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Anja Lehmann für Cicero

Feministin Meßmer - „Ich bin gegen Verbote“

Die Feministin Anna-Katharina Meßmer über ihren Brief an Gauck, Furien und Furor, den Sexismus und die Medien

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Dieser Text erschien zunächst in der Printausgabe des Cicero (April). Wenn Sie das monatlich erscheinende Magazin für politische Kultur kennenlernen wollen, können Sie hier ein Probeabo bestellen.

 

 

Frau Meßmer, Sie und sechs andere Feministinnen haben Bundespräsident Joachim Gauck in einem offenen Brief angegriffen, weil er in einem Spiegel-Interview im Zusammenhang mit der Sexismus-Debatte von „Tugendfuror“ sprach. Was stört Sie so an diesem Begriff?
Erstens greift das Wort „Tugend“ auf uralte Klischees zurück, wonach Frauen anständig, zurückhaltend und jungfräulich sein sollten. Zweitens hat „Furor“ den gleichen Wortstamm wie der Begriff der „Furie“, der ähnlich wie „Hysterie“ dazu verwendet wird, inhaltliche Kritik von Frauen abzuwerten.

„Furor“ stammt aus dem Lateinischen – Wut, Zorn. Das Wort „Furie“ wurde im Deutschen erst im 18. Jahrhundert zum Synonym für rachsüchtige, wütende Weiber. Die semantische Verbindung zur Furie haben Sie doch erst hergestellt.
Das haben Sie gut erklärt. Seit dem 18. Jahrhundert gibt es diese semantische Verbindung. Und so hat der Bundespräsident eine inhaltliche Debatte zu einer wutgetriebenen umgedeutet und noch ergänzt, dass er kein flächendeckendes Problem erkennen könne.

Gerade Ihre ursprüngliche Aktion lief unter dem Stichwort „Aufschrei“. Das klingt doch bereits recht wutgetrieben.
Auch Sie versuchen jetzt vom eigentlichen Thema, nämlich Sexismus, abzulenken, indem Sie die Form kritisieren. Und dabei die immer gleichen Stereotype bemühen. Wer sich die vielen Blogbeiträge zu diesem Thema anschaut, wird schnell feststellen: Hier sind Frauen und Männer in einen konstruktiven Austausch miteinander getreten. Die vermeintliche Hysterie ist eine Zuschreibung. Genauso wie der Vorwurf, es ginge uns um Sprech- und Denkverbote. Das Gegenteil ist der Fall: Wir wollen eine offene Debatte darüber, wie wir ohne Sexismus zusammenleben können. Dazu muss eine Gesellschaft auch mal aushalten können, dass Menschen für ihr Verhalten und ihre Aussagen kritisiert werden.

Mit Verlaub: Der Ton der Aufschrei-Bewegung war nicht immer sachlich. Yasmina Banaszczuk, eine der Unterzeichnerinnen des Briefes, beschimpft ihre Kritiker in einem Blogeintrag als „Arschlöcher“. Ist das eine angemessene Dialogform für Feministinnen?
Nein, das stimmt so nicht. Frau ­Banaszczuk meint damit nicht diejenigen, die den offenen Brief oder uns inhaltlich kritisierten. Sie wehrt sich vielmehr gegen massive Anfeindungen.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Unmengen. Wir werden bei Twitter, per Mail und SMS, aber auch im persönlichen Gespräch als „Huren“, „Fotzen“ und „Schlampen“ bezeichnet. Auch unter dem offenen Brief gingen Kommentare ein, die wir nicht freigeschaltet haben: Wir seien frigide, untervögelt, wir sollten die Fresse halten. Das geht bis zu Vergewaltigungsdrohungen und Stalking. Wir versuchen diese Debatte trotzdem ruhig, unaufgeregt und inhaltlich zu führen.

In Ihrem Brief befreien Sie die Männer von einer „Kollektivschuld“, um im Satz danach festzustellen, dass Sexismus ein „kollektives Phänomen“ sei. Was denn nun?
Nehmen wir ein Beispiel: Wenn sich ein Chef von 20 Mitarbeiterinnen schlecht verhält, dann sind diese im schlimmsten Fall alle vom Sexismus eines Mannes betroffen. In Bezug auf die Opfer sprechen wir von einem „kollektiven Phänomen“. Wenn ich aber nach diesem Vorfall alle Männer des Betriebs als Täter bezeichnen würde, wäre das die Unterstellung einer „Kollektivschuld“. Das ist ein maßgeblicher Unterschied.

Ihre Botschaften scheinen nicht nachhaltig gewesen zu sein. Die Spiegel-Journalistin Annett Meiritz, die zuerst über sexistische Anfeindungen von Piraten berichtet hatte, nannte die Sexismus-Debatte „völlig überdreht“. Die Talkshow-Moderatorin Anne Will räumte ein: „Wir reiten Debatten manchmal tot.“
Ja, die Medien waren anscheinend an einem konstruktiven Dialog nicht interessiert. Sie deckten eher das Bedürfnis nach Empörungsgenuss und den Aufgeregtheitsbedarf und haben damit den Geschlechterkampf erst geschürt, der den Aufschrei-Unterstützerinnen so oft vorgeworfen wurde.

Der „Aufgeregtheitsbedarf“ ist doch auch Treibstoff Ihrer Kampagne.
Das ist eine typische Art und Weise, jetzt wieder in die Tugendfuror-Richtung zu gehen – auch weil Sie gleich von Kampagne sprechen. Der Aufschrei hat Sexismus als flächendeckendes Problem sichtbar gemacht, es wurden bestehende Strukturen und Benachteiligungen kritisiert, und wir haben uns dafür das Netz zunutzegemacht. Das Spannende daran ist, dass die Debatte dort von Anfang an viel, viel weiter war. Daher auch unser Angebot an Herrn Gauck, sich mit uns über unsere ja doch verschiedenen Lebensrealitäten auszutauschen. Wir suchen den Dialog.

Der Bundespräsident kritisierte die Mechanismen der Medien, die „tagelang über das Verhalten eines Politikers“ diskutierten. Sind Sie und Gauck damit nicht eigentlich einer Meinung?
Absolut. Wir stimmen Herrn Gauck zu, dass in der öffentlichen Debatte häufig personalisiert statt analysiert wird. Auch die Sexismus-Debatte drehte sich immer wieder um Rainer Brüderle – und nicht etwa um die vielen Schicksale, die im Netz dokumentiert wurden.

Was verlangen Sie von den Medien?
Ich kritisiere, dass die Medien die Überemotionalität, die in dem Begriff „Tugendfuror“ mitschwingt, fortschreiben. Die Beschimpfungen, von denen ich eben sprach, wurden zum Teil als kritische Stimmen zitiert. Das wertet die Probleme vollkommen ab und schafft ein Stammtischniveau. Man kann sogar sagen: Damit machen sich die Medien zu Komplizen der Sexisten.

Was machen Feministinnen Ihrer Generation besser als die alten?
Ich will mich von den Feministinnen der siebziger Jahre nicht abgrenzen – im Gegenteil.

Ihre Mitunterzeichnerin Anne Wizorek, die den Hashtag #aufschrei bei Twitter anregte, sagte: „Das Problem des Feminismus in Deutschland ist, dass Alice Schwarzer über jeder Debatte schwebt.“
Richtig. Und wir können doch nicht Alice Schwarzer als alleinige Vertreterin unserer Vorgängerinnen sehen.

Sie belegt Platz vier des Cicero-Rankings der 500 wichtigsten deutschen Intellektuellen – und Platz eins bei den Frauen.
Schön. Wir hören alle auf eine Feministin.

Widersprechen Sie Alice Schwarzer?
An mancher Stelle, ja. Aber – alle arbeiten sich an Frau Schwarzers Feminismus ab. Warum reden wir nicht lieber darüber, wofür wir stehen?

Bitte sehr!
Jüngst habe ich auf einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung mit Vertreterinnen aus Indien, England und Deutschland diskutiert, wie Feminismus international aussehen könnte. Wir fordern alle Gleichberechtigung, körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung.

Das ist doch nichts Neues. In der Emma schrieb Alice Schwarzer: „Die zu Recht empörten jungen Frauen fangen wieder einmal bei Null an.“
Ja, sie hat uns gesagt, dass das keine Kritik an uns ist, sondern ein Bedauern: „Dafür habe ich mich in den siebziger Jahren eingesetzt – und diese Frauen müssen das immer noch durchkämpfen.“

Trotzdem streiten sich sogar Feminis­tinnen darüber, was politically correct ist. Frau Schwarzer fordert das Kopftuch-Verbot – Sie nicht.
Das ist ein Punkt, bei dem ich nicht ihrer Meinung bin. Ich lehne Verbote grundsätzlich ab. Sie als weiße christliche Frau weiß nichts über die Lebensrealität von Muslimas. Ich erwarte von Feministinnen schon das Gleiche, was ich vom Bundespräsidenten erwarte: die Reflexion der eigenen Position.

„Slutwalk“, eine Protestgruppe, die sich gegen das Verharmlosen sexueller Belästigung wehrt, stritt über die Frage: Darf sich eine weiße Frau bei einer Demonstration schwarz anmalen, um auf die Probleme dieser Bevölkerungsgruppe hinzuweisen?
Ich glaube nicht, dass wir weißen Feministinnen paternalistisch people of colour vertreten sollten.

Das heißt, Sie kämpfen nur für die arrivierte, bürgerliche, weiße Frau?
Nein! Aber ich muss anerkennen, dass ich eine dieser arrivierten, bürgerlichen, weißen Frauen bin. Doch wir können lernen zuzuhören und uns mit den Frauen und Feministinnen aus aller Welt solidarisch zeigen. Auch hier gilt: Nur wenn wir einander mit Respekt und auf Augenhöhe begegnen, kommen wir weiter. 

Das Gespräch führte Petra Sorge

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