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Flüchtlingspolitik auf Schloss Moritzburg - Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen

Kolumne: Leicht gesagt. Vor der G7 traf sich die G6 in Deutschland – Europas wichtigste Innenministerkonferenz. Die Gespräche auf Schloss Moritzburg endeten hochnotpeinlich: Wieder einmal konnten sich die Minister nicht einigen, wie Europa mit den Flüchtlingen umgehen soll

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Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

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Es sagt sich leicht, dass Europa endlich die drängende Frage beantworten muss: Wohin mit den Flüchtlingen? Doch Europa tut sich schwer und scheint bei dieser Frage – wie früher so oft bei anderen Fragen – an nationalen Egoismen zu scheitern.

Zwölf Stunden haben nun die Innenminister der größten Staaten Europas miteinander gesprochen; ganz unter sich, informell bis nach Mitternacht. G6 nennt sich dieses Format, das zweimal im Jahr zusammenkommt: Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien und Polen. Deutschland, das bevölkerungsreichste Land Europas, war diesmal Gastgeber.

Abgeschottet von allen Seiten


Geladen worden war zum märchenhaften Ort Schloss Moritzburg in Sachsen. Fünf Jahrhunderte ist dieses Barockschloss alt. Es liegt in seiner goldenen Pracht auf einer Insel. Abgeschottet wird es durch acht Wehrtürme, von denen das Wasser zu allen Seiten in Blick genommen wurde gegen Angreifer. Das nicht nur im 16. Jahrhundert, sondern auch jetzt: 1800 Bundespolizisten schützten die Minister.

Dieser Ort wirkte für das zweitägige G-6-Treffen wie ein Symbol für Europa. Dort wurde vor 40 Jahren einer der berühmtesten Märchenfilme der Welt gedreht: Drei Haselnüsse für Aschenbrödel. Die Verfilmung dieses tschechischen Märchens passt in gewisser Weise auch zum Flüchtlingsthema der G-6-Minister. Denn Aschenbrödel ist ein Waisenmädchen. So wie viele Flüchtlingskinder Waisen sind. In Moritzburg konnten die Innenminister den goldenen Schuh des Mädchens bewundern, der als Bronze auf der Schlosstreppe steht. Doch eine Antwort auf die drängendste Frage Europas fanden sie nicht.

Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière und der französische Innenminister Bernard Cazeneuve sagten ihren Kollegen, dass sie die Verteilung der Flüchtlinge für höchst ungerecht hielten. Sie wollten erreichen, dass künftig die Zahl der bereits aufgenommenen Asylbewerber stärker berücksichtigt wird. Deutschland und Frankreich müssten dann voraussichtlich weniger Menschen aufnehmen.

Flüchtlinge sollen zurückgeschickt werden


Auch sollten nicht alle vom Mittelmeer aus ankommenden Flüchtlinge verteilt werden, sondern nur jene, „die eine dauerhafte Bleibeperspektive in der EU haben“. So verlangte es de Maizière. Für die anderen solle es ein faires und rechtsstaatliches Verfahren im jeweiligen Erstaufnahmeland geben. Bei negativem Ausgang sollten diese Flüchtlinge dann – „gegebenenfalls mit europäischer Hilfe“ – in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt werden.

Zusammengenommen ist das einer von vier Punkten de Maizières, an denen sich Europas Flüchtlingspolitik orientieren müsse: die „angemessene Aufnahme und gerechte Verteilung“. Wieder eine Allegorie zum Märchen der Schlosskulisse: die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen…

Die anderen drei Punkte sind noch weniger konkret: Bekämpfung der Fluchtursachen in den Herkunftsländern, Seenotrettung im Mittelmeer und Bekämpfung von Schlepperbanden.

Angereist aufs Schloss war auch der zuständige EU-Kommissar, der Grieche Dimitris Avramopoulos. Er verlangte, dass 40.000 weitere Flüchtlinge aus Italien und Griechenland auf andere europäische Länder verteilt werden müssten. Verhandeln könne man aber über den Verteilungsschlüssel.

Kein Kompromiss in Sicht


Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, sich an Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft der einzelnen Staaten zu orientieren. Das heißt: Deutschland und Frankreich sind abermals dran. Deren Innenminister wünschen jedoch einen anderen Code: Nur zu 40 Prozent solle die Einwohnerzahl gelten und 40 Prozent die Wirtschaftskraft, zehn Prozent die Arbeitslosigkeit und zehn Prozent die bisherigen Aufnahmen.

Das ist eigentlich keine unverschämte Forderung: Frankreich also bittet, dass ein wenig seine heimischen Probleme mit Arbeitslosen berücksichtigt werden und Deutschland, dass die bisher gezeigte Solidarität anerkannt wird. Doch die anderen, namentlich Großbritannien und Polen, blieben hart. „Wir sind noch nicht nahe an einem Kompromiss“, sagte de Maizière zum Schluss und blickte wenig zuversichtlich.

Doch die Zeit drängt. Zwei Tage sprachen die Innenminister miteinander – und fanden keine Lösung. In den zwei Tagen sind Hunderte Menschen an Europas Grenzen angekommen, Tausende Afrikaner haben sich auf den Weg über das Meer gewagt und Dutzende sind ertrunken. Und das ist gar kein Märchen!

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