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Fall Edathy - „Das Ermittlungsverfahren wird zum Reality-TV“

Die Ermittlungen gegen Sebastian Edathy arten zum Schauprozess aus, fürchtet Bernd Schünemann. Der Münchner Strafrechtsprofessor wirft der Staatsanwaltschaft Hannover vor, den Kinderpornografie-Fall zum Medienspektakel zu machen

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Bernd Schünemann ist emeritierter Professor für Straf- und Strafprozessrecht sowie Rechtsphilosophie und -soziologie an der Universität München. Als Anwalt verteidigte er Baden-Württembergs Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus und verklagte die Bundesbank wegen möglicher Risiken im europäischen Zahlungssystem

 

[[{"fid":"61140","view_mode":"full","type":"media","attributes":{"height":185,"width":149,"style":"width: 149px; height: 185px; margin: 4px; float: left;","class":"media-element file-full"}}]]Herr Schünemann, Sie haben angekündigt, den Fall Sebastian Edathy in ein Lehrbuch für Strafprozessrecht aufzunehmen. Was werden Ihre Studenten künftig dazu lesen?
Was mich schon seit einiger Zeit beschäftigt, ist die Tendenz, Ermittlungsverfahren gegen prominente Personen immer mehr über die Medien zu führen. Die Strafprozessordnung ist extra so geregelt, dass die Öffentlichkeit erst in der Hauptverhandlung zugelassen wird. Wenn wir nun aber das eigentlich geheime Ermittlungsverfahren quasi auf die Straße tragen, kommt es viel schneller zu einer Vorverurteilung. Der Fall Edathy hat mich nun veranlasst, in meinem Lehrbuch zu sagen: So geht das einfach nicht.

Sie kritisieren, dass bei der Hausdurchsuchung die Zeitung anwesend war und die Staatsanwaltschaft Hannover Details aus dem Ermittlungsverfahren in einer Pressekonferenz bekannt gegeben hat.

Es kann nicht sein, dass Informationen vorab durchgestochen werden. Ich habe noch das Bild vor Augen, als Ex-Postchef Klaus Zumwinkel abgeführt wurde. Da war das deutsche Fernsehen live dabei. Das ist nicht rechtsstaatlich – das ist eine Entwicklung hin zum Schauprozess. Das halte ich auch am Fall Edathy für inakzeptabel.

Halten Sie die Staatsanwaltschaft Hannover, die ja auch für ihren Umgang mit dem Fall Wulff in der Kritik steht, da für besonders ungezogen?
Ich würde den Vorwurf gar nicht so sehr gegen den einzelnen Staatsanwalt richten. Der hat wahrscheinlich so gehandelt, wie es sich inzwischen in Deutschland eingebürgert hat. Die Sitten sind schon seit Jahren verlottert. Meine Kritik richtet sich prinzipiell dagegen, dass die Öffentlichkeit quasi wie Reality-TV pausenlos am Ermittlungsverfahren teilnimmt.

Es gab auch Kritik an den Ermittlungen selbst. Sebastian Edathy betont, bei den Fotos von unbekleideten Jungen zwischen 9 und 14 Jahren handle sich um legale Bilder.
Das ist das, was man hinterher gefunden hat. Das darf die Staatsanwaltschaft allerdings nicht für die Frage des Anfangsverdachts interessieren. Umgekehrt: Ich kann doch erst durchsuchen, wenn ich einen recht fundierten Verdacht habe.

Die Ermittler begründeten den Anfangsverdacht so, dass Käufer solcher Posing-Bilder häufig auch noch anderes hätten – möglicherweise strafbare Inhalte.
Das ist der falsche Ansatz: Der Anfangsverdacht muss begründet werden mit der Mitgliedschaft in einer Kundenkartei. Nehmen wir an, der Beschuldigte ist Kunde in einem Ring, der harte Kinderpornografie macht – also wirklich kriminelle Sachen. Dann würde mir bereits die Mitgliedschaft als Bejahung eines Anfangsverdachts ausreichen.

Halten Sie denn eine Klage Edathys gegen die Staatsanwaltschaft für aussichtsreich?
Das ist keine strafrechtliche, sondern eine zivilrechtliche Frage: Amtshaftung der Staatsanwaltschaften. Bei Maßnahmen öffentlicher Vorverurteilung ist es schwer, einen Schaden nachzuweisen – aber er könnte auf Unterlassung klagen. Ich würde es zumindest einmal sehr begrüßen, wenn ein solcher Fall eines weitgehend öffentlich geführten Ermittlungsverfahrens mal bis zur höchsten Instanz durchgefochten wird. Heutige Praxis ist ja, das sogenannte öffentliche Informationsinteresse höher zu bewerten als das Schutzinteresse des Beschuldigten. Man hat sich bei Personen der Zeitgeschichte immer wieder fürs öffentliche Interesse entschieden. Hier müsste das Bundesverfassungsgericht einmal klipp und klar sagen: Öffentliche Erklärungen, die die Gefahr einer Vorverurteilung bergen und gegen das Prinzip der Diskretion des Ermittlungsverfahrens verstoßen, müssen unterlassen werden.

Vielleicht war das Vorgehen der Staatsanwaltschaft Hannover auch eine Vorwärtsverteidigung: Denn Edathy wurde bereits über die Ermittlungen informiert, bevor überhaupt die Staatsanwaltschaft damit befasst war. All das haben die Ermittler erst aus der Presse erfahren.
Einen Verdächtigen schon im Vorhinein über Ermittlungsmaßnahmen zu informieren, kann durchaus eine Strafvereitelung sein. Dazu braucht es natürlich den Vorsatz, dass dieser Geheimnisverrat bis zum Verdächtigen durchgereicht wird und dieser dann etwa Beweismittel vernichten kann.

Genau das könnte für Hans-Peter Friedrich zum Verhängnis werden: Die Staatsanwaltschaft in Hannover prüft, ob Edathy vor den Ermittlungen gewarnt wurde. Und die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt, ob der Ex-Minister Dienstgeheimnisse verraten hat.
Nach dem, was ich in der Presse gelesen habe, hatte Friedrich keinen Strafvereitelungsvorsatz. Er wollte offenbar keine Informationen an einen Verdächtigen durchreichen, sondern wollte Sigmar Gabriel davor warnen, Edathy in eine hohe administrative Position zu befördern. Unter diesem Gesichtspunkt wäre Friedrichs Verhalten einwandfrei gewesen.
Auch in Bezug auf die Frage, ob er die Amtsverschwiegenheit verletzt hat – was als Ermächtigungsdelikt einzustufen wäre: Friedrich wollte verhindern, dass hier eine unglückliche administrative Entscheidung gefällt würde. Da hat er sogar positiv gehandelt, um nicht die Verwaltung zu schädigen.
Das einzige Argument der Ermittler könnte sein, dass er den SPD-Chef bereits im Zuge der Bildung der Großen Koalition informiert hat, also noch bevor Gabriel Minister geworden ist. Sobald Gabriel aber Minister war, wäre es ohnehin ein Informationsaustausch auf Behördenebene gewesen. Kein Geheimnisverrat mehr, kein Rechtsgut, das hätte verletzt werden können.

Friedrich hat seinen Geheimnisverrat im ZDF-„Morgenmagazin“ auch noch einmal vehement verteidigt: Nur ein „Winkeladvokat oder Rechtspositivist“ würde ihm das vorwerfen.
Nun ja – das Recht ist keine so komische, verkorkste Materie. Aber ich denke auch, dass es juristische Argumente gibt, die Friedrichs Verhalten als durchaus akzeptabel erscheinen lassen.

Familienministerin Manuela Schwesig und Bundesjustizminister Heiko Maas (beide SPD) wollen jetzt schärfere Regeln gegen Kinderpornografie prüfen – etwa ein Verbot von Posing-Bildern. Befürworten Sie das?
Nein. Die Bestrafbarkeit der Kinderpornografie geht bereits sehr weit. Schon der bloße Internet-Konsument wird belangt, obwohl er ja nicht an einem persönlichen Missbrauch beteiligt ist. Die Überlegung dahinter ist, dass der Käufer Mitverursacher für den Bedarf ist und damit auch für die Bereitschaft anderer, sich strafbar zu verhalten. Man müsste zuerst kriminologisch solider arbeiten, bevor man weitere Verbotsforderungen erhebt.

Der Kinderschutzbund klagt aber, dass die Würde der Opfer schon bei solchen Nacktdarstellungen massiv verletzt wird. Diese Bilder sind nicht mehr aus dem Internet zu löschen. Sie sind für immer auffindbar.
In der Tat werden hier Rechtsgüter der Kinder verletzt. Wer sich solche Bilder kauft, ohne sich zu vergewissern, dass das Einverständnis des Sorgeberechtigten vorliegt, begeht eine Persönlichkeitsverletzung. Aber da müsste man schon differenzieren: Das ist ein Delikt auf einer niedrigeren Ebene als Kinderpornografie. Das ist vielleicht eine Ordnungswidrigkeit. Im Übrigen wäre es für die Gültigkeit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gleichgültig, ob auf den Bildern nackte Kinder oder Erwachsene zu sehen sind.

Herr Schünemann, vielen Dank für das Gespräch.

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