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Vinzenz Greiner

Felix Herzog - Der Kiez-Demokrat von Tempelhof

Felix Herzog hat mit seiner Initiative über 185.000 Stimmen gegen eine Bebauung des Tempelhofer Feldes gesammelt. Nun will er Klaus Wowereit per Volksentscheid aus dem Roten Rathaus jagen. Der Oberbayer kämpft gegen die Berliner Politelite. Es ist der Kampf eines konservativen Statistikers, der das Vertrauen in die Parteien verloren hat

Autoreninfo

Vinzenz Greiner hat Slawistik und Politikwissenschaften in Passau und Bratislava studiert und danach bei Cicero volontiert. 2013 ist sein Buch „Politische Kultur: Tschechien und Slowakei im Vergleich“ im Münchener AVM-Verlag erschienen.

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„Jetzt machen wir mal voll krass Revolution!“, quietscht die Klingelton-Stimme. Felix Herzog klemmt sein Handy zwischen Kopf und Schulter. Dreht mit geröteten Fingern weiter seine Zigarette. Herzog trägt eine gemusterte Strickmütze und eine knallrote Outdoor-Jacke, die sein Markenzeichen geworden ist. Der Wind bläst die Drachen in den grauen Himmel über dem Tempelhofer Feld.

Mit sonorer Stimme spricht Herzog mit einem ARD-Magazin am anderen Ende der Leitung. Zuvor hatte er schon mit Redakteuren eines Stadtmagazins zusammengesessen. Später ist er noch zu einem Spiegel-Interview verabredet. Wie fühlt es sich an, eine kleine Berühmtheit zu sein? Herzog zeigt sein Wallace-und-Grommit-Lachen: Zähne zusammen, die Mundwinkel weit nach außen. „Berühmt vielleicht nicht, eher bekannt.“

In Berlin ist Felix Herzog seit kurzem eine politische Instanz. Der 28-Jährige hat etwas geschafft, was viele für unmöglich gehalten hatten: Er und die Mitstreiter seiner Initiative „100% Tempelhofer Feld“ haben in der Stadt über 185.000 Unterschriften gesammelt. Nun ist der Weg frei für einen Volksentscheid am 25. Mai. Die Stadt hat mit dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof viel vor. Zwar soll ein Großteil des Parks erhalten bleiben, aber in den Randbereichen sollen Wohnungen entstehen, die in Berlin knapp sind. Dazu Gewerbeflächen, Kitas, eine Schule und der Neubau der Landesbibliothek. Felix Herzog fordert, dass das ganze Feld, in das die Münchener Wies‘n sieben Mal hineinpassen würde, unbebaut bleibt.

Hätte sein Volksentscheid Erfolg, müsste der Berliner Senat sein prestigeträchtiges Projekt beerdigen, jahrelange Planung wäre perdu. SPD und CDU sind genervt von Herzog. Doch Herzog hört nicht auf, sie herauszufordern. Er sammelt bereits Unterschriften für einen neuen Volksentscheid: er will Neuwahlen in der Stadt erzwingen und damit den Rücktritt des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit. Herzog polarisiert. Manche Berliner nehmen ihm das übel. In einer Hass-Mail stand, er solle zurückgehen nach Bayern und sich um Horst Seehofer kümmern. Herzog lacht. Die Verärgerten motivieren ihn.

Dort, wo es Ochsenrennen gibt


Herzog wächst in Weilheim zwischen Ammer- und Starnbergersee auf. In einer Gegend, wo noch Ochsenrennen stattfinden und Kirchweih gefeiert wird, wo der oberbayerischen Lokalpatriotismus lebt, es aber auch eine Montessori-Grundschule gibt. Seine Eltern schicken ihn dorthin. Nicht „Linksruck“ oder die Grüne Jugend, bei denen er mal dabei war, haben ihn politisiert. Auch nicht sein Engagement gegen Studiengebühren während seines Statistik-Studiums in München. Sondern seine Eltern, die ihn anhielten, „kritisch zu hinterfragen“. Und besonders sein Vater, der dem Sohn erzählte, wie er einst als Liberaler im AStA der FH mal mit den Linken mal mit den Rechten zusammengearbeitet hatte.

Herzog lacht. Das tut er immer, wenn er sich begeistert. Dann schauen sein Augen ganz wach durch die runden Gläser der silbrigen Brille. Dann nimmt seine Stimme Fahrt auf. Er schwärmt von den „Bürgern für Weilheim“ – einer bunten Gruppe ehemaliger Parteipolitiker, die mit allen Fraktionen zusammenarbeiten und „sachorientiert entscheiden“. Sie stellen mittlerweile sogar den Bürgermeister. Herzog bewundert deren pragmatische Politik, die sich an Themen statt Lagern orientiert und damit in den Augen des Statistikers die Konsensfindung und sachliche Entscheidung wahrscheinlicher macht.

Zugezogener Kiez-Konservativer


Herzogs politische Haltung steht in ironischem Kontrast zu seiner laxen Körperhaltung. Gemächlich schlappt er durch den Schillerkiez. Es ist ein Kiez in Berlin, der sich in den letzten Jahren dramatisch verändert hat. 85 Jahre lang dröhnten Flugzeugturbinen über jene Straßen hinweg, die sich an der Ostseite des Tempelhofer Feldes entlangziehen. Neuköllner Randlage. Prekär. Unattraktiv. Doch als der Flughafen geschlossen wurde und die Berliner das Feld eroberten, wurde aus abstoßend anziehend, aus hässlich hip. Der Veränderungsdruck ist groß.

Herzog zeigt auf ein paar „krasse Gentrifiziererkneipen“. Er fühlt sich hier dennoch zuhause. Der Schillerkiez, sagt er, sei wie ein Weilheim in Berlin. Hier gebe es den schrulligen Alten, die Aktive, die Frau vom Marktstand, die urige Eckkneipe. Hier ist sein Zuhause, das er bewahren möchte. Er ist im Wortsinn ein Kiez-Konservativer.

Grundsätzlich lehnt Herzog Veränderungen nicht ab. Er will nur, dass die Betroffenen sie mitgestalten. Doch wenn die Mietpreise gemeinsam mit der Attraktivität des Viertels steigen, wenn zuhauf Leute aus aller Welt hierher ziehen, die kein Deutsch sprechen möchten und dann trendige Imbissbuden mit englischen Speisekarten für sie eröffnen – dann kommen die ursprünglichen Bewohner nicht mehr mit. Sie können nicht mehr teilnehmen und mitbestimmen – der Kern von Demokratie. „Ich finde, dass man in einer Demokratie kleinteilig entscheiden muss. Ich als Statistiker denke in Clustern, in Verästelungen“, sagt er und zeichnet eine Baumkrone in die Luft. Gebündelt könnten sie einen großen demokratischen Prozess in Gang setzen. Bisher habe Stadtpolitik aber anders ausgesehen.

Deshalb ist Felix Herzog 2012 zur Tempelhof-Initiative dazugestoßen, hat ihr als Vorsitzender in der Berliner Öffentlichkeit Gehört verschafft. Zwar waren 2007 in einem Online-Dialog die Bürger um Input zur künftigen Bebauung des Flughafenfeldes gebeten worden. Aber niemand, so Herzog, wisse, was aus den Vorschlägen wurde. Gefragt wurde damals wie heute nur nach dem ‚wie‘ der Bebauung. „Aber nie nach dem ‚ob‘.“

Das fügt sich in Herzogs Bild von der Parteiendemokratie: Ein bürgerfernes, überkommenes System, in dem Fraktionszwang und Lagerdenken als Vetospieler sachgerechte Entscheidungen ausbremsen. Deshalb hat er auch das Angebot, bei den Piraten mitzumachen, ausgeschlagen – obwohl sich ihre Programmatik mit vielen seiner Ansichten deckt. „Meine Politik geht nicht mit Parteibuch“, sagt er dazu.

Drei Jahre, so räumt er ein, hatte er selber eines. Ein rotes. In München war er in die SPD eingetreten – in eine Oppositionspartei im Landtag, betont er. In Berlin trat er aus – auch und besonders wegen Wowereits Regierungspolitik.

Herzogs Hand an Wowereits Reißleine


„Wowereit hat kein Gespür mehr für die Menschen“, meint Herzog. Der Regierende Bürgermeister sei unnahbar und abgehoben. Vorwerfen wolle er ihm das aber nicht. „Ich muss selbst aufpassen, dass ich nicht arrogant werde. Manche sagen mir, ich sei das schon“, sagt er. Und tatsächlich strahlt Herzog viel Selbstsicherheit aus. Der Erfolg macht ihn stark. Noch ist es aber eher die Gewissheit des Aufmüpfigen, der gehört wird, als Überheblichkeit. „Wowereit hätte jedenfalls früher und selber die Reißleine ziehen sollen“, erklärt er.

Da der Regierende aber nicht an Rücktritt denkt, will Herzog per Volksentscheid Neuwahlen erwirken und es so erreichen, dass Wowereit gehen muss. Er hat laut Herzog „keine Legitimation“.  Die haben für ihn nur direkt Gewählte. Ist eine Institution dazwischengeschaltet hat das für Herzog nicht viel mit Demokratie zu tun. In Berlin wird der Bürgermeister vom Abgeordnetenhaus gewählt.

Als dort eine aktuelle Stunde abgehalten wird, schlendert Herzog auf die Besuchertribüne. Herzogs Sweatshirt-Jacke ist geöffnet, seine Jeans sitzt locker. Kurz winkt er dem Bürgermeister zu, der etwas angenervt nach oben blickt.

Herzog hört konzentriert zu. Gerade hält ein Pirat eine Rede zum Tempelhofer Feld. Sagt, man hätte nach dem ‚ob‘ fragen sollen. So formuliert das Herzog auch ständig. Er lehnt sich nach vorne, um zu sehen, wer Beifall spendet. Kein Grüner, kein Linker klatscht. Er lässt sich auf den Sitz plumpsen, atmet laut aus, verschränkt die Arme hinter dem Kopf. Dass nicht einmal diese Parteien sich mit seiner Initiative gemeinmachen wollen, ärgert ihn.

Das Tempelhofer Feld als Teil einer Bewegung


Auf die Menschen im „Nachbarschaftstreff im Schillerkiez“ kann Herzog hingegen vertrauen. Gemeinsam haben sie Unterschriften gesammelt, am Gesetzestext gefeilt und Infomaterial verteilt. Die Aktive ist heute Abend da, der schrullige Alte auch. Jeder darf sich vom Kuchen nehmen, der in der Mitte der zusammengeschobenen Tische steht. Nachdem der Weg jetzt frei ist für den Volksentscheid, wollen sie heute diskutieren, wie es weitergeht.

In der hitzigen Debatte meldet sich eine ältere Mitstreiterin. Sie glaube, dass es in der Initiative zwei Gruppen gibt. Die einen, denen es um den Erhalt des Tempelhofer Feldes geht, weil dies einen Wert an sich habe. Und die anderen, sagt sie ein wenig verächtlich, „die wollen das Schutzgesetz nur, um eine stadtpolitische Diskussion zu führen.“ Felix Herzog beugt sich nach vorne, schaut etwas skeptisch. Er gehört zur zweiten Gruppe. Als dann ein engagierter Neuling sagt: „Der Drive geht verloren mit dem demokratischen Gequassel“, runzelt Herzog ungläubig die Stirn.

Tatsächlich geht es Felix Herzog gar nicht so sehr um den Erhalt des Status Quo auf dem Tempelhofer Feld. Er kann sich auch vorstellen, im Randgebiet zum Beispiel Volleyballplätze zu bauen. Für ihn ist die Volksabstimmung Mittel zum Zweck, „Teil einer großen Mitstimmungsbewegung in der Stadtplanung.“ Er versteht es als Auftakt für eine Bewegung für urbane Direktdemokratie in Berlin, zu der auch seine Initiative für Neuwahlen zu zählen ist.

Und was, wenn die Bürger am 25. Mai mitbestimmen und sich für eine Bebauung, also gegen die Volksinitiative aussprechen? „Das wäre auch okay. Dann hat wenigstens die Mehrheit entschieden.“ Felix Herzog wird auf jeden Fall für das Gesetz der Initiative „100% Tempelhofer Feld“ stimmen. Für Konsens à la Weilheim ist es im Schillerkiez jetzt zu spät.

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