. Diese Selbstverantwortung der Menschen wird nicht dadurch gefördert, dass Politiker meinen, alles für sie regeln zu müssen – sie verkümmert bei dieser pseudowohlwollenden Führung. Die Bürger brauchen keine Almosen, sie brauchen ein bedingungsloses Einkommen, das ihnen ermöglicht, ihre Fähigkeiten zu entwickeln. Zu diesen Fähigkeiten gehört nicht nur die zur Persönlichkeitsentfaltung, sondern auch die zur Erziehungsberechtigung, die immer auch eine Verpflichtung darstellt. Auch läuft die Forderung einer modernen Form der Zwangsarbeit in die völlig falsche Richtung. Es ist doch ein Faktum, dass Maschinen immer mehr Menschen im Wertschöpfungsprozess ersetzen. Seit Jahrzehnten sinken die durchschnittlichen Stunden, die die Bürgergemeinschaft für Erwerbsarbeit aufbringen muss. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, der zweite Arbeitsmarkt wächst, die staatlichen Institutionen müssen immer erfindungsreicher werden, um Entlassungen zu vermeiden und auf diese Weise die Massenarbeitslosigkeit zu vertuschen. Und dennoch haben wir eine erschreckende Zahl an Hartz-IV-Empfängern. In einer solchen Situation das Bewusstsein einzig auf einen möglichen Missbrauch des Sozialstaates zu richten, ist fatal. Es unterstellt einem großen Teil der Bevölkerung pauschal, dass der Wille, zum Wohl der Gemeinschaft beizutragen, fehlt. Alleine diese Unterstellung stigmatisiert die Hilfsbedürftigen und grenzt sie aus. Mit Misstrauen lässt sich aber keine Gemeinschaft aufbauen, dazu bedarf es des Zutrauens. Es ist an der Zeit, die Bemühungen zahlreicher Mitmenschen, sich einzubringen, wahrzunehmen und diese nach Kräften zu unterstützen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist der richtige Ansatz dafür, denn es schafft die geeigneten Rahmenbedingungen, in Freiheit initiativ zu werden. Bei meiner Forderung eines Grundeinkommens erlebe ich stets die gleichen Bedenken: Wer wird mit einem bedingungslosen Grundeinkommen noch arbeiten? Auch das zeigt, dass es vielen Menschen schwerfällt, ihren Mitmenschen Zutrauen entgegenzubringen. Wer diese Bedenken äußert, meint nicht sich selbst. Wen auch immer ich darauf anspreche, er ist zuversichtlich, selbst trotz eines Grundeinkommens weiterzuarbeiten. Die Menschen wollen ihre Fähigkeiten entwickeln, sie wollen arbeiten, und entzöge man ihnen die Arbeit, würde man laut Erich Fromm die Menschen „verrückt machen“. Es gibt aber immer auch Menschen, die sich in die Gemeinschaft nicht oder nur schwer einbringen können. Sie zur Arbeit zu zwingen, ist keine Lösung. Wer gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen ist, weil er ein Grundeinkommen auch für arbeitende Bürger für nicht finanzierbar hält, der macht sich nicht bewusst, dass er vom Staat ein Grundeinkommen bereits indirekt erhält. Jeder, der Empfängen beiwohnen muss oder intensiv staatlich subventionierte Kultureinrichtungen in Anspruch nimmt, was bei Menschen mit höheren Einkommen viel öfter der Fall ist, erhält mehr staatliche Transferleistungen aus Einkommens- und Konsumsteuern als ein Hartz-IV-Empfänger. Das BVG-Urteil sollten wir als Anlass nehmen, die eingefahrenen Denkmuster infrage zu stellen, neu- und umzudenken.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.