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SPD - Wie Sigmar Gabriel die Bildung diffamiert

Kisslers Konter: Sigmar Gabriel kann sich vorstellen, die Hausaufgaben abzuschaffen. Damit steht er symbolhaft für die Freiheitsaversion und Bildungsscheu der SPD

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Gäbe es nur diesen einen Satz des amtierenden SPD-Parteivorsitzenden: Man wüsste schon genug über die Panik, die die SPD angesichts schlechter Umfragewerte befallen hat. Man wüsste auch genug über den Dünkel, die Freiheitsaversion und die Bildungsscheu einer Partei, die derzeit offenbar lieber Ignoranz produzieren als Unterschiede akzeptieren will.

Der fragliche Satz aus einem Interview vom zurückliegenden Wochenende lautet: Er, Sigmar Gabriel, befürworte, dass man die Hausaufgaben abschafft, denn „die Ungerechtigkeit beginnt doch damit, dass Eltern, die Akademiker sind, ihren Kindern bei der höheren Schulbildung einfacher helfen können als Eltern, die nicht studiert haben.“ Deshalb müsse das Bearbeiten von Aufgaben in der Schule stattfinden „und nicht im Elternhaus.“

Gabriel hält also wenig von seiner Kern- und Stammklientel. Arbeitern und Angestellten traut er nicht zu, ihren Kindern eine geistige Hilfe zu sein. Er überschätzt das Milieu, das er ablehnt, und beleidigt das Milieu, dem er entstammt. Für ihn beginnt offenbar, ganz wie weiland im wilhelminischen Bildungsbürgertum, der Mensch beim Doktor. Statt nun aber zur großen Bildungsoffensive aufzurufen - ein lohnendes Ziel für einen Sozialdemokraten -, diffamiert er in einem Zug die Bildung und jene, die angeblich über sie verfügen. Akademiker sind in Gabriels Welt eine Gefahr, weil das Wissen, das sie teilen, den Nichtakademikern vorenthalten werde. Und Nichtakademiker sind prinzipiell Dummköpfe, weshalb man sie vor ihrer eigenen Dummheit schützen muss: indem man ihnen den pädagogischen Umgang mit ihren Kindern verbietet, auf die sie nur blödes Zeug abzuladen imstande seien.

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Woher kommt diese doppelte Verachtung der Bildungsfernen und der Gebildeten, der kleinen Leute und der klugen Köpfe? Das gemeinsame Dritte ist ihre Distanz vom Durchschnitt. In Gabriels Welt hat nur das statistische Mittel Daseinsrecht. Ihr Leben sollen die Menschen weitgehend in staatlichen Institutionen verbringen, weil der Staat und nur der Staat den kleinsten gemeinsamen Nenner aller Ansprüche und Leistungen herzustellen in der Lage ist. Ungerechtigkeit liegt nicht vor, wenn jemand übervorteilt wird aus Gründen, die er nicht zu verantworten hat. Nein, ungerecht ist in Gabriels Welt jedes Verhalten ohne direkte Einwirkung des Staates. Der Dumme ist ein Sünder, weil er sich nicht vom Staat belehren lässt. Der Kluge ist ein Sünder, weil er das vom Staat verordnete Maß an Intellektualität überschreitet.

Politik sieht Bildung ausschließlich funktional

Was übersieht Gabriel da nicht alles! Natürlich ist es längst nicht ausgemacht, dass ein Universitätsabschluss zum Nachhilfelehrer prädestiniert. Ist eine Altphilologin auch Expertin für Mathematik? Natürlich ist es ein gewaltiges Misstrauensvotum gegenüber den Lehrkräften, ihnen zu unterstellen, dass Hausaufgaben, werden sie zu Hause erledigt, zwingend der elterlichen Nachsorge bedürfen. Und natürlich ist das Bild vom Elternhaus als einem Ort, an dem Ungerechtigkeiten sich potenzieren, makaber. Als sei es nicht Privileg der Eltern, ihr Recht auf Erziehung auch und gerade in den eigenen vier Wänden wahrzunehmen. Alles aber, was nicht der Staat tut, soll künftig begründungspflichtig sein. Die Ganztagsschulpflicht steht gewiss vor der Tür.

Vor allem aber ist Gabriels halbgarer Vorschlag ein Beweis für das Nichtverhältnis der (nicht nur sozialdemokratischen) Politik zur Bildung. Diese wird ausschließlich funktional gesehen: Bildung soll dem Fortkommen dienen und dem Einkommen und der Integration. Sie soll das Ansehen Deutschlands stärken und dem Bruttosozialprodukt aufhelfen und aller Welt zeigen, wie herrlich weit die Bundesrepublik es doch gebracht hat: bis zu jenem Punkt, da wir alle so wenig wissen, dass niemand mehr befürchten muss, auf seine Frage eine Antwort zu kriegen.

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