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Frauke Petry, die AfD und die Grenzverteidigung - „Es geht nicht darum, jemanden zu erschießen“

Die von Frauke Petry angezettelte Diskussion um den Gebrauch von Schusswaffen bei der Abwehr von Flüchtlingen an der Grenze offenbart den ganzen Zynismus ihres Weltbildes. Gerade dann, wenn die AfD-Sprecherin nicht verkürzt, sondern ausführlich zu Wort kommt

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Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Wieder einmal ist Frauke Petry also das Opfer, ein Opfer der Medien und der etablierten Parteien. Diese Rolle gefällt ihr, diese Rolle hat sie populär gemacht. Die Opferrolle ist Teil des Erfolgrezeptes der AfD.

Frauke Petry fühlt sich missverstanden, ihre Äußerungen im Interview mit dem Mannheimer Morgen seien „verkürzt“ wiedergegeben und aus dem Zusammenhang gerissen worden, sagt sie. Sie habe lediglich darauf hingewiesen, dass der Einsatz von Waffengewalt an der Grenze Ultima Ratio sei. Zusammen mit AfD-Co-Sprecher Jörg Meuthen erklärte sie am Montag: „Die AfD lehnt es strikt ab, dass auf Menschen geschossen wird, die friedlich Einlass in das Bundesgebiet begehren.“ „Betrübt“ zeigte sich Petry zudem in einem Radiointerview mit dem MDR, weil es mal wieder nicht möglich sei, „so komplexe und emotionale Sachverhalte in voller Breite zu diskutieren“. Dabei macht es Frauke Petry nur noch schlimmer, wenn sie komplexe und emotionale Sachverhalte in voller Breite diskutiert. Die Opferrolle steht ihr nicht.

Wort „Schießbefehl“ nie gefallen
 

Nein, das Wort „Schießbefehl“ hat die AfD-Chefin Frauke Petry tatsächlich nicht benutzt, als sie am Donnerstag vergangener Woche in Mannheim auf einer Veranstaltung ihrer Partei sprach. Aber davon, dass dieses Land „nicht verteidigungsbereit“ sei, seine Landesgrenzen nicht mehr schützen könne, hatte sie im Zusammenhang mit den Flüchtlingen sehr wohl gesprochen. Und zum Zwecke der „Grenzverteidigung“ auf den „wirkungsvollen Zaun“ verwiesen, mit dem sich Spanien gegen Asylbewerber schütze.

Nein, ein Opfer ist Frauke Petry nicht. Wenn sie ihren Anhängern komplexe und emotionale Sachverhalte erläutert, dann geht es in ihrem Weltbild immer um die Abwehr von Invasoren, selten um Hilfe für Flüchtlinge, immer um den Schutz vor einem äußeren Feind und so gut wie nie um die Menschenwürde. Und auch nicht darum, wie Fluchtursachen bekämpft werden könnten.

Der Flüchtling bleibt bei Petry der Fremde, der Eindringling, vor dem man sich mit einer funktionierenden „Grenzverteidigung“ effektiv schützen müsse. Der wirkungsvolle Zaun übrigens, mit dem Spanien in seinen nordafrikanischen Exklaven Ceuta und Melilla seine Grenze zu Marokko gegen illegale Einwanderer schützt, ist in drei Reihen aufgestellt, sechs Meter hoch, mit Stacheldraht bestückt und mit Infrarotkameras ausgestattet. Höher als die Berliner Mauer ist er, man stelle sich einen solch wirkungsvollen Zaun an der 815 Kilometer langen Grenze zu Österreich vor. Und da dies am Ende nicht reichen wird, müsste man ihn wohl entlang der 811 Kilometer langen Grenze zu Tschechien verlängern. Aber dass man einen solchen Zaun bauen müsse, hat Frauke Petry selbstredend nie gefordert.

Keine Ablehnung von Schusswaffengebrauch
 

Von der Verteidigungsbereitschaft beim Schutz vor Invasoren und einer effektiven Grenzsicherung ist es dann in der Tat nur noch ein kurzer Weg zum Gebrauch von Schutzwaffen an der Grenze. In der militärischen Logik, in der Frauke Petry argumentiert, ist das folgerichtig der nächste Schritt. Und tatsächlich hat die AfD-Chefin den Gebrauch von Schusswaffen an der Grenze an jenem Donnerstagabend in Mannheim alles andere als ausgeschlossen, strikt abgelehnt schon gar nicht.  „Da gibt es ja verschiedene Möglichkeiten“, erklärte sie ihren Anhängern stattdessen. Von Ultima Ratio spricht sie nicht. Der O-Ton in seiner vollen Länge spricht für sich:

„Wir müssen sowohl unsere Grenzen sichern, was nicht einfach wird, weil Personal dafür fehlt. Personalreformen auf Bundes- und auf Landesebene haben seit Jahren dafür gesorgt, dass der Staat sich zurückgezogen hat, dass wir aktuell gar nicht verteidigungsfähig sind. Das trifft aber nicht nur auf die Bundeswehr zu, sondern eben auch auf unsere Landesgrenzen, die wir nicht mehr schützen können. Spanien hat dafür eine andere Lösung gefunden, sie haben keinen vielleicht schönen, aber wirkungsvollen Zaun an ihrer Grenze gebaut und sie haben sehr viel geringere Zahlen von Asylbewerben, was aber auch damit zusammenhängt, dass in Spanien eben die Art von Asylbewerberleistungsgesetzen, wie sie in Deutschland anzutreffen sind, einfach nicht existieren.

Meine Damen und Herren, wir werden also Akutmaßnahmen ergreifen müssen, um den Zustrom zu reduzieren. Da sind die anderen Parteien inzwischen sogar auch dabei. Sie sagen nur leider nicht, wie es geht. Und das finde ich immer schön, wenn man uns vorwirft, dass wir nicht genau erklären können, wie es funktioniert, dass man uns vorwirft, wir würden auf Flüchtlinge schießen wollen – was kompletter Unsinn ist. Wenn aber die Regierungsparteien nicht mehr wollen, dass zur Grenzverteidigung notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch zu machen ist, und da gibt es ja verschiedene Möglichkeiten – es geht nicht darum, jemanden zu erschießen, das muss man natürlich auch dazusagen – dann müssen sie das Gesetz ändern. Sie sind dazu in der Lage, wir sind es derzeit noch nicht.“ 

Hier die Audio-Datei zum Nachhören:

„Nicht verteidigungsbereit“, Grenzverteidigung“ „wirkungsvoller Zaun“, „verschiedene Möglichkeiten“ beim Gebrauch der Schusswaffe – das ist die Logik, in der Frauke Petry ihren Anhängern komplexe und emotionale Sachverhalte erklärt. „Unsinn“ ist es also einerseits, dass der AfD vorgeworfen wird, sie wolle auf Flüchtlinge schießen. Doch gleich anschließend verweist Frauke Petry darauf, „dass zur Grenzverteidigung notfalls von der Schusswaffe Gebrauch zu machen ist“. Es ist vermeintlich ja nur die geltende Rechtslage. Anschließend entlarvt Frauke Petry den ganzen Zynismus der von ihr angezettelten Diskussion. Sie hält es für nötig, darauf hinzuweisen, dass es nicht darum gehe, „jemanden zu erschießen“. An welche „verschiedenen Möglichkeiten“ sie stattdessen denkt, will man gar nicht wissen.

Und, nachdem Frauke Petry aus ihrem Weltbild heraus völlig emotionslos den Sachverhalt erklärt hat, der logischerweise bei der Möglichkeit des Schusswaffeneinsatzes gegen Flüchtlinge an der Grenze endet, macht sie die Regierungsparteien auch noch zu ihren Kronzeugen. Schließlich seien diese dafür verantwortlich, dass der Gebrauch von Schusswaffen an der Grenze nicht verboten ist. Die Regierungsparteien könnten das Gesetz und damit die geltende Rechtslage ja ändern.

Frauke Petry kann sich also die Hände reiben. Die ganze öffentliche Aufregung der vergangenen Tage spielt ihr in die Hände. Sie hat der „Lügenpresse“ mal wieder ihre Diskurse aufgedrängt. Dass sie von Journalisten verkürzt zitiert wird, ist einkalkuliert. Am Ende der ganzen Diskussion über den Gebrauch von Schusswaffen an der Grenze steht folgerichtig das Dementi. Nie hat die AfD-Sprecherin also gefordert, dass an der Grenze auf Flüchtlinge geschossen wird. Trotzdem haben ihre Anhänger sie verstanden. Nein, die Opferrolle steht Frauke Petry nicht.

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