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Flüchtlingsdebatte - Das Ende zweier Lebenslügen

Kisslers Konter: Die Debatte über den angemessenen Umgang mit Flüchtlingen wird Deutschland verändern. Schon heute bringt sie zwei große Lebenslügen zum Einsturz – eine der Rechten und eine der Linken

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Das gab es lange nicht mehr: dass Deutschland über seine Zukunft und die der Welt energisch streitet. Dass Meinungen hart aufeinander prallen, nicht aus modischen oder eitlen Gründen, sondern aus purer Notwendigkeit. Dass die Realität die Bedingungen des Redens schafft und nicht dieses sich jene zurechtbiegt. Wo immer die Flüchtlingsdebatte hinführen mag, sie wird die Art unseres politischen Umgangs mit dem Elend dieser Welt und auch uns alle fundamental verändern.

Schon jetzt hat die Flüchtlingsdebatte zwei deutsche Lebenslügen krachend zum Einsturz gebracht, in allerkürzester Zeit. Die Lebenslüge der Rechten besagt, das Boot sei voll. Deutschland könne keine Flüchtlinge mehr aufnehmen, das Land habe sowieso schon zu viele aufgenommen. Nun seien alle anderen Länder an der Reihe, ihren humanistischen Weltverbesserungsanteil zu leisten.

Wahr ist, dass Deutschland viel zu reich und viel zu dünn besiedelt ist, als dass solche Chauvinismen verfangen könnten. Ein sozial derzeit bestens abgesichertes, wirtschaftlich prosperierendes Volk von rund 82 Millionen Menschen im Herzen Europas kann und darf nicht überfordert sein, wenn, wie zwischen Januar und Juni dieses Jahres geschehen, knapp 180.000 Menschen Einlass begehren.

Die Lebenslüge der Linken besagt, kein Mensch sei illegal, ein Bleiberecht für alle müsse es geben. Lange wurde dieses Mantra allen Versuchen entgegen gehalten, bei der Flüchtlingspolitik nach Recht und Gesetz zu entscheiden und also gerecht zu verfahren. Hier und da finden sich noch heute linke Nostalgiker, die behaupten, „einen angeblichen Missbrauch des Asylrechts durch Flüchtlinge aus dem Westbalkan“ gebe es nicht, „Flüchtlinge, die zu Hause alles aufgegeben haben,“ verdienten Solidarität. Die „Grüne Jugend“ fordert „Schutz und Unterstützung“ für alle Menschen, die fliehen.

Kein Geld, nirgends
 

Der Landesbischof von Hannover, Ralf Meister, rückt die Dinge gerade: Unfug sei es, offene Grenzen zu fordern, „wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht in das romantische Idyll hineinbegeben, alle Menschen könnten nach Deutschland kommen und einen Asylantrag stellen. Das ist eine Illusion.“ Bei Verfolgung, nicht bei Armut, greife das Asylrecht.

Nicht anders formuliert es das Bundesamt für Migration in seiner Erläuterung des Grundrechts auf Asyl: „Allgemeine Notsituationen wie Armut, Bürgerkriege, Naturkatastrophen oder Perspektivlosigkeit sind als Gründe für eine Asylgewährung grundsätzlich ausgeschlossen.“ Wenn also von den in diesem Jahr bisher 20.800 entschiedenen Anträgen aus dem Kosovo ganze sechs und von 4.950 albanischen nur drei positiv beschieden wurden und wenn von 8.500 Anträgen aus Serbien kein einziger die Bedingung für die Gewährung von Asyl erfüllte, dann läuft etwas gehörig schief. Bewerber erhalten trotz Aussichtslosigkeit ihres Antrags mehrere Monate Vollverpflegung, ärztliche Betreuung und ein kaum zu rechtfertigendes monatliches Taschengeld von rund 150 Euro.

Man kann darüber streiten, ob es sich bei den Anträgen aus Serbien, Albanien, Kosovo und Mazedonien um Asylmissbrauch im strengen Wortsinn handelt. Auf jeden Fall fehlen die Aberhundert Millionen Euro für Armutsflüchtlinge den Gemeinden und Ländern, um die wirklich von staatlicher Verfolgung Betroffenen zu unterstützen. Ein Grundrecht kann das Asylrecht nur sein, wenn und sofern es dem „Schutz der Menschenwürde in einem umfassenderen Sinne“ dient.

Die Gemeinden sind überfordert
 

Korrupte Herrscher, fehlende Perspektiven oder allgemeine Unzufriedenheit mit der Situation in der Heimat setzen Deutschland nicht in die Pflicht, Ausgewanderte aufzunehmen. Auf Asyl hat Anspruch, wer politisch verfolgt wird, niemand sonst. Und in Richtung des palästinensischen Mädchens Reem, das im Beisein Angela Merkels öffentlich weinte und danach mit dem Wunsch hervortrat, Israel möge es künftig nicht mehr geben, sei gesagt: Antisemitismus ist kein Asylgrund, im Gegenteil.

Das Boot ist nicht voll, es verträgt die wirklichen Flüchtlinge aus Syrien, Irak, Eritrea noch sehr, sehr lange. Ihrer sich anzunehmen, ihrer Not aufzuhelfen, ist Menschenpflicht und Verfassungsgebot. Wer es anders sieht und statt zu Argumenten zu Gewalt greift, Flüchtlingsheime attackiert und Flüchtlinge bedroht, der stellt sich außerhalb unserer Republik und verdient Bestrafung, nicht Verständnis.

Die gesamten Folgekosten aber der „neuen Völkerwanderung“ – so der Duisburger Stadtdirektor Reinhold Spaniel – überfordern bereits die Länder und Gemeinden: „Die Menschen, die da vom Westbalkan kommen (….), blockieren Unterbringungsmöglichkeiten für politisch Verfolgte.“ Gerechte Politik kann in Zukunft nur heißen, das Geld des Staates, das seine Bürger erwirtschaftet haben, Bedürftigen zu geben und es Nicht-Bedürftigen, Nicht-Verfolgten vorzuenthalten. Ein Staat, der allen wohl und jedem barmherzig sein will, verfehlt sich selbst.

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