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Freihandelsabkommen - Chlor-Hühnchen im antiamerikanischen Subventionsbad

Eine neue Angst geht um: Vor Chlor-Hühnchen und dem freien Handel mit den bösen Amerikanern. Das ist Volksverdummung und Hochmut einer Subventionskultur, die um ihre Pfründe fürchtet. Antiamerikanismus wird als Verbraucherschutz verkleidet.

Autoreninfo

Wolfgang Bok war Chefredakteur und Ressortleiter in Stuttgart und Heilbronn sowie Direktor bei der Berliner Agentur Scholz & Friends. Der promovierte Politologe lehrt an der Hochschule Heilbronn Strategische Kommunikation.

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Die Trophäe der Angstmacher hat einen griffigen Namen: Chlor-Hühnchen! Sie überschwemmen Europa, sollte das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP nicht am Widerstand aufgeregter „Verbraucherschützer“ und „Kulturschaffenden“ scheitern. Lieber essen wir die mit Antibiotika vollgepumpten Masthühner, die durch die Bakterienbäder heimischer Mastfabriken gezogen werden, um dann zu Discountpreisen reißenden Absatz zu finden. Die Medizinerin  Giulia Enders legt in ihrem Bestseller „Darm mit Charme“ die tatsächlichen Risiken für unsere Gesundheit anschaulich dar. Nichts einzuwenden haben wir auch gegen die Chlorbäder in unseren öffentlichen Schwimmbecken, in denen allerhand Krankheitserreger abgetötet werden müssen.

Die geschürte Angst vor hormonbehandeltem Fleisch, genmanipuliertem Gemüse oder eben mit Chlor desinfizierten Hähnchenschenkeln offenbart vor allem Arroganz: Hier lebt die hochmütige Vorstellung von einem Amerika auf, in dem ein kulturloses Volk ständig bei McDonald’s hockt, bei billigen TV-Serien verblödet und so Körper und Geist zu vergiftet. Dabei wundert sich doch jeder USA-Besucher, dass dort selbst vor heißem Kaffee gewarnt wird, weil die Sicherheitsvorschriften weit strenger sind als etwa in Deutschland. Das gilt auch und gerade für technische Geräte wie Autos. „Es ist empirisch nicht nachzuweisen, dass Freihandelsabkommen in der Vergangenheit zur Senkung von Standards geführt haben“, versichert Gabriel Felbermayer, der im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums die Auswirkungen von TTIP bewertet hat.

Kaum zur Kenntnis genommen werden  die Vorteile, die ein Freihandelsabkommen der EU mit den USA bringt: Doppelkontrollen und Zulassungsverfahren, die viel Geld und Zeit kosten, werden überflüssig. Medikamente können so billiger werden. Auch der Vorwurf, hier würden Geheimverhandlungen geführt, geht fehl: Im Internet können die einzelnen geplanten Regeln sehr wohl eingesehen werden. Diese müssen dann ohnehin aufwändig von demokratischen Gremien (EU-Parlament, nationale Parlamente) genehmigt werden. Ebenso ist die Angst vor einer „Paralleljustiz“ künstlich: Investitionsschutzabkommen, deren Einhaltung vor Schiedsgerichten auf internationaler Ebene eingeklagt werden können, nützen gerade der Exportnation Deutschland. Diese Gerichte tragen weit mehr zur Rechtssicherheit bei als nationale Justizbehörden, die der jeweiligen politischen Mehrheit unterworfen sind.

Protektionismus trifft Antiamerikanismus

 

So liegt der Verdacht nahe, dass die lautstarken Gegner des TTIP vor allem protektionistische Ziele verfolgen. Das Spektrum reicht von den deutschen Großmästern bis zur breiten Kulturszene. Sie fürchtet, dass ihre Schaffenskraft zur „Handelsware“ herabgestuft wird, wie Kulturstaatssekretärin Monika Grütters (CDU) auf allen Kanälen warnt. Also ob sich die Amerikaner keine luxuriösen Symphonieorchester, modernste Museumstempel oder brillante Autoren leisten oder hervorbringen.

Aber wäre es ein Schaden, wenn die üppigen Subventionen und Zwangsgebühren beschnitten würden, mit denen in Deutschland Provinztheater für eine kleine Stammnutzer gefüttert und das Staatsfernsehen gemästet wird, weil TTIP darin „Handelshemmnisse“ sieht? „Dem deutschen Film oder dem, was unter der Herrschaft der Fördergremien und der Aufsicht der Fernsehredakteure daraus gemacht worden ist, kann es eigentlich nicht mehr schlechter gehen“, urteilt der renommierte Kulturjournalist Claudius Seidl in der Sonntags-FAZ gallig und zitiert den Regisseur Klaus Lemke zum „deutschen Obrigkeitskino: brav, banal, begütigend, verbeamtet, frigide, käuflich, museal und selber schuld.“

Wenn in den USA kulturelle Ödnis herrscht, warum ist es dann für deutsche Schauspieler ein Ritterschlag, in Hollywood eine Nebenrolle zu ergattern? Warum ist eine Oscar-Nominierung mehr wert als der deutsche Volkshochschulpreis Grimme? Warum füllen deutsche Sender ihre Programme mit amerikanischen Serien wie „Homeland“, Mad Man“, „House of Cards“ oder „Sex in the City“, die selbst von anspruchsvollem Publikum als vorbildlich für ARD und ZDF gelobt werden? Klar, dafür reichen die siebeneinhalb Milliarden an Zwangsgebühren nicht. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten müssen schließlich üppige Gehälter und Pensionen finanzieren, vor deren strangulierender Wirkung nun selbst Anstaltskontrolleur Peter Clever warnt. Das nennt man dann „Verteidigung des europäischen Standards“, den man am liebsten zum Unesco-Kulturerbe erklärt.

Doch wie kann es sein, dass diese dumpfbackigen Amerikaner die digitale Welt beherrschen? Dass das deutsche soziale Netzwerk StudieVZ mangels Interesse eingestellt werden muss, derweil Facebook weltweit 1,2 Milliarden Nutzer vorweisen kann? Dass Informatik-Studenten, die an deutschen Hochschulen teuer ausgebildet werden, massenhaft ihre Bewerbung bei dieser üblen Datenkrake Google einreichen? Dass wir so begierig Apple-Produkte, Microsoft-Programme oder die vielen Startups aus dem Silicon Valley nutzen? Weil die europäische Hochkultur kaum Vergleichbares auf den Markt bringt.

Das alles lässt sich nicht in Einklang bringen mit den Ängsten, die nun von den üblichen Verdächtigen nach Kräften geschürt werden. Eigentlich. Doch unter dem Deckmantel des Verbraucherschutzes lässt sich eben auch der subtile Antiamerikanismus, der in Deutschland immer zieht, für politische Angstkampagnen nutzen. Endlich hat ein breites Anti-Bündnis, das bis ins konservativ-bürgerliche Lager reicht, ein apokalyptisches Thema, mit dem sich mobilisieren lässt. Die Sorge, der gierige Kapitalismus, der in den monströsen Wolkenkratzern von Manhattan sein Zuhause hat, vernichte das europäische Kulturerbe, wird von (öffentlich-rechtlichen) Medien und subventioniertem Kulturbetrieb gerne aufgegriffen. Schließlich stehen die eigenen Pfründe auf dem Spiel. Da nimmt man es mit den Fakten nicht so genau.

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