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(picture alliance) Profilmangel?

Profillose Parteien - Fehlt uns Konservatives? Im Ernst?

Deutschlands Parteien leiden unter akutem Profilmangel. Es will ihnen nicht gelingen, Debatten so zu führen, dass der Bürger daraus lernt und am Ende zwischen Alternativen entscheiden kann. Politische Rachitis grassiert, und bisher ist dagegen kein Kräutlein gewachsen

Kommt der CDU unter der stillen, aber effektiven Regie von Angela Merkel das Konservative abhanden? Ein „Berliner Kreis“, der sich noch in dieser Woche konstituieren und ein Manifest zur geistigen Lage beschließen will, scheint fest davon überzeugt zu sein: Ja, das ist das Problem der Christdemokraten als Regierungspartei, sie haben aus dem Blick verloren, was ihren substantiellen Kern ausmacht, und damit verlieren sie auch ihre Bindungsfähigkeit an Stammwähler.

Ob diese Gruppe, initiiert von dem hessischen CDU-Fraktionschef Christean Wagner, der angeblich nur von seinem Chef Volker Bouffier vorgeschoben wird, ob diese Gruppe also wirklich Mannesmut vor Fürstenthronen aufbringt und sich damit automatisch in kritische Distanz zur Kanzlerin begibt? Bis zum Beweis des Gegenteils will man es so recht nicht glauben, denn Angela Merkel, finden sagenhafte 70 Prozent der Befragten, mache ihren Job als Regierungschefin durchaus gut – selbst wenn ein ebenso hoher Anteil die Koalition für ziemlich medioker hält. Schon das bisschen Kanzlerinnen-Kritik, das Josef Schlarmann, der Chef der CDU-Mittelstandsvereinigung und mit dabei im Berliner Kreis, kürzlich am „System Merkel“ und der von ihr gern behaupteten „Alternativlosigkeit“ ihrer Politik übte, stieß in diesem Kreis heldenhafter Aufrechter auf Empörung – schließlich werde Angela Merkel europaweit, ja weltweit als eine Art neuer „Eiserner Lady“ bewundert! Wie auch immer also dieser Gründungsakt endet – ich will hier gar nicht behaupten, es sei für Berlin besonders bedeutsam und folgenreich, wenn sich ein konservativer Klüngel ein Manifest gibt. Nicht die Sache selber ist wirklich interessant, wohl aber, wie mir scheint, das Symptomatische, was sich daran ablesen lässt.

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Die Parteien insgesamt – und nicht etwa nur Angela Merkels Christdemokraten – leiden unter akutem Profilmangel, es will ihnen schlicht nicht gelingen, inhaltliche Debatten so zu führen, dass man als Zuhörer/Zuschauer daraus lernen und sich am Ende zwischen Alternativen entscheiden kann. Politische Rachitis grassiert, und bisher ist kein Kräutlein dagegen gefunden.

Volker Kauder, Fraktionschef der CDU/CSU im Bundestag und selbst von Haus aus das, was man einen „Konservativen“ nennen würde, zittert nicht gerade vor der Drohung, ein paar Unzufriedene in seiner Partei versammelten sich demnächst hinter einem Manifest. „Da bin ich mal gespannt“, verriet er dem „Spiegel“ sarkastisch, „ob den Verfassern gelingt zu definieren, was konservative Politik in der Christlich Demokratischen Union eigentlich ist.“ „Nehmen Sie den Ausstieg aus der Kernenergie“, fügte er dann noch hinzu, „entspringt der nun den konservativen, den christlichen oder den liberalen Wurzeln der CDU?“ Für ihn sei „konservativ“ vor allem eine „Frage der Haltung“ und ob sich die Politik an einem „Wertkompass“, zumal dem christlichen Menschenbild, orientiere. Die Menschen nicht nach Rasse oder Klasse zu sortieren, ihnen nichts vorschreiben, zum Beispiel in der Familienpolitik die Wahlfreiheit zu lassen, darum gehe es prinzipiell.

Selbst mit diesem Verweis auf Probleme, die sich der herkömmlichen Einordnung entziehen, und dem Rückgriff auf Grundwerte hat er das „Konservative“ so wenig umrissen wie das, was ein Alleinstellungsmerkmal seiner Partei sein könnte. Für Wahlfreiheit ohne Rollenvorschriften bei Frauen beispielsweise plädieren auch andere Parteien, nur fügen sie dann hinzu, dazu gehörten auch Bedingungen, die es Frauen mit kleinen Kindern erlauben, eine Arbeit anzunehmen.

Eine fundamentalistische „Teaparty“, die in den USA die Grand Old Party (GOP), die Republikaner, ideologisch geradezu erpresst, gibt es hierzulande tatsächlich nicht. Aber fehlt der deutschen Politik etwa ein Paul Ryan? Der Präsidentschaftskandidat Mitt Romney hat seinen Parteifreund aus Wisconsin, den Vorsitzenden des Haushaltsausschusses im Senat, kürzlich als Vizepräsidentschafts-Anwärter an seiner Seite vorgestellt – und nun redet sich seine Partei, die sehnsüchtig nach einer klaren Botschaft samt Feindbild lechzte, im Anblick des jungen John Wayne alias Ryan geradezu in Rausch. Ginge es nach Ryan, müsste der Staat nicht nur abspecken, sondern von wenigen Ausnahmen abgesehen auf alle sozialen Leistungen, vor allem auf das bisschen Krankenversicherung verzichten, das Präsident Obama mühsam durchgesetzt hat. Die ganz unten am Ende der Leiter sollen sich selbst helfen, lautet seine sehr amerikanische, vor allem aber seine sehr sozialdarwinistische Ideologie. Wird das hierzulande vermisst? Wohl kaum. Angela Merkel könnte die Wahlen jetzt schon für verloren erklären, wollte sie diesen Weg einschlagen.

Die Ent-Ideologisierung, die sich bei uns in einem langen Gärungsprozess der Volksparteien vollzog, ist in Wahrheit doch zu begrüßen. Zu verdenken ist der CDU  auch nicht, dass sie unter Angela Merkel ebenso wie zuvor schon mit Rita Süssmuth, Heiner Geißler, Warnfried Dettling, Lothar Späth und vielen „Modernisierern“ gesellschaftspolitisch den Anschluss an die Realität gesucht hat. Das auf den Protestantismus und das Ostdeutsche der Kanzlerin zurückzuführen, greift zu kurz. Es war schließlich auch ein Gewinn, dass nach viel zu langem Zögern und Lamento über das „Multikulti“-Gespenst auch die Christdemokraten sich zu einem zeitgemäßeren Staatsbürgerschaftsrecht durchrangen und einsahen, dass man Migranten in dieser schrumpfenden Gesellschaft, die sich integrieren möchten, dann auch eine wirkliche Integrationschance bieten müsse.

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Und selbst wenn der Atomausstieg oder eine Politik, die die Klimaerwärmung als Zukunftsgefahr Nummer eins betrachtet, nur darauf zielen sollten, der CDU eine machtpolitische Perspektive zu öffnen und ein Bündnis mit den Grünen zu ermöglichen – in der Sache bleibt beides dennoch richtig. Dass die Parteien Anschluss an die geänderten Verhältnisse, an die Problemlagen von heute suchen, wieso sollte man ihnen das vorwerfen? Warum, bitte, sollte man konservative Ideologen oder gar konservative „Revolutionäre“ vermissen, die in Deutschland genug Unheil anrichteten? Warum es etwa bedauern, dass der „konservative“ Udo di Fabio – um den ehemaligen Karlsruher Verfassungsrichter als ein Beispiel zu nennen – sich in seinen Büchern und Vorträgen sorgsam hütet, sich mit Reaktionären, Fundamentalisten und Rechten gemein zu machen? Denn das verbirgt sich doch oft hinter dem Verschleierungswörtchen „konservativ“.

Was soll daran falsch sein, dass er lieber satisfaktions-, und das heißt gesprächsfähig bleiben möchte gegenüber Sozialphilosophen wie Axel Honneth oder Jürgen Habermas, dass er also weder die Melodie vom alles bevormundenden Staat anstimmt noch sich in ein Boot mit den dezidierten Antieuropäern und schon gar nicht mit den Carl-Schmitt-Verehrern setzen möchte, die die liberale Verfahrensdemokratie verhöhnen? Nein, die Bundesrepublik kann froh sein, dass sie selbst solche fundamentalistischen Geister hinwegmoderiert hat und sich, bislang jedenfalls, auch nicht mit Rechtspopulisten à la Haider oder Blocher oder Le Pen herumschlagen muss. Das ist nicht die Lücke, die dringend geschlossen werden müsste.

Bloß, aufgepasst! Ohne Not, scheint mir, haben die Parteien allmählich aber auch verlernt, ihre Politiken strittig zu stellen. Man sieht wirklich wenig alternatives Denken, taktische Rücksichten ersticken jeden ehrlicheren Diskurs und lassen unsereins tatsächlich als hilflose „Zuschauer“ in der Zuschauerdemokratie zurück. Dass die Euro-Rettungspolitik von Anfang an einen penetrant nationalen, von egoistischen deutschen Interessen gefärbten Grundzug hatte, hat keine der Parteien wirklich aufzuspießen gewagt. Man ertappt sich dabei, plötzlich erleichtert aufzuatmen, wenn ein einziger FDP-Politiker wie Wolfgang Kubicki – den man nicht gerade als intellektuellen Innovator verehrt – immerhin den Mut hat, gegen seine Partei eine Bankenlizenz für den Rettungsfond ESM zu verlangen; eine „Bazooka“, um bei der Europäischen Zentralbank unbegrenzt Geld leihen zu können, weil anders Europa nicht zu retten sei.

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Ähnlich, nur bitte nicht bloß aus taktischem Kalkül, wünscht man sich eine unvoreingenommene und vorurteilslose Debatte über die Rolle der Banken und wie es gelingen könne, dass sie nicht weiterhin die Politik – und damit uns – am Nasenring durch die Manege zerren. Oder eine intelligente Kontroverse darüber, was an Stelle der alten Wachstumsversprechen treten könne, mit denen die ökonomischen Krisen von morgen – schon wegen der ökologischen Folgen – nicht mehr zu meistern sind. Nicht einmal die Grünen, die sich so leidenschaftlich wegen ihrer Spitzenkandidaten beharken, aber dabei schrecklich inhaltsleer wirken, suchen nachvollziehbar in diese Richtung. Kurzum, die Politik weist gewaltige Lücken auf, die aber nicht einfach „konservativ“ aufzufüllen sind.

Der andere Irrtum, vor dem gewarnt werden muss: Glaube nur keiner, die Republik sei bereits runderneuert, sie sei durch und durch liberal, sie werde nicht zurückfallen ins Nationale und bleibe strikt auf europäischem Kurs. Nichts hat Bestand, wenig ist von Dauer: Mit diesem melancholischen Befund verabschiedete sich einst Willy Brandt von seiner Partei. Nichts ist garantiert, bloß weil einer moderneren, teils sozialdemokratisierten, teil ergrünten CDU konservative Konturen abhanden kamen, weil kein Nationalkonservativer wie Alfred Dregger oder Rechtsaußen Franz Josef Strauß dem Affen Zucker geben und die „Rechte“ im Lande umgarnen.

Wilhelm Heitmeyers Langzeit-Studie über zehn Jahre, die sich mit der Demokratie in Deutschland und der latenten Ausgrenzung von Minderheiten befasste, hat hinlänglich bewiesen, welches autoritäre und fremdenfeindliche, zumal islamfeindliche Potential in den Köpfen immer noch schlummert. Ihn interessiere nicht, berichtete jüngst ein Reporter, ob die deutsche Ruderin aus politischen Gründen wegen ihres NPD-Freundes vom Sportkader ausgeschlossen werde – ihn beschäftige mehr, weshalb so viele Menschen in Rostock genau so redeten wie dieser fanatische Anhänger der deutschen Unverbesserlichen.

Es fehlt Konservatives? Wo? Wem? Die Mischung aus Verwechselbarkeit, Taktik und Beliebigkeit in Berlin, dieser fatal verwaschene Zeitgeist, lässt für Nationales und Autoritäres im Lande mehr Raum, als wir wahrhaben wollen.

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